Iphigenie auf Tauris | Page 3

Johann Wolfgang von Goethe
Misstraun. Den vielleicht, ach wuesstest du?Wer vor dir steht, und welch verwuenschtes Haupt?Du naehrst und schuetzest, ein Entsetzen fasste?Dein grosses Herz mit seltnem Schauer an,?Und statt die Seite deines Thrones mir?Zu bieten, triebest du mich vor der Zeit?Aus deinem Reiche; stiessest mich vielleicht,?Eh' zu den Meinen frohe Rueckkehr mir?Und meiner Wandrung Ende zugedacht ist,?Dem Elend zu, das jeden Schweifenden,?Von seinem Haus Vertriebnen ueberall?Mit kalter fremder Schreckenshand erwartet.
Thoas.?Was auch der Rath der Goetter mit dir sei,?Und was sie deinem Haus und dir gedenken;?So fehlt es doch, seitdem du bei uns wohnst?Und eines frommen Gastes Recht geniessest,?An Segen nicht, der mir von oben kommt.?Ich moechte schwer zu ueberreden sein,?Dass ich an dir ein schuldvoll Haupt beschuetze.
Iphigenie.?Dir bringt die Wohlthat Segen, nicht der Gast.
Thoas.?Was man Verruchten thut wird nicht gesegnet.?Drum endige dein Schweigen und dein Weigern;?Es fordert diess kein ungerechter Mann.?Die Goettin uebergab dich meinen Haenden;?Wie du ihr heilig warst, so warst du's mir.?Auch sei ihr Wink noch kuenftig mein Gesetz:?Wenn du nach Hause Rueckkehr hoffen kannst,?So sprech' ich dich von aller Fordrung los.?Doch ist der Weg auf ewig dir versperrt,?Und ist dein Stamm vertrieben, oder durch?Ein ungeheures Unheil ausgeloescht,?So bist du mein durch mehr als Ein Gesetz.?Sprich offen! und du weisst, ich halte Wort.
Iphigenie.?Vom alten Bande loeset ungern sich?Die Zunge los, ein lang verschwiegenes?Geheimniss endlich zu entdecken; denn?Einmal vertraut, verlaesst es ohne Rueckkehr?Des tiefen Herzens sichre Wohnung, schadet,?Wie es die Goetter wollen, oder nuetzt.?Vernimm! ich bin aus Tantalus Geschlecht.
Thoas.?Du sprichst ein grosses Wort gelassen aus.?Nennst du Den deinen Ahnherrn, den die Welt?Als einen ehmals Hochbegnadigten?Der Goetter kennt? Ist's jener Tantalus,?Den Jupiter zu Rath und Tafel zog,?An dessen alterfahrnen, vielen Sinn?Verknuepfenden Gespraechen Goetter selbst,?Wie an Orakelspruechen, sich ergetzten?
Iphigenie.?Er ist es; aber Goetter sollten nicht?Mit Menschen, wie mit ihres Gleichen, wandeln;?Das sterbliche Geschlecht ist viel zu schwach?In ungewohnter Hoehe nicht zu schwindeln.?Unedel war er nicht und kein Verraether;?Allein zum Knecht zu gross, und zum Gesellen?Des grossen Donnrers nur ein Mensch. So war?Auch sein Vergehen menschlich; ihr Gericht?War streng, und Dichter singen: uebermuth?Und Untreu' stuerzten ihn von Jovis Tisch?Zur Schmach des alten Tartarus hinab.?Ach und sein ganz Geschlecht trug ihren Hass!
Thoas.?Trug es die Schuld des Ahnherrn oder eigne?
Iphigenie.?Zwar die gewalt'ge Brust und der Titanen?Kraftvolles Mark war seiner Soehn' und Enkel?Gewisses Erbtheil; doch es schmiedete?Der Gott um ihre Stirn ein ehern Band.?Rath, Maessigung und Weisheit und Geduld?Verbarg er ihrem scheuen duestern Blick;?Zur Wuth ward ihnen jegliche Begier,?Und graenzenlos drang ihre Wuth umher.?Schon Pelops, der Gewaltig-wollende,?Des Tantalus geliebter Sohn, erwarb?Sich durch Verrath und Mord das schoenste Weib,?oenomaus Erzeugte, Hippodamien.?Sie bringt den Wuenschen des Gemahls zwei Soehne,?Thyest und Atreus. Neidisch sehen sie?Des Vaters Liebe zu dem ersten Sohn?Aus einem andern Bette wachsend an.?Der Hass verbindet sie, und heimlich wagt?Das Paar im Brudermord die erste That.?Der Vater waehnet Hippodamien?Die Moerderin, und grimmig fordert er?Von ihr den Sohn zurueck, und sie entleibt?Sich selbst--
Thoas.
Du schweigest? Fahre fort zu reden!?Lass dein Vertraun dich nicht gereuen! Sprich!
Iphigenie.?Wohl dem, der seiner Vaeter gern gedenkt,?Der froh von ihren Thaten, ihrer Groesse?Den Hoerer unterhaelt, und still sich freuend?An's Ende dieser schoenen Reihe sich?Geschlossen sieht! Denn es erzeugt nicht gleich?Ein Haus den Halbgott noch das Ungeheuer;?Erst eine Reihe Boeser oder Guter?Bringt endlich das Entsetzen, bringt die Freude?Der Welt hervor.--Nach ihres Vaters Tode?Gebieten Atreus und Thyest der Stadt,?Gemeinsam-herrschend. Lange konnte nicht?Die Eintracht dauern. Bald entehrt Thyest?Des Bruders Bette. Raechend treibet Atreus?Ihn aus dem Reiche. Tueckisch hatte schon?Thyest, auf schwere Thaten sinnend, lange?Dem Bruder einen Sohn entwandt und heimlich?Ihn als den seinen schmeichelnd auferzogen.?Dem fuellet er die Brust mit Wuth und Rache?Und sendet ihn zur Koenigsstadt, dass er?Im Oheim seinen eignen Vater morde.?Des Juenglings Vorsatz wird entdeckt: der Koenig?Straft grausam den gesandten Moerder, waehnend,?Er toedte seines Bruders Sohn. Zu spaet?Erfaehrt er, wer vor seinen trunknen Augen?Gemartert stirbt; und die Begier der Rache?Aus seiner Brust zu tilgen, sinnt er still?Auf unerhoerte That. Er scheint gelassen?Gleichgueltig und versoehnt, und lockt den Bruder?Mit seinen beiden Soehnen in das Reich?Zurueck, ergreift die Knaben, schlachtet sie,?Und setzt die ekle schaudervolle Speise?Dem Vater bei dem ersten Mahle vor.?Und da Thyest an seinem Fleische sich?Gesaettigt, eine Wehmuth ihn ergreift,?Er nach den Kindern fragt, den Tritt, die Stimme?Der Knaben an des Saales Thuere schon?Zu hoeren glaubt, wirft Atreus grinsend?Ihm Haupt und Fuesse der Erschlagnen hin.--?Du wendest schaudernd dein Gesicht, o Koenig:?So wendete die Sonn' ihr Antlitz weg?Und ihren Wagen aus dem ewg'en Gleise.?Diess sind die Ahnherrn deiner Priesterin;?Und viel unseliges Geschick der Maenner,?Viel Thaten des verworrnen Sinnes deckt?Die Nacht mit schweren Fittigen und laesst?Uns nur die grauenvolle Daemmrung sehn.
Thoas.?Verbirg sie schweigend auch. Es sei genug?Der Graeuel! Sage nun, durch welch ein Wunder?Von diesem wilden Stamme du entsprangst.
Iphigenie.?Des Altreus aelt'ster Sohn war Agamemnon:?Er ist mein Vater. Doch ich darf es sagen,?In ihm hab' ich seit meiner ersten Zeit?Ein Muster des vollkommnen Manns gesehn.?Ihm brachte Klytaemnestra mich, den Erstling?Der Liebe, dann Elektren. Ruhig herrschte?Der Koenig, und es war dem Hause Tantals?Die lang entbehrte Rast gewaehrt. Allein?Es mangelte dem Glueck
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