Isabella von Aegypten | Page 5

Achim von Arnim
und heulte. "Also du wei?t es auch schon, Simson?" fragte sie ihn, und der Hund nickte. "Willst du mir künftig dienen?" Der Hund nickte wieder, lief ans Fenster und kratzte. Bella sah hinaus, der Schieber war offen geblieben: sie sah die Gestalt ihres Vaters ferngl?nzend schweben, und pl?tzlich sank er hinunter. "Jetzt haben sie ihn heruntergenommen, jetzt halten sie ihm ein Ehrenmahl, ich mu? auch unter freien Himmel zum Totenmahl."
Mit dem Weinkruge und dem Brote, den schwarzen Hund zur Seite, trat sie in den verwüsteten Garten; das Haus war schon seit zehn Jahren der Gespenster wegen unbewohnt geblieben, denn so lange hatten die Zigeuner sich darin eingenistet und den Besitzer, einen reichen Kaufmann der Stadt, der es sich als Sommersitz eingerichtet hatte, daraus zurückgeschreckt, bis er selbst wegen eines Bankerotts eingesteckt und sein Verm?gen für die Gl?ubiger in bekannter Nachl?ssigkeit verwaltet wurde. Jetzt hatten sie unter dem Schwert der Gerechtigkeit vollkommene Ruhe, dort zu hausen, nur durften sie sich am Tage nicht zeigen, w?hrend ihnen nachts alle Leute aus dem Wege gingen. So trat das bleiche, sch?ne Kind wie ein Gespenst zur Haustüre hinaus, und der W?chter in den nahen G?rten flüchtete sich bei ihrem Anblick in eine entfernte Kapelle, um betend den heiligen Schutz des Glaubens zu fühlen. Bella wu?te nicht, da? sie erschreckte, die Trauer um den Verlust ihres einzigen Gedankens, ihres Vaters, über den sie sich ganz vergessen hatte, machte sie stumpfsinnig, sie wu?te nichts als die Regeln der alten Braka genau zu erfüllen; es war ihr das Liebste, da? sie noch etwas zu ihres Vaters Ehre tun konnte. Sie breitete also, wie es bei Totenmahlen ihres Volkes gew?hnlich, ihren Schleier über einen Feldstein aus, setzte zwei Becher und zwei Teller darauf, brach ihr Brot für beide, go? Wein in beide Becher, stie? mit den Bechern an, leerte den ihren und schüttete den Becher des Toten in den schwimmenden Bach, der sich in geringer Entfernung von dem Hause in die Schelde verlor. Und wie sie dies erste Opfer in den Flu? schütten wollte, da rauschte es in der Flut und tauchte empor, als ob ein gro?er Fisch, der in dem Strome keinen Raum hatte, auftauchte und emporschw?mme, der Mond trat hinter dem Hause hervor, und sie sah ihres Vaters bleiches Angesicht, auf seinem Haupt die Krone, welche ihm die Zigeuner aufgesetzt hatten, ehe sie ihn in das flie?ende Wasser warfen. Und wie die Welle mit dem teuren Haupte kreiste, so ging dem armen Kinde der Kopf um; sie glaubte, er lebe noch, er suche sich aus dem Wasser zu retten, sie sprang hinein und hielt ihn fest, der schwarze Hund hielt aber sie am Rocke fest und stemmte sich gegen das Ufer; so wurde sie in sinnloser Trauer festgehalten und konnte weder den Leichnam ans Ufer bringen, noch mit ihm fortschwimmen ins Meer. Endlich kam Braka zurück, und da ihr an der Türe nicht aufgemacht worden, schlich sie in den Garten, wo sie das wunderbare Bild wie versteinert sah, den kr?ftigen Michael im Totenhemde mit der gl?nzenden silbernen Krone, über ihm das bleiche M?dchen, die schwarzen Locken über ihm hinwallend, an ihrem Kleide gehalten von dem schwarzen Hunde mit feurigen Augen. Die Alte mu?te nach ihrer Art lachen, weil es etwas so Seltsames war, ungeachtet es ihr sehr zu Herzen ging und sie nicht von Herzen, sondern nur mit dem dürren Munde wie ein Hungernder lachen mu?te; dann sprang sie hinzu, hob das M?dchen mit Gewalt ans Ufer und sprach: "La? ihn ziehen, er wei? seinen Weg besser als du!"
Bei diesen Worten zog die Leiche still hinunter, und der Mond ging unter Wolken, und Bella sank in die Arme der Alten.
Vier Wochen des Schmerzes waren vergangen, die Alte konnte ihrer eigenen Sicherheit wegen nicht alle Tage kommen, und Bella langeweilte sich mit dem Hunde, dessen Künste sie nicht mehr sehen mochte, der ewig schlief, oder, wenn gegessen wurde, wedelte, sich leckte, kratzte; sie kam endlich darauf, womit andere Erben anfangen, den Nachla? der Verstorbenen zu durchsuchen. Sie schlo? die geheime Kammer auf, nicht ohne Schrecken und Ehrfurcht, aber ihre Erwartung war get?uscht; da waren keine seltene Kleider und Kostbarkeiten, meist nur Bündel von Kr?utern, S?cke mit Wurzeln, einige Steine, lauter Dinge, von denen sie nichts verstand, weil der Vater ihrem kindischen Wesen keine Achtsamkeit für das Geheime zugetraut hatte. Endlich fand sie doch in einer Kiste alte Schriften, die sie durchbl?ttern konnte, manche mit k?stlichen Siegeln geziert, auf wunderlichem Papier in fremder Sprache, die sie aber noch nicht gelernt hatte, andre aber niederl?ndisch-deutsch, das sie wohl schreiben und lesen konnte, da ihre Mutter, aus einem alten Hause der Grafen von Hogstraaten mit Michael entflohen, diese Liebe zur alten Sprache ihrem Manne und ihrem Kinde zugebracht hatte. Sie nahm diese Bücher und las eben nachts, denn bei Tage schlief sie, um alles Ger?usch zu vermeiden, als Braka ihr
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