Herrn Mahlhubers Reiseabenteuer | Page 4

Friedrich Gerstäcker
Pistol überliefert
und kehrte nach einer Viertelstunde etwa völlig befriedigt damit
zurück.
»Und hast du es wirklich ordentlich geladen, daß es auch losgeht, wenn
das schlechte Gesindel den Wagen anhalten sollte?« sagte Dorothee

und besah mistrauisch den Lauf der kleinen blankpolirten Waffe.
»S'ist eine kleine Handvoll Pulver d'rin«, versicherte der Bursche, »und
eine kleine Untertasse voll Schroot -- wer das auf den Pelz kriegt, kann
sich gratuliren.«
»Aber da oben ging immer noch etwas hinein«, sagte die Alte,
mistrauisch den kurzen, nicht ganz gefüllten Lauf betrachtend, halb und
halb mit dem Verdacht, daß der Vetter die zwei und einen halben
Silbergroschen nicht ganz verwandt haben könnte für die Ladung.
»Wenn's zu weit nach vorn käme, sähe er's«, sagte der Vetter, und
Dorothee begriff daß er Recht hätte. Das Pistol, ein altes Familienstück
und noch mit Feuerschloß, wurde dann vorsichtig wieder an seine
Stelle neben den Regenschirm, den Stock und das Sitzkissen gelegt,
und die würdige Frau fühlte sich jetzt wohl und beruhigt in dem
Gedanken, Alles gethan zu haben, was in ihren Kräften stand, sich
später keine Vorwürfe und Gewissensbisse machen zu dürfen.
Da übrigens der Herr Commerzienrath nur höchstens 14 Tage
auszubleiben gedachte, hielt man auch drei Koffer mit Hutschachtel
und Reisesack für völlig genügend, alle die nothwendigsten
Gegenstände wenigstens mitzuführen, die nun einmal unbedingt zu
Leben und anständiger Kleidung gehörten. Um 10 Uhr Abends, bis zu
welcher Zeit er jedesmal zu Bette ging, mochte er sich befinden wo er
wollte, war Alles beendet, am nächsten Morgen 11 Uhr mit der
königlichen Eilpost für so und soviel Thaler Fahrgebühren und etwa
das Dreifache an Ueberfracht nach Burgkundstadt befördert zu werden,
von wo er sich entschlossen hatte die Eisenbahn zu benutzen, um nach
München zu gelangen.
Nun war die Post dazu bestimmt, sich am nächsten Morgen dem ersten
Zuge nach der Hauptstadt des Landes anzuschließen, aber Herr
Mahlhuber hätte dann die Nacht durch fahren müssen, etwas was ihm
nicht im Traume einfiel; er wollte seine Gesundheit nicht muthwillig
zum Fenster hinauswerfen. So sich genau erkundigend, welche Station
der Postwagen etwa um 9 Uhr Abends erreichen würde, dort ein
gehöriges Abendbrot zu bekommen und zu übernachten, nahm er bis

dorthin Passage, und als der Eilwagen von -- kommend, zehn Minuten
vor elf etwa unter dem schmetternden »Ei du lieber Augustin« des
Postillons durch Gidelsbach rasselte, die Pferde zu wechseln und
etwaigen Passagieren Gelegenheit zu geben eine Tasse sehr dünne
Bouillon zu trinken, ging Herr Commerzienrath Mahlhuber, von
seinem ganzen Gesinde wie der nächsten Nachbarschaft und einigen
Neugierigen begleitet, auf die Post, wo er schon seinen Schein gelöst,
sein Gepäck abgeliefert hatte, und setzte sich auf seine Nummer, die
linke Ecke des Rücksitzes, Nr. 2, neben eine etwas stattliche und
wohleingepackte Dame mit grünseidenem Hute und schwarzem
Schleier. Gleich darauf nahm noch ein anderer, trotz des warmen
Wetters in einen großen wollenen Shawl eingepackter Herr den dritten
Platz in der rückwärtsfahrenden Ecke ein, den übrigen Theil mit Nr. 4
und 6 für die diversen Hutschachteln, Kästchen, Bündel und
Necessaires der Dame freilassend, die hier Alles aufgehäuft und in
Besitz genommen hatte.

3.
+Erstes Abenteuer.+
Der Abschied war genommen, der Commerzienrath hatte sich aber
schon vorher ernstlich von Dorothee sowol wie von seinen ihn
begleitenden Bekannten den Titel verbeten, und Herr Mahlhuber, wie
er jetzt schlechtweg hieß, war eben noch einmal im Wagen
aufgestanden, sein Rücken- oder Sitzkissen anders zu ordnen, als die
Peitsche des Postillons mit kräftigem Schwunge die eingespannten
Pferde traf und diese so rasch und plötzlich anzogen, daß sich der
darauf ganz Unvorbereitete mit einem Schwung und Wurf auf den
Schoos des Fremden setzte.
»Bitte tausend mal um Entschuldigung!« rief er, so rasch ihm das
möglich war wiederaufschnellend den eigenen Sitz einzunehmen und
eine verbindliche Verbeugung gegen den Fremden machend, die
beinahe für die Dame verderblich geworden wäre -- »ich dachte gar
nicht, daß wir so schnell abfahren würden; es kann kaum 11 Uhr sein.«

Der Fremde erwiderte kein Wort; er hatte erst die Brauen finster
zusammengezogen, aber ein Blick auf den Mann selber mochte ihm
wol sagen, mit wem er es hier eigentlich zu thun habe. So sein Gesicht
nun wieder in die frühern ruhigen Falten legend, sah er still und ernst
gerade auf die ihm gegenüberbefindliche Nr. 2, als ob der Herr
Commerzienrath gar nicht in der Welt gewesen wäre.
»Setzen Sie sich nur um Gotteswillen erst einmal hin«, sagte die Dame,
die indessen die Hand schützend vorgehalten hatte und jeden
Augenblick einen ähnlichen Ueberfall wie auf den Fremden erwartet zu
haben schien, »meine Nerven sind so schon so aufgeregt und
angegriffen.«
Herr Mahlhuber drehte sich rasch nach der schönen Sprecherin um, und
diesmal brachte ihn das Straßenpflaster mit einem plötzlichen Ruck
gerade und glücklicherweise in seinen eigenen Sitz; das furchtbare
Rasseln und Schütteln des Wagens unterbrach oder verhinderte dabei
vielmehr auch jede nur mögliche Unterhaltung. Es ließ sich kein
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 50
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.