Hinzelmeier | Page 8

Theodor W. Storm
Treppe lag und wie das Kind, hier zu Hause zu gehören schien,
legte den Kopf an ihr weißes Gewand und leckte ihre nackten
Füße.--"Das ist sie!" sagte Hinzelmeier; und seine Schritte wurden
unsicher vor Hoffen und Erwarten. Und als die Jungfrau nun ihr Antlitz
gegen ihn erhob, da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen und er
erkannte mit einem Mal das Mädchen aus der Bauernküche; nur trug
sie heute nicht das bunte Nfieder und das Rot auf ihren Wangen war
nur der Abglanz von dem Rosenlichte.

"O du!" rief Hinzelmeier, "nun wird noch alles, alles gut!"
Sie streckte die Arme nach ihm aus; sie wollte lächeln, aber die Tränen
sprangen ihr in die Augen. "Wo ist Er denn so lange in der Welt
umhergelaufen?" sagte sie.
Und als er nun in ihre Augen sah, da erschrak er vor lauter Freude;
denn dort stand sein eigenes Bild, aber kein Bild, wie es ihn kurz
vorher aus dem kupfernen Kessel angeglotzt hatte; nein, ein Gesicht, so
jung und frisch und lustig, daß er laut aufjauchzen mußte; er hätte es
um alle Welt nicht lassen können.-Da quoll von der Straße her ein
Menschenstrom ins Haus, schreiend und mit den Händen fechtend.
"Hier steht der Herr des Vogels!" rief ein untersetztes Männlein; dann
drangen alle auf Hinzelmeier ein.
Dieser faßte die Hand des Mädchens und fragte: "Was ist es mit dem
Raben?"
"Was es ist?" sagte der Dicke, "dem Herrn Bürgermeister hat er die
Perücke gestohlen!"--"Ja, ja!" riefen Alle, "und nun sitzt es draußen auf
der Dachrinne, das Ungetüm und hat die Perücke in den Klauen und
glotzt ihre Wohlweisheit durch seine grünen Brillengläser an!"
Hinzelmeier wollte reden, aber sie nahmen ihn in ihre Mitte und
schoben ihn gegen die Tür. Mit Schrecken fühlte er die Hand der
Rosenjungfrau aus der seinen gleiten. So kam er auf die Straße.
Droben auf der Dachrinne des Hauses saß noch immer der Rabe und
sah mit seinen schwarzen Augen lauernd auf die aus dem Hause
Kommenden hinab. Plötzlich öffnete er die Klaue; und während die
Bürger mit Stöcken und Schirmen nach der Perücke ihres
Bürgermeisters in der Luft umherlangten, hörte Hinzelmeier es "krahira,
krahira!" über seinem Haupte schwirren und in demselben Augenblicke
saß auch die grüne Brille schon auf seiner Nase.
Da war auf einmal die Stadt vor seinen Augen verschwunden; aber
durch die Brillengläser sah er zu seinen Füßen ein grünes Tal mit
Meierhöfen und Dörfern. Sonnenbeschienene Wiesen zogen sich rings

umher, auf welchen barfüßige Dirnen mit blanken Milcheimer durch
das Gras schritten, während in weiterer Entfernung von den Dörfern
junge Kerle die Sense schwangen. Was aber Hinzelmeiers Augen
fesselte, war die Gestalt eines Menschen in rot und weißer Bluse, mit
einer spitzen Kappe auf dem Kopfe, welcher inmitten einer Wiese mit
auf den Knien gestutzten Armen in nachdenklicher Stellung auf einem
Steine zu sitzen schien.

Nachbars Kasperle
Da dachte Hinzelmeier: "Das ist der Stein der Weisen!" und ging
geradewegs auf ihn zu. Der Mensch aber beharrte in seiner
nachdenklichen Stellung, nur daß er zu Hinzelmeiers Erstaunen seine
große Nase wie Gummi elasticum über das Kinn herabzog.
"Ei, lieber Herr, was treibt Ihr denn da?" rief Hinzelmeier.
"Das weiß ich nicht", sagte der Mann, "aber ich habe da eine
verwünschte Glocke an der Mütze, die mich abscheulich im Denken
stört."
"Warum zupft Ihr Euch denn aber so entsetzlich an der Nase?"
Oh", sagte der Mensch und ließ den Nasenzipfel fahren, daß er mit
einem Klapps wieder in seine alte Form zurückschnellte--"da bitte ich
um Entschuldigung; aber ich leide oftmals an Gedanken, denn ich
suche den Stein der Weisen."
"Mein Gott!" sagte Hinzelmeier, "da seid Ihr wohl, gar des Nachbars
Kasperle; der gar nicht wieder nach Haus gekommen ist?"
"Ja", sagte der Mensch und reichte Hinzelmeier die Hand, "der bin ich."
"Und ich bin Nachbars Hinzelmeier", sagte dieser, "und suche auch den
Stein der Weisen."
Hierauf reichten sie sich noch einmal die Hände und kreuzten dabei die

Finger auf eine Weise, woran sie sich gegenseitig als Eingeweihte
erkannten. Dann sagte Kasperle: "Ich suche den Stein der Weisen jetzt
nicht mehr."
"Da reist Ihr vielleicht nach dem Rosengarten?" rief Hinzelmeier.
"Nein", sagte Kasperle, "ich suche den Stein nicht mehr; aber ich habe
ihn bereits gefunden."
Da verstummte Hinzelmeier eine ganze Zeit lang; endlich faltete er
andächtig die Hände und sagte feierlich: "Es mußte schon so kommen,
ich wußte es wohl; denn ich habe vor neun Jahren den Teufel aus der
Welt geschossen."
"Das muß sein Sohn gewesen sein", sagte der Andere, "dem alten
Teufel bin ich noch vorgestern begegnet."
"Nein", sagte Hinzelmeier, "es war der alte Teufel; denn er hatte
Hörner vor der Stirn und einen Schwanz mit schwarzer Quaste. Aber
erzählt mir doch, wie Ihr den Stein gefunden habt.
"Das ist einfach", sagte Kasperle; "dort unten im Dorfe wohnen lauter
dumme Leute, die nur mit Schafen und
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