Hinzelmeier | Page 9

Theodor W. Storm
Rindvieh verkehren; sie wußten
nicht, welchen Schatz sie besaßen; da habe ich ihn in einem alten
Keller gefunden und mit drei Sechslingen das Pfund bezahlt. Und nun
denke ich bereits seit gestern darüber nach, wozu er nütze sei und hätte
es vermutlich schon gefunden, wenn mich die verwünschte Glocke
nicht dabei gestört hätte."
"Lieber Herr Kollege!" sagte Hinzelmeier, "das ist eine höchst kritische
Frage, woran vor Euch wohl noch kein Mensch gedacht hat! Aber wo
habt Ihr denn den Stein?"
"Ich sitze darauf", sagte Kasperle und zeigte aufstehend Hinzelmeiern
den runden, wachsgelben Körper, worauf er bisher gesessen hatte.
"Ja", sagte Hinzelmeier, "es ist kein Zweifel, Ihr habt ihn wirklich
gefunden; aber nun laßt uns bedenken, wozu er nütze sei."

Damit setzten sie sich einander gegenüber auf den Boden, indem sie
den Stein zwischen sich nahmen und die Ellenbogen auf ihre Knie
stützten.
So saßen und saßen sie; die Sonne ging unter, der Mond ging auf und
noch immer hatten sie nichts gefunden. Mitunter fragte der Eine: "Habt
Ihr's" aber der Andere schüttelte immer mit dem Kopfe und sagte:
"Nein, ich nicht; habt Ihr's?" und dann antwortete der Andere: "Ich
auch nicht."
Krahirius ging ganz vergnügt im Grase auf und nieder und fing sich
Frösche. Kasperle zupfte sich schon wieder an seiner schönen, großen
Nase; da ging der Mond unter und die Sonne kam herauf; und
Hinzelmeier fragte wieder: "Habt Ihr's?" und Kasperle schüttelte
wieder den Kopf und sagte: "Nein, ich nicht, habt Ihr's?" und
Hinzelmeier antwortete trübselig: "Ich auch nicht."
Dann dachten sie wieder eine ganze Weile nach; endlich sagte
Hinzelmeier: "So müssen wir erst die Brille polieren, dann werden wir
hernach schon sehen, wozu er nütze sei." Und kaum hatte Hinzelmeier
seine Brille abgenommen, so ließ er sie vor Erstaunen ins Gras fallen
und rief: "Ich hab es! Herr Kollege, man muß ihn essen! Nehmt nur
gefälligst die Brille von Eurer schönen Nase."
Da nahm auch Kasperle die Brille herunter und nachdem er seinen
Stein eine Weile betrachtet hatte, sagte er: "Dieses ist ein sogenannter
Lederkäse und muß mit des Himmels Hilfe gegessen werden. Bedienen
Sie sich, Herr Kollege!"
Und nun zogen beide ihre Messer aus der Tasche und hieben wacker in
den Käse ein. Krahirius kam herbeigeflogen und nachdem er die Brille
aus dem Grase aufgesammelt und über seinen Schnabel geklemmt hatte,
setzte er sich gemächlich zwischen die Essenden und schnappte nach
den Rinden.
"Ich weiß nicht", sagte Hinzelmeier, nachdem der Käse verzehrt war,
"mir ist unmaßgeblich zumute, als wäre ich dem Stein der Weisen um
ein Erkleckliches näher gerückt."

"Wertester Herr Kollege", erwiderte Kasperle, "Ihr sprecht mir aus der
Seele. So laßt uns denn ungesäumt unsere Wanderung fortsetzen."
Nach diesen Worten umarmten sie sich; Kasperle ging nach Westen,
Hinzelmeier nach Osten und zu seinen Häupten, die Brille auf dem
Schnabel, flog Krahirius.

Der Stein der Weisen
Aber er wanderte hin und her, kreuz und quer, sein Haar ergraute, seine
Beine wurden wankend; am Stabe ging er von Land zu Land und
immer fand er doch den Stein der Weisen nicht. So waren noch einmal
neun Jahre vergangen, als er eines Abends, wie er es jeden Abend zu
tun pflegte, in ein Wirtshaus trat. Krahirius putzte wie gewöhnlich
seine Brille und hüpfte dann in die Küche um sich sein Abendbrot zu
betteln. Hinzelmeier trat in die Stube und lehnte seinen Stab in die
Kachelofenecke; dann setzte er sich still und müde in den großen
Lehnstuhl. Der Wirt stellte einen Krug Wein vor ihn hin und sagte
freundlich: "Ihr scheint müde, lieber Herr; trinket nur, das wird Euch
stärken!"
"Ja", sagte Hinzelmeier und faßte den Krug mit beiden Händen, "sehr
müde; ich bin lange gewandert, sehr lange." Dann schloß er die Augen
und tat einen durstigen Zug aus dem Weinkruge.
"Wenn Ihr der Herr des Vogels seid, so glaube ich fast, es ist nach Euch
gefragt worden", sagte der Wirt. "Wie heißt Ihr denn, lieber Herr?"
"Ich heiße Hinzelmeier."
"Nun", sagte der Wirt, "Euren Enkel, den Gemahl der schönen Frau
Abel, den kenne ich recht wohl."
"Das ist mein Vater", sagte Hinzelmeier, "und die schöne Frau Abel ist
meine Mutter."
Der Wirt zuckte mit den Achseln und indem er sich nach seiner

Schenke wandte, sagte er bei sich selber: "Der arme alte Mann ist
kindisch geworden."
Hinzelmeier ließ den Kopf auf seine Brust sinken und erkundigte sich,
wer nach ihm gefragt habe.
"Es war nur eine arme Dirne", sagte der Wirt, "sie trug ein weißes
Kleid und ging mit nackten Füßen." Da lächelte Hinzelmeier und sagte
leise: "Das war die Rosenjungfrau, nun wird es bald besser werden.
Wohin ist sie gegangen?"
"Es schien ein Blumenmädchen zu sein", sagte der Wirt, "wenn Ihr sie
sprechen wollt, Ihr werdet sie leicht an den Straßenecken finden
können."
"Ich muß ein Weilchen schlafen", sagte Hinzelmeier, "gebt mir eine
Kammer und wenn der Hahn kräht, dann
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