Im Sonnenschein | Page 4

Theodor W. Storm
diesen kargen Spuren eines dahingegangenen Lebens; er blickte fast mit Inbrunst in das feine blasse Gesichtchen. Der Garten, wie er ihn als Knabe noch gesehen, trat vor seine Phantasie; er sah sie darin wandeln zwischen den seltsamen Buchsbaumzügen; er h?rte das Knistern ihres Schuhes auf den Muschelsteigen, das Rauschen ihres Kleides. Aber die Gestalt, die er so heraufbeschworen, blieb allein, gebannt in dem grünen Fleckchen, das vor seinem inneren Auge stand. Was sich um die Lebende einst mochte bewegt haben: ihre Gespielinnen, die T?chter aus den alten finsteren Patrizierh?usern, der Freund, der nach ihr sp?hte zwischen den Büschen des Gartens, hatte er keine Macht ihr zu gesellen. ?Wer wei? von ihnen!? sprach er vor sich hin; das kleine Medaillon war ihm wie ein Siegel auf der Brust des vor so langer Zeit verstorbenen M?dchens.
Die Gro?mutter setzte die Tasse auf die Fensterbank; sie hatte ihn sprechen h?ren. ?Bist du in unsrer Gruft gewesen, Martin?? fragte sie, ?und sind die Reparaturen bald zustande??
?Ja, Gro?mutter.?
-- ?Es mu? alles in Ordnung sein; wir haben in unsrer Familie immer auf Reputation gehalten.?
?Es wird alles in Ordnung kommen,? sagte der Enkel, ?aber es ist ein Sarg eingestürzt; das hat ein Aufschub gegeben.?
-- ?Sind denn die Eisenstangen abgerostet??
?Das nicht. Er stand zu hinterst neben dem Gitter; das Wasser ist darauf getropft.?
-- ?Das mu? Tante Fr?nzchen sein,? sagte die Gro?mutter nach einigem Besinnen. -- ?Lag denn ein Kranz darauf??
Martin sah die Gro?mutter an. ?Ein Kranz? -- -- Ich wei? es nicht; er mag auch wohl vergangen sein.?
Die Greisin nickte langsam mit dem Kopf und sah eine Weile schweigend vor sich hin. ?Ja, ja!? sagte sie dann, fast wie besch?mt, ?es ist nun freilich schon über fünfzig Jahre her, da? sie begraben wurde. Ihr F?cher, der mit Schmelz und Flitter, liegt noch drüben im Saal in der Spiegelkommode; ich habe ihn aber gestern nicht finden k?nnen.?
Der Enkel vermochte ein L?cheln nicht zu unterdrücken. Die Gro?mutter bemerkte es und sagte: ?Deine Braut, der Wildfang, ist mir wohl wieder über meinem Kram gewesen. Ihr sollt mir das nicht zu euren Possen gebrauchen!?
?Aber, Gro?mutter, wie sie neulich abends in deinem Reifrock durch den Garten promenierte -- ihr w?ret alle eifersüchtig geworden, wenn sie anno Neunzig so in eure Laube getreten w?re.?
-- ?Du bist ein eitler Junge, Martin!?
?Freilich,? fuhr er fort, ?die fremden braunen Augen hat sie nun einmal; die kommen jetzt ohne Gnade in die Familie!?
-- ?Nun, nun!? sagte die Gro?mutter, ?die braunen Augen sind schon gut, wenn nur ein gutes Herz herausschaut. -- Aber den F?cher soll sie mir in Ehren halten! Tante Fr?nzchen trug ihn auf deines Gro?vaters Hochzeit, und mich dünkt, ich sehe sie noch mit der dunkelroten Rose in den Haaren. Nachher hat sie dann nicht gar lange mehr gelebt. -- Es war eine gro?e Liebe zwischen den Geschwistern; sie hat ihrem Bruder dazumalen auch ihr Portr?t geschenkt, und dein Gro?vater hat es, so lange er lebte, bei sich in seiner Schreibschatulle gehabt. -- Sp?ter hingen wir es denn hierher, zu ihm und zu den Eltern.?
?Sie ist wohl sch?n gewesen, Gro?mutter?? fragte der Enkel, indem er nach dem Bilde hinüberblickte.
Die Gro?mutter schien ihn nur halb zu h?ren. ?Sie war ein kluges Frauenzimmer,? sagte sie, ?und sehr geschickt in der Feder. W?hrend dein Gro?vater in Marseille war, und auch wohl sp?ter noch, hat sie dem alten Vater alle Jahre die Klosterrechnungen ausgeschrieben; denn er war Klostervorsteher und dann Ratsverwalter, ehe er zweiter Bürgermeister wurde. -- Sie hatte auch eine schlanke, wohlproportionierte Figur, und dein Gro?vater pflegte sie wohl mit ihren feinen H?nden zu necken; aber heiraten hat sie niemalen wollen.?
?Gab es denn derzeit keine jungen M?nner in der Stadt, oder haben ihr die Freier nicht gefallen??
?Das,? sagte die Gro?mutter, indem sie mit den H?nden über ihren Scho? strich, ?das, mein liebes Kind, hat sie mit sich in ihr Grab genommen. -- Man sagte wohl, sie hab' einmal einen leiden k?nnen; -- Gott mag es wissen! Es war ein Freund deines Gro?vaters und ein reputierlicher Mensch. Aber er war Offizier und Edelmann; und dein Urgro?vater war immer sehr gegen das Milit?r. -- Auf deines Gro?vaters Hochzeit tanzten sie miteinander, und ich erinnere mich wohl, sie machten ein sch?nes Paar zusammen. Unter den Leuten nannten sie ihn nur den Franzosen; denn er hatte rabenschwarzes Haar, das er nur selten pudern lie?, wenn er nicht just im Dienste war. Es ist aber das letztemal gewesen; er nahm bald darauf seinen Abschied und kaufte sich weit von hier einen kleinen Landsitz, wo er noch einige Zeit nach deines Gro?vaters Tode mit einer unverheirateten Schwester gelebt hat.?
Der Enkel unterbrach sie. ?Es mu? damals ein andres Ding gewesen sein um die Herzensgeschichten,? sagte er nachdenklich.
?Ein andres Ding?? wiederholte die Gro?mutter, indem sie ihrem K?rper für einen Augenblick die Haltung der Jugend wiederzugeben suchte. ?Wir hatten so gut ein Herz wie ihr und haben unser Teil
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