Italienische Reise, vol 1 | Page 6

Johann Wolfgang von Goethe
doch gleich bemerkt und freute sich, da mehrere nach und nach erschienen, da? sie auch diesen Baum unterscheiden k?nne. Sie gehe, sagte sie, nach Bozen auf die Messe, wo ich doch wahrscheinlich auch hinz?ge. Wenn sie mich dort antr?fe, müsse ich ihr einen Jahrmarkt kaufen, welches ich ihr denn auch versprach. Dort wollte sie auch ihre neue Haube aufsetzen, die sie sich in München von ihrem Verdienst habe machen lassen. Sie wolle mir solche im voraus zeigen. Nun er?ffnete sie die Schachtel, und ich mu?te mich des reichgestickten und wohlbeb?nderten Kopfschmuckes mit ihr erfreuen.
über eine andere frohe Aussicht vergnügten wir uns gleichfalls zusammen. Sie versicherte n?mlich, da? es gut Wetter g?be. Sie trügen ihren Barometer mit sich, und das sei die Harfe. Wenn sich der Diskant hinaufstimme, so gebe es gutes Wetter, und das habe er heute getan. Ich ergriff das Omen, und wir schieden im besten Humor, in der Hoffnung eines baldigen Wiedersehns.
Auf dem Brenner, den 8. September, abends.
Hierher gekommen, gleichsam gezwungen, endlich an einen Ruhepunkt, an einen stillen Ort, wie ich ihn mir nur h?tte wünschen k?nnen. Es war ein Tag, den man jahrelang in der Erinnerung genie?en kann. Um sechs Uhr verlie? ich Mittenwald, den klaren Himmel reinigte ein scharfer Wind vollkommen. Es war eine K?lte, wie sie nur im Februar erlaubt ist. Nun aber bei dem Glanze der aufgehenden Sonne die dunkeln, mit Fichten bewachsenen Vordergründe, die grauen Kalkfelsen dazwischen und dahinter die beschneiten h?chsten Gipfel auf einem tieferen Himmelsblau, das waren k?stliche, ewig abwechselnde Bilder.
Bei Scharnitz kommt man ins Tirol. Die Grenze ist mit einem Walle geschlossen, der das Tal verriegelt und sich an die Berge anschlie?t. Es sieht gut aus: an der einen Seite ist der Felsen befestigt, an der andern steigt er senkrecht in die H?he. Von Seefeld wird der Weg immer interessanter, und wenn er bisher seit Benediktbeuern herauf von H?he zu H?he stieg und alle Wasser die Region der Isar suchten, so blickt man nun über einen Rücken in das Inntal, und Inzingen liegt vor uns. Die Sonne war hoch und hei?, ich mu?te meine Kleidung erleichtern, die ich bei der ver?nderlichen Atmosph?re des Tages oft wechsele.
Bei Zirl f?hrt man ins Inntal herab. Die Lage ist unbeschreiblich sch?n, und der hohe Sonnenduft machte sie ganz herrlich. Der Postillon eilte mehr, als ich wünschte: er hatte noch keine Messe geh?rt und wollte sie in Innsbruck, es war eben Marientag, um desto and?chtiger zu sich nehmen. Nun rasselte es immer an dem Inn hinab, an der Martinswand vorbei, einer steil abgehenden ungeheuern Kalkwand. Zu dem Platze, wohin Kaiser Maximilian sich verstiegen haben soll, getraute ich mir wohl ohne Engel hin und her zu kommen, ob es gleich immer ein frevelhaftes Unternehmen w?re.
Innsbruck liegt herrlich in einem breiten, reichen Tale zwischen hohen Felsen und Gebirgen. Erst wollte ich dableiben, aber es lie? mir keine Ruhe. Kurze Zeit ergetzte ich mich an dem Sohne des Wirts, einem leibhaftigen S?ller. So begegnen mir nach und nach meine Menschen. Das Fest Mari? Geburt zu feiern, ist alles geputzt. Gesund und wohlh?big, zu Scharen, wallfahrten sie nach Wilten, einem Andachtsorte, eine Viertelstunde von der Stadt gegen das Gebirge zu. Um zwei Uhr, als mein rollender Wagen das muntere bunte Gedr?nge teilte, war alles in frohem Zug und Gang.
Von Innsbruck herauf wird es immer sch?ner, da hilft kein Beschreiben. Auf den gebahntesten Wegen steigt man eine Schlucht herauf, die das Wasser nach dem Inn zu sendet, eine Schlucht, die den Augen unz?hlige Abwechselungen bietet. Wenn der Weg nah am schroffsten Felsen hergeht, ja in ihn hineingehauen ist, so erblickt man die Seite gegenüber sanft abh?ngig, so da? noch kann der sch?nste Feldbau darauf geübt werden. Es liegen D?rfer, H?user, H?uschen, Hütten, alles wei? angestrichen, zwischen Feldern und Hecken auf der abh?ngenden hohen und breiten Fl?che. Bald ver?ndert sich das Ganze; das Benutzbare wird zur Wiese, bis sich auch das in einen steilen Abhang verliert.
Zu meiner Welterschaffung habe ich manches erobert, doch nichts ganz Neues und Unerwartetes. Auch habe ich viel getr?umt von dem Modell, wovon ich so lange rede, woran ich so gern anschaulich machen m?chte, was in meinem Innern herumzieht, und was ich nicht jedem in der Natur vor Augen stellen kann.
Nun wurde es dunkler und dunkler, das Einzelne verlor sich, die Massen wurden immer gr??er und herrlicher, endlich, da sich alles nur wie ein tiefes geheimes Bild vor mir bewegte, sah ich auf einmal wieder die hohen Schneegipfel vom Mond beleuchtet, und nun erwarte ich, da? der Morgen diese Felsenkluft erhelle, in der ich auf der Grenzscheide des Südens und Nordens eingeklemmt bin.
Ich füge noch einige Bemerkungen hinzu über die Witterung, die mir vielleicht ebendeswegen so günstig ist, weil ich ihr so viele Betrachtungen widme. Auf dem flachen Lande empf?ngt man gutes und b?ses Wetter, wenn es schon fertig geworden, im Gebirge ist man gegenw?rtig, wenn es
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