Herrn Mahlhubers Reiseabenteuer | Page 5

Friedrich Gerstäcker
Wort
verstehen und die Passagiere drückten sich schweigend in ihre
verschiedenen Ecken und sahen die niedern Häuser von Gidelsbach,
der Commerzienrath mit einem eigenen Gefühle stiller Wehmuth, die
andern Beiden vollkommen gleichgültig, an sich vorübergleiten.
»Ach dürfte ich Sie wol bitten, das Fenster dort an Ihrer Seite
aufzuziehen«, brach die Dame endlich das Stillschweigen, als sie die
letzten Häuser von Gidelsbach hinter sich gelassen und die Luft frei
und frisch über die blühenden Saatfelder herüberstrich, »ich leide so
sehr an Zähnen und fürchte, daß mir der Luftzug schaden könnte.«
Der Fremde gegenüber rührte und regte sich nicht, und der
Commerzienrath sah erst die Dame und dann sein +vis-à-vis+ etwas
bestürzt an; er hatte die stille Hoffnung gehegt die Erlaubniß zu
bekommen, eine gidelsbacher Cigarre anzuzünden, und wenn das
Fenster, die wundervolle warme Luft draußen gar nicht in Betracht
gezogen, geschlossen wurde, war daran nicht mehr zu denken.
»Wollen Sie nicht so gut sein und das Fenster da bei sich zumachen«,
sagte die Dame wieder, ohne ihm lange Zeit zum Ueberlegen zu

gestatten, mit etwas lauterer Stimme, als ob sie fürchte, daß er am Ende
schwer höre, »ich kann die Luft nicht vertragen.«
»Aber, Madame, bei diesem wundervollen Wetter«, wagte der
Commerzienrath eine oberflächliche Bemerkung, die ihm jedoch nichts
half, denn die Dame, von etwas resolutem Charakter und
wahrscheinlich schon mehrfach auf Reisen gewesen, stand einfach auf,
bog sich über ihren etwas scheu zurückweichenden Nachbar hinweg,
stützte sich mit der linken Hand gegen den Fensterrahmen und zog die
Scheibe selber in die Höhe. Es war Herrn Mahlhuber dabei fast so als
ob sie etwas vor sich hingemurmelt hätte, was gerade nicht wie ein
Segen klang, er konnte es aber nicht genau verstehen und war auch
wirklich durch die entschiedene Bewegung viel zu sehr überrascht,
recht darauf zu achten.
Jede möglich gewesene Unterhaltung schien dadurch wieder ins
Stocken zu gerathen, und während der Mann ihm gegenüber --
muthmaßlicherweise ein Engländer -- stumm zu sein schien, zog die
Dame aus einem großen, inwendig mit grünem Wachstaffet gefütterten
Kober eine Anzahl Victualien, gestrichene Semmeln, Wurst, Käse und
gebratenes Huhn, heraus und begann ihre Mittagsmahlzeit, auf der
nächsten Station wahrscheinlich die Table d'Hôte, wozu der
Conducteur gewöhnlich zehn Minuten Zeit gestattete, zu ersparen.
Der Commerzienrath fügte sich in sein Schicksal, rückte sich zurecht,
lehnte den Kopf hinten an, entschuldigte sich bei seinem +vis-à-vis+,
von dem er wieder keine Antwort bekam, wenn ihn vielleicht seine
Füße geniren sollten, faltete die Hände im Schoos, schloß die Augen
und versuchte einzuschlafen, was er auch glücklich in demselben
Augenblick zustande brachte, als der Postillon blies, der Wagen anhielt,
der Conducteur den Schlag aufmachte und hereinrief, daß hier Mittag
gemacht würde und die Passagiere »gefälligst aussteigen möchten«.
Der Fremde stand ohne weiteres auf, dem Rufe Folge zu leisten -- es
konnte doch am Ende kein Engländer sein, denn er schien das Deutsche
vollkommen gut verstanden zu haben -- trat dem Commerzienrath auf
die Hühneraugen ohne sich zu entschuldigen -- es war doch am Ende
einer, -- und verließ den Wagen, sein Mittagsmahl einzunehmen,

während sich die Dame, als der Commerzienrath noch unentschlossen
stand, was zu thun, den Wagenschlag wieder zumachen ließ, der
gefürchteten Zahnschmerzen wegen. Bis er sich besonnen hatte
vergingen mehre Minuten, und wie er zuletzt doch noch einmal öffnen
ließ und hineinging, behielt er dort eben noch Zeit seine Table d'Hôte
mit einem halben Thaler zu bezahlen und zu finden, daß die Suppe zu
heiß zum Essen sei, als der Postillon auch schon wieder zum Aufbruch
blies und der Conducteur mit einem »Es ist die höchste Zeit, meine
Herren« die Thür aufriß.
»Nach Tisch«, wie es Herr Mahlhuber jetzt nannte, war er gewohnt sein
Schläfchen zu halten, und wenn er auch um das Essen selber
gekommen, erschien ihm das nicht als genügender Grund sich auch um
den Schlaf zu bringen. So alle seine frühern Vorbereitungen
wiederholend, gelang es ihm diesmal wirklich seine Wagenecke zu
behaupten, und erst die Sonne, die schräg durch das Wagenfenster
herein und ihm gerade auf die Augen schien, weckte ihn wieder aus
seinem süßen Schlummer, dem er sich wol zwei volle Stunden lang
hingegeben.
»Ach dürfte ich Sie wol bitten das Fenster da in die Höhe zu ziehen?«
waren die ersten Laute, die an sein noch traumtönendes Ohr schlugen,
als er erwachte, und als er etwas erstaunt um sich schaute -- denn er
hatte bis dahin steif und fest geglaubt, er liege zu Hause auf dem Sopha,
und wunderte sich, welches Fenster Dorothee in die Höhe gezogen
haben wollte --, stieß ihn seine schöne Nachbarin leise an und setzte
flüsternd hinzu: »Der Herr da drüben muß taub sein oder kein Deutsch
verstehen, denn nicht allein, daß er sich weder rührt noch regt, wenn
ich ihn um etwas bitte, nein er zieht auch das Fenster jedesmal ebenso
schnell wieder herunter, wie ich es in die Höhe bekommen
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