Italienische Reise, vol 1 | Page 4

Johann Wolfgang von Goethe
Regenflu? herauf hatte in uralten Zeiten Ebbe und Flut aus dem Donautal in alle die T?ler gewirkt, die gegenw?rtig ihre Wasser dorthin ergie?en, und so sind diese natürlichen Polder entstanden, worauf der Ackerbau gegründet ist. Diese Bemerkung gilt in der Nachbarschaft aller gr??ern und kleinern Flüsse, und mit diesem Leitfaden kann der Beobachter einen schnellen Aufschlu? über jeden der Kultur geeigneten Boden erlangen.
Donau bei Regensburg. Zeichnung von Goethe
Regensburg liegt gar sch?n. Die Gegend mu?te eine Stadt herlocken; auch haben sich die geistlichen Herren wohl bedacht. Alles Feld um die Stadt geh?rt ihnen, in der Stadt steht Kirche gegen Kirche und Stift gegen Stift. Die Donau erinnert mich an den alten Main. Bei Frankfurt haben Flu? und Brücke ein besseres Ansehn, hier aber nimmt sich das gegenüberliegende Stadt am Hof recht artig aus. Ich verfügte mich gleich in das Jesuitenkollegium, wo das j?hrliche Schauspiel durch Schüler gegeben ward, sah das Ende der Oper und den Anfang des Trauerspiels. Sie machten es nicht schlimmer als eine angehende Liebhabertruppe und waren recht sch?n, fast zu pr?chtig gekleidet. Auch diese ?ffentliche Darstellung hat mich von der Klugheit der Jesuiten aufs neue überzeugt. Sie verschm?hten nichts, was irgend wirken konnte, und wu?ten es mit Liebe und Aufmerksamkeit zu behandeln. Hier ist nicht Klugheit, wie man sie sich in Abstracto denkt, es ist eine Freude an der Sache dabei, ein Mit--und Selbstgenu?, wie er aus dem Gebrauche des Lebens entspringt. Wie diese gro?e geistliche Gesellschaft Orgelbauer, Bildschnitzer und Vergulder unter sich hat, so sind gewi? auch einige, die sich des Theaters mit Kenntnis und Neigung annehmen, und wie durch gef?lligen Prunk sich ihre Kirchen auszeichnen, so bem?chtigen sich die einsichtigen M?nner hier der weltlichen Sinnlichkeit durch ein anst?ndiges Theater.
Heute schreibe ich unter dem neunundvierzigsten Grade. Er l??t sich gut an. Der Morgen war kühl, und man klagt auch hier über N?sse und K?lte des Sommers; aber es entwickelte sich ein herrlicher gelinder Tag. Die milde Luft, die ein gro?er Flu? mitbringt, ist ganz etwas Eigenes. Das Obst ist nicht sonderlich. Gute Birnen hab' ich gespeist; aber ich sehne mich nach Trauben und Feigen.
Der Jesuiten Tun und Wesen h?lt meine Betrachtungen fest. Kirchen, Türme, Geb?ude haben etwas Gro?es und Vollst?ndiges in der Anlage, das allen Menschen insgeheim Ehrfurcht einfl??t. Als Dekoration ist nun Gold, Silber, Metall, geschliffene Steine in solcher Pracht und Reichtum geh?uft, der die Bettler aller St?nde blenden mu?. Hier und da fehlt es auch nicht an etwas Abgeschmacktem, damit die Menschheit vers?hnt und angezogen werde. Es ist dieses überhaupt der Genius des katholischen ?u?eren Gottesdienstes; noch nie habe ich es aber mit so viel Verstand, Geschick und Konsequenz ausgeführt gesehen als bei den Jesuiten. Alles trifft darin überein, da? sie nicht wie andere Ordensgeistliche eine alte abgestumpfte Andacht fortsetzten, sondern sie dem Geist der Zeit zuliebe durch Prunk und Pracht wieder aufstutzten.
Ein sonderbar Gestein wird hier zu Werkstücken verarbeitet, dem Scheine nach eine Art Totliegendes, das jedoch für ?lter, für ursprünglich, ja für porphyrartig gehalten werden mu?. Es ist grünlich mit Quarz gemischt, l?cherig, und es finden sich gro?e Flecke des festesten Jaspis darin, in welchem sich wieder kleine runde Flecken von Breccienart zeigen. Ein Stück war gar zu instruktiv und appetitlich, der Stein aber zu fest, und ich habe geschworen, mich auf dieser Reise nicht mit Steinen zu schleppen.
München, den 6. September.
Den fünften September halb ein Uhr Mittag reiste ich von Regensburg ab. Bei Abach ist eine sch?ne Gegend, wo die Donau sich an Kalkfelsen bricht, bis gegen Saale. Es ist der Kalk wie der bei Osteroda am Harz, dicht, aber im ganzen l?cherig. Um sechs Uhr morgens war ich in München, und nachdem ich mich zw?lf Stunden umgesehen, will ich nur weniges bemerken. In der Bildergalerie fand ich mich nicht einheimisch; ich mu? meine Augen erst wieder an Gem?lde gew?hnen. Es sind treffliche Sachen. Die Skizzen von Rubens von der Luxemburger Galerie haben mir gro?e Freude gemacht.
Hier steht auch das vornehme Spielwerk, die Trajanische S?ule in Modell. Der Grund Lapislazuli, die Figuren verguldet. Es ist immer ein sch?n Stück Arbeit, und man betrachtet es gern.
Im Antikensaale konnte ich recht bemerken, da? meine Augen auf diese Gegenst?nde nicht geübt sind, deswegen wollte ich nicht verweilen und Zeit verderben. Vieles sprach mich gar nicht an, ohne da? ich sagen k?nnte warum. Ein Drusus erregte meine Aufmerksamkeit, zwei Antonine gefielen mir und so noch einiges. Im ganzen stehen die Sachen auch nicht glücklich, ob man gleich mit ihnen hat aufputzen wollen, und der Saal oder vielmehr das Gew?lbe ein gutes Ansehn h?tte, wenn es nur reinlicher und besser unterhalten w?re. Im Naturalienkabinett fand ich sch?ne Sachen aus Tirol, die ich in kleinen Musterstücken schon kenne, ja besitze.
Es begegnete mir eine Frau mit Feigen, welche als die ersten vortrefflich schmeckten. Aber das Obst überhaupt ist doch für den achtundvierzigsten Grad nicht besonders gut. Man klagt hier
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