Isabella von Aegypten | Page 6

Achim von Arnim

fand sie doch in einer Kiste alte Schriften, die sie durchblättern konnte,
manche mit köstlichen Siegeln geziert, auf wunderlichem Papier in
fremder Sprache, die sie aber noch nicht gelernt hatte, andre aber
niederländisch-deutsch, das sie wohl schreiben und lesen konnte, da
ihre Mutter, aus einem alten Hause der Grafen von Hogstraaten mit
Michael entflohen, diese Liebe zur alten Sprache ihrem Manne und
ihrem Kinde zugebracht hatte. Sie nahm diese Bücher und las eben
nachts, denn bei Tage schlief sie, um alles Geräusch zu vermeiden, als
Braka ihr durch eine zahme Ohreule, mit der sie sich seit einiger Zeit
herumtrieb, ein dreimaliges Zeichen gab, daß sie eingelassen sein
wollte. Bella sprang unwillig von ihrem Buche auf, das merkwürdige
Zauberhistorien enthielt, und wie Braka eingetreten, setzte sie sich
wieder stillschweigend dabei nieder, daß die Alte ganz böse ihre Hände
in die beiden Seiten stemmte: "Nun, kriegt die alte Braka heut keinen
Gruß, keinen Kuß? ja wenn die Kinder klein sind, so wissen sie kaum,
was sie einem alles für Liebes und Gutes antun sollen, aber kaum
fangen sie an, was vollständig zu werden, da haben sie keine Ohren
mehr für alles Gute, was man ihnen tun möchte; nun, den Kuchen sollst
du heute nicht bekommen, wenn du mich nicht recht darum bittest,

habe darum eine halbe Stunde beim Bäcker warten müssen, der sollte
heute auf des Prinzen Tisch, die Magd wird sich schöne wundern, wenn
sie beim Bäcker zum Abholen kommt und er schon fort ist."
"Wenn ich dich auch nicht bitte", sagte Bella, "du hast doch keine Ruhe,
bis ich ein Stück davon gegessen; gib nur her und sei nicht böse. Ich
bin heute bei meines Vaters Büchern gewesen und habe da so schöne
Geschichten gefunden, daß ich gern ein Gespenst werden möchte." Die
Alte sah in das Buch hinein und sagte: "Es ist doch sonderbar, daß ich
so alt bin und kann nicht lesen, und du bist nur so ein Kuckindiewelt
und kannst es schon; nun hör einmal, wenn du Lust hast, ein Gespenst
zu werden, du kannst dazu kommen, das fällt mir soeben ein, und wir
können es brauchen."
"Was ist denn, du siehst ja so bedenklich aus?"
"Sieh nur, Bella", fuhr die Alte fort, "es ist auch keine Kleinigkeit, was
dir bevorsteht: denk nur, Prinz Karl ist gestern vor diesem Gartenhause
mit seinem Lehrer Cenrio vorbeigeritten und hat gefragt, wie es käme,
daß es so verschlossen und verfallen aussähe. Cenrio hat ihm erzählt,
wie die Gespenster alle Käufer und Mieter abgeschreckt hätten, alles,
wie du es weißt; wie dein Vater einen, der sich durchaus hier
niederlassen wollte, mit Ruten gehauen; die vielen Eulen, die er in
einer Kammer eingesperrt hatte und sie einem andern um den Kopf
fliegen ließ, nun, du weißt alles; der Prinz aber, statt daß er dadurch
geschreckt worden, schwur, daß er ganz allein eine Nacht in diesem
Hause schlafen und die Geister bald vertreiben wolle. Was fangen wir
nun an? es kann jede Nacht geschehen, daß er in dies Haus kommt, und
seine Leute werden die Ausgänge sicher so besetzen, daß keiner von
den Unsern heraus- oder hereinkann."
"Hör, Braka", sprach Bella, "den Prinzen möchte ich doch gern sehen,
ich habe so viel von ihm gehört, wie schön er ist und wie edel, wie er
fechten und reiten kann."
"Du denkst nun schon wieder an den Prinzen und nicht an unsre Not",
fuhr Braka fort; "hast du wohl Geschick, das Gespenst zu spielen? Das
könnte dich retten!"
"Warum nicht", meinte Bella, "aber wie soll ich's anfangen?" und las
weiter in ihrem Buche. "Sieh, Kind", sprach die Alte, "er kann in
keinem andern Zimmer schlafen, als in dem schwarzen mit den
goldenen Leisten, neben welchem das geheime Kämmerlein deines

Vaters versteckt ist, denn die andern Zimmer haben alle mehr Eingänge,
da ist es ihm nicht so sicher, auch steht nur in diesem eine Bettstelle.
Nun sieh, wenn du merkst, daß er stille, daß er eingeschlafen, so
schleich aus der Kammer heraus, leg dich zu ihm ins Bette, und ich
schwör dir, daß er vor Angst davonläuft und nie wiederkommt; sollte er
aber Mut behalten und dich festhalten, sieh, so kostet es dir ja nur eine
Lüge, daß du aus Liebe zu ihm eingedrungen, und dein Glück ist
vielleicht gemacht."
"Ja, Alte", sagte Bella und las weiter, "wie du meinst, du mußt das
verstehen, ich weiß nichts davon."
"Aber sag mir nur, wo du das verfluchte Buch herbekommen hast",
fragte die Alte weiter, "wenn ich mit dir ernsthafte Sachen rede, denkst
du an nichts als an das Buch."
"Ich hab es aus des Vaters Kammer geholt", sagte Bella, "es liegen da
noch mehrere, nimm dir auch eins."
"Wenn du es erlaubst", sagte die Alte, "so gehe ich gern einmal herein;
ich habe mich immer gefürchtet, es dir zu sagen, ich wußte nicht, ob
dein Vater es nicht verboten."
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