Im Sonnenschein | Page 5

Theodor W. Storm
machten ein schönes Paar zusammen. Unter den Leuten
nannten sie ihn nur den Franzosen; denn er hatte rabenschwarzes Haar,
das er nur selten pudern ließ, wenn er nicht just im Dienste war. Es ist
aber das letztemal gewesen; er nahm bald darauf seinen Abschied und
kaufte sich weit von hier einen kleinen Landsitz, wo er noch einige Zeit
nach deines Großvaters Tode mit einer unverheirateten Schwester
gelebt hat.«
Der Enkel unterbrach sie. »Es muß damals ein andres Ding gewesen
sein um die Herzensgeschichten,« sagte er nachdenklich.
»Ein andres Ding?« wiederholte die Großmutter, indem sie ihrem
Körper für einen Augenblick die Haltung der Jugend wiederzugeben
suchte. »Wir hatten so gut ein Herz wie ihr und haben unser Teil dafür
leiden müssen. -- Aber,« fuhr sie beruhigter fort, »was wißt ihr junges
Volk auch, wie es dazumalen war. Ihr habt die harte Hand nicht über
euch gefühlt; ihr wißt es nicht, wie mäuschenstille wir bei unsren
Spielen wurden, wenn wir den Rohrstock unsres Vaters nur von ferne
auf den Steinen hörten.«
Martin sprang auf und faßte die Hände der Großmutter.
»Nun,« sagte sie, »es mag vielleicht besser sein, so wie es jetzo ist. Ihr
seid glückliche Kinder; aber deines Großvaters Schwester lebte in den
alten Tagen. -- Seit wir nach unsrer Hochzeit das untere Stockwerk hier
im Hause bewohnten, kam sie gern zu uns herunter; manchmal auch

saß sie stundenlang bei deinem Großvater im Kontor und half ihm bei
seinen Schreibereien. Im letzten Jahre, seit ihre Kräfte abzunehmen
anfingen, fand ich sie wohl zuweilen über ihren Rechnungsbüchern
eingeschlafen. Dein Großvater saß dann stille fortarbeitend ihr
gegenüber an der andren Seite des Pultes, und ich erinnere mich noch
gar wohl an das trauervolle Lächeln, womit er, wenn ich zu ihnen
eintrat, mich auf die schlafende Schwester aufmerksam zu machen
pflegte.«
Die Erzählerin schwieg eine Weile und blickte mit weit geöffneten
Augen vor sich hin, während sie mechanisch ihre Tasse schwenkte und
mit Behutsamkeit die Neige ausschlürfte. Dann, nachdem sie die Tasse
neben sich auf die Fensterbank gestellt hatte, sprach sie langsam weiter:
»Unsre alte Anne konnte nicht genug davon erzählen, wie lustig und
umgänglich ihre Mamsell in jüngeren Jahren gewesen sei; auch war sie
die einzige von den Kindern, die bei Gelegenheit mit dem Vater ein
Wort zu reden wagte. -- So lange ich sie gekannt, ist sie immer still und
für sich gewesen; zumal, wenn der Vater im Zimmer war, sprach sie
nur das Notwendige, und wenn sie just gefragt wurde. Was da passiert
sein mag -- dein Großvater hat nie davon gesprochen: -- nun sind sie
alle längst begraben.« --
Der Enkel betrachtete das Bild des Urgroßvaters, und seine Augen
blieben an den strengen Linien haften, die den starken Mund von den
Wangen schieden. »Es muß ein harter Mann gewesen sein,« sagte er.
Die Großmutter nickte. »Er hat seine Söhne bis in ihr dreißigstes Jahr
erzogen,« sagte sie. »Sie haben darum bis in ihr spätes Alter auch
niemals so recht einen eignen Willen gehabt. Dein Großvater hat es oft
genug beklagt. Er wäre am liebsten ein Gelehrter geworden, wie du es
bist; aber die Firma verlangte einen Nachfolger. Es waren damals eben
andre Zeiten.«
Martin nahm das Bild des Großvaters von der Wand. »Das sind milde
Augen,« sagte er.
Die Großmutter streckte die Hände aus, als wollte sie aus ihrem
Lehnstuhl aufstehen; dann ließ sie sie langsam ineinandersinken.

»Jawohl, mein Kind!« sagte sie, »das waren milde Augen! Er hatte
keine Feinde, -- nur einen mitunter -- und das war er selber.«
Die alte Haushälterin trat herein. »Es ist einer von den Maurerleuten
draußen; er wünscht den Herrn zu sprechen.«
»Geh hinaus, Martin!« sagte die Großmutter. »Was ist es denn, Anne?«
»Sie haben etwas in der Gruft gefunden,« erwiderte die Alte. »Ein
Schaustück oder so etwas. Die Särge der alten Herrschaften wollen
schon nicht mehr halten.«
Die Großmutter neigte ein wenig das Haupt; dann blickte sie in der
Stube umher und sagte: »Mach das Fenster zu, Anne! Es duftet mir so
stark; die Sonne scheint draußen auf die Buchsbaumrabatten.«
»Die Frau hat wieder ihre Gedanken!« murmelte die alte Dienerin;
denn der Buchsbaum war vor über zwanzig Jahren fortgenommen, und
mit den Glaskorallenschnüren hatten derzeit die Knaben Pferd gespielt.
Aber sie sagte nichts dergleichen, sondern schloß, wie ihr geheißen war,
das Fenster. Danach stand sie noch eine Weile und sah durch die
Zweige des hohen Ahornbaums nach dem alten Lusthäuschen hinüber,
wo hinaus sie vor Zeiten ihren jungen Herrschaften so oft das
Kaffeegeschirr hatte bringen müssen, und wo die kranke Mamsell so
manchen Nachmittag gesessen hatte.
Nun öffnete sich die Tür, und Martin trat hastigen Schrittes herein. »Du
hattest recht!« sagte er, indem er Tante Fränzchens Bild von der Wand
nahm und es an dem silbernen Schleifchen der Großmutter vor die
Augen hielt. »Der Maler durfte nur die Kapsel des Medaillons malen,
der offne Kristall
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