Im Sonnenschein | Page 3

Theodor W. Storm
würde er nach der langen Stille durch ihre Stimme überrascht und ihm erst jetzt das Geheimnis ihres Klanges offenbar, sagte er: ?Du solltest singen, Fr?nzchen!?
Sie schüttelte den Kopf. ?Du wei?t, das taugt für Bürgerm?dchen nicht!?
Er schwieg einen Augenblick; dann fa?te er ihre Hand und sagte: ?Sprich nicht so! auch nicht im Scherz. Du hattest ja schon Lektionen beim Kantor. Was ist es denn??
Sie sah ihn ernsthaft an; bald aber brach ein lustiger Glanz aus ihren Augen. ?Nein,? rief sie, ?schau nicht so finster! Ich will's dir sagen -- ich rechne zu gut!?
Er lachte, und sie lachte mit. ?Bist du mir aber auch zu klug, Franziska??
?Vielleicht!? sagte sie, -- und ihre Stimme erhielt pl?tzlich einen tiefen, herzlichen Klang, als sie es sagte, -- ?du wei?t noch gar nicht, wie! Als du erst hier in die Stadt versetzt warst und dann zu meinem Bruder Fritz ins Haus kamst, war ich ein kleines M?dchen, das noch zwei volle Schuljahre vor sich hatte. Nachmittags, wenn ich nach Haus gekommen, schlich ich mich ?fters in den Saal und stellte mich daneben, wenn ihr euch im Rapieren übtet. Aber du wolltest keine Notiz von mir nehmen. Einmal sogar, als deine Klinge mir in die Schürze fuhr, sagtest du: >Setz dich ins Fenster, Kind<. Du wei?t wohl nicht, was das für b?se Worte waren! -- Nun aber begann ich auf allerlei Listen zu sinnen. Wenn Nachbarskinder bei mir waren, suchte ich dich durch eins der andren M?dchen -- ich selber h?tte es nicht getan -- zur Teilnahme an unsren Spielen zu veranlassen; und wenn du dann in unsren Reihen standest,? --
?Nun, Fr?nzchen!?
?Dann lief ich so oft an dir vorüber, bis du mich endlich doch an meinem wei?en Kleidchen haschen mu?test.?
Sie war dunkelrot geworden. Er legte seine Finger zwischen ihre und hielt sie fest umschlossen. Nach einer Weile sah sie schüchtern zu ihm auf und fragte: ?Hast du denn nichts gemerkt??
?Doch; endlich!? sagte er, ?du bist ja endlich gro? geworden.?
-- ?Und dann? -- Wie kam es denn mit dir??
Er sah sie an, als müsse er ihr Antlitz befragen, ob er reden dürfe. ?Wer wei?,? sagte er, ?ob es je gekommen w?re! Aber die Frau Syndika sagte einmal? -- --
?So sprich doch, Konstantin!?
-- ?Nein; mir zulieb! Geh erst einmal den Steig hinauf!?
Sie tat es. Nachdem sie die abgeschnittenen Rosen in ihre Schürze gesammelt, ging sie, ohne ein Wort zu sagen, nach dem Gartenhause und trat bald darauf mit leeren H?nden wieder aus der Tür. -- Sie hatte zierliche Fü?e und einen behenden Tritt; aber sie stie? im Gehen, unmerklich fast, mit den Knien gegen das Gewand. Der junge Mann folgte dieser Bewegung, so wenig sch?n sie sein mochte, mit den glücklichsten Augen; er merkte es kaum, als die Geliebte jetzt wieder vor ihm stand. ?Nun,? fragte sie, ?was sagte die Frau Syndika? oder war es eine von ihren sieben T?chtern??
?Sie sagte? -- und er lie? seine Augen langsam an ihrer feinen Gestalt hinaufgleiten -- ?sie sagte: >Die Mamsell Fr?nzchen ist eine angenehme Person; aber gehen tut sie wie eine Bachstelze! ?O du!? -- -- und Fr?nzchen legte die H?nde auf den Rücken ineinander und sah freudestrahlend auf ihn nieder.
?Seitdem,? fuhr er fort, ?konnte ich's nicht wieder von mir bringen; überall habe ich müssen dich vor mir gehen und hantieren sehen.?
Sie stand noch immer vor ihm, schweigend und unbeweglich.
?Was hast du?? fragte er, ?du siehst so stolz und vornehm aus!?
Sie sagte: ?Es ist das Glück!?
-- ?O! eine Welt voll!? Und er zog sie mit beiden Armen zu sich nieder.

2.
Es war eine andre Zeit; wohl über sechzig Jahre sp?ter. Aber es war wieder an einem Sommernachmittage, und die Rosen blühten auch wie dazumal. -- In dem oberen Zimmer nach dem Garten hinaus sa? eine alte Frau. Auf ihrem Scho?e, den sie mit einem wei?en Schnupftuch überbreitet hatte, hielt sie eine dampfende Kaffeetasse; doch schien sie heute des gewohnten Trankes zu vergessen; denn nur selten und wie in Gedanken führte sie die Tasse an den Mund.
Nicht weit davon, dem Sofa gegenüber, sa? ihr Enkel, ein Mann über die Zeit der vollsten Jugend noch kaum hinaus. Er stützte seinen Kopf in die Hand und blickte nach den kleinen Familienbildern, die in silberner Fassung über dem Sofa hingen. Der Gro?vater, die Urgro?eltern, Tante Fr?nzchen, des Gro?vaters Schwester, -- sie waren lange tot, er hatte sie nicht gekannt. Nun lie? er seine Augen von einem zum andern gehen, wie er schon oft getan, wenn er mit der Gro?mutter in der stillen Nachmittagsstunde beisammensa?. Auf Tante Fr?nzchens Bilde schienen die Farben am wenigsten verblichen, obwohl sie vor den Eltern und lange vor dem Bruder gestorben war. Die rote Rose in der wei?en Puderfrisur war noch wie frisch gepflückt; auf der amarantfarbenen Kontusche zeichnete sich deutlich ein blaues Medaillon, das an einem dunklen Bande vom Halse auf die Brust herabhing. Der Enkel konnte nicht die Augen wenden von
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