Italienische Reise, vol 2 | Page 4

Johann Wolfgang von Goethe
der Hitze. Ich
war mit Herrn Hackert draußen, der eine unglaubliche Meisterschaft
hat, die Natur abzuschreiben und der Zeichnung gleich eine Gestalt zu
geben. Ich habe in diesen wenigen Tagen viel von ihm gelernt.

Die Maecenasvilla in Tivoli. Zeichnung von Hackert
Weiter mag ich gar nichts sagen. Das ist wieder ein Gipfel irdischer
Dinge. Ein sehr komplizierter Fall in der Gegend bringt die herrlichsten
Wirkungen hervor.
Herr Hackert hat mich gelobt und getadelt und mir weiter geholfen. Er
tat mir halb im Scherz, halb im Ernst den Vorschlag, achtzehn Monate
in Italien zu bleiben und mich nach guten Grundsätzen zu üben; nach
dieser Zeit, versprach er mir, sollte ich Freude an meinen Arbeiten
haben. Ich sehe auch wohl, was und wie man studieren muß, um über
gewisse Schwierigkeiten hinauszukommen, unter deren Last man sonst
sein ganzes Leben hinkriecht.
Noch eine Bemerkung. Jetzt fangen erst die Bäume, die Felsen, ja Rom
selbst an, mir lieb zu werden; bisher hab' ich sie immer nur als fremd
gefühlt; dagegen freuten mich geringe Gegenstände, die mit denen
ähnlichkeit hatten, die ich in der Jugend sah. Nun muß ich auch erst
hier zu Hause werden, und doch kann ich's nie so innig sein als mit
jenen ersten Gegenständen des Lebens. Ich habe verschiednes
bezüglich auf Kunst und Nachahmung bei dieser Gelegenheit gedacht.
Während meiner Abwesenheit hatte Tischbein ein Gemälde von Daniel
von Volterra im Kloster an der Porta del Popolo entdeckt; die

Geistlichen wollten es für tausend Skudi hergeben, welche Tischbein
als Künstler nicht aufzutreiben wußte. Er machte daher an Madame
Angelika durch Meyer den Vorschlag, in den sie willigte, gedachte
Summe auszahlte, das Bild zu sich nahm und später Tischbein die ihm
kontraktmäßige Hälfte um ein Namhaftes abkaufte. Es war ein
vortreffliches Bild, die Grablegung vorstellend, mit vielen Figuren.
Eine von Meyer darnach sorgfältig hergestellte Zeichnung ist noch
vorhanden.
Rom, den 20. Juni.
Nun hab' ich hier schon wieder treffliche Kunstwerke gesehen, und
mein Geist reinigt und bestimmt sich. Doch brauchte ich wenigstens
noch ein Jahr allein in Rom, um nach meiner Art den Aufenthalt nutzen
zu können, und ihr wißt, ich kann nichts auf andre Art. Jetzt, wenn ich
scheide, werde ich nur wissen, welcher Sinn mir noch nicht
aufgegangen ist, und so sei es denn eine Weile genug.
Der Herkules Farnese ist fort, ich hab' ihn noch auf seinen echten
Beinen gesehen, die man ihm nach so langer Zeit wiedergab. Nun
begreift man nicht, wie man die ersten, von Porta, hat so lange gut
finden können. Es ist nun eins der vollkommensten Werke alter Zeit. In
Neapel wird der König ein Museum bauen lassen, wo alles, was er von
Kunstsachen besitzt, das Herkulanische Museum, die Gemälde von
Pompeji, die Gemälde von Capo di Monte, die ganze farnesische
Erbschaft, vereinigt aufgestellt werden sollen. Es ist ein großes und
schönes Unternehmen. Unser Landsmann Hackert ist die erste
Triebfeder dieses Werks. Sogar der Toro Farnese soll nach Neapel
wandern und dort auf der Promenade aufgestellt werden. Könnten sie
die Carraccische Galerie aus dem Palaste mitnehmen, sie täten's auch.
Rom, den 27. Juni.
Ich war mit Hackert in der Galerie Colonna, wo Poussins, Claudes,
Salvator Rosas Arbeiten zusammen hängen. Er sagte mir viel Gutes
und gründlich Gedachtes über diese Bilder, er hat einige davon kopiert
und die andern recht aus dem Fundament studiert. Es freute mich, daß
ich im allgemeinen bei den ersten Besuchen in der Galerie eben

dieselbe Vorstellung gehabt hatte. Alles, was er mir sagte, hat meine
Begriffe nicht geändert, sondern nur erweitert und bestimmt. Wenn
man nun gleich wieder die Natur ansehn und wieder finden und lesen
kann, was jene gefunden und mehr oder weniger nachgeahmt haben,
das muß die Seele erweitern, reinigen und ihr zuletzt den höchsten
anschauenden Begriff von Natur und Kunst geben. Ich will auch nicht
mehr ruhen, bis mir nichts mehr Wort und Tradition, sondern
lebendiger Begriff ist. Von Jugend auf war mit dieses mein Trieb und
meine Plage, jetzt, da das Alter kommt, will ich wenigstens das
Erreichbare erreichen und das Tunliche tun, da ich so lange verdient
und unverdient das Schicksal des Sisyphus und Tantalus erduldet habe.
Bleibt in der Liebe und Glauben an mich. Mit den Menschen hab' ich
jetzt ein leidlich Leben und eine gute Art Offenheit, ich bin wohl und
freue mich meiner Tage.
Tischbein ist sehr brav, doch fürchte ich, er wird nie in einen solchen
Zustand kommen, in welchem er mit Freude und Freiheit arbeiten kann.
Mündlich mehr von diesem auch wunderbaren Menschen. Mein Porträt
wird glücklich, es gleicht sehr, und der Gedanke gefällt jedermann;
Angelika malt mich auch, daraus wird aber nichts. Es verdrießt sie sehr,
daß es nicht gleichen und werden will. Es ist immer ein hübscher
Bursche, aber keine Spur von mir.
Rom, den 30. Juni.
Das große Fest St. Peter und Paul ist endlich auch herangekommen;
gestern haben wir
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