Hermann und Dorothea | Page 3

Johann Wolfgang von Goethe
dort Durch die stärkeren
Mauern; und Mütterchen bringt uns ein Gläschen Dreiundachtziger her,
damit wir die Grillen vertreiben. Hier ist nicht freundlich zu trinken;

die Fliegen umsummen die Gläser." Und sie gingen dahin und freuten
sich alle der Kühlung.
Sorgsam brachte die Mutter des klaren herrlichen Weines, In
geschliffener Flasche auf blankem zinnernem Runde, Mit den
grünlichen Römern, den echten Bechern des Rheinweins. Und so
sitzend umgaben die drei den glänzend gebohnten Runden, braunen
Tisch, er stand auf mächtigen Füßen. Heiter klangen sogleich die
Gläser des Wirtes und Pfarrers; Doch unbeweglich hielt der dritte
denkend das seine, Und es fordert' ihn auf der Wirt mit freundlichen
Worten:
"Frisch, Herr Nachbar, getrunken! denn noch bewahrte vor Unglück
Gott uns gnädig und wird auch künftig uns also bewahren. Denn wer
erkennet es nicht, daß seit dem schrecklichen Brande, Da er so hart uns
gestraft, er uns nun beständig erfreut hat Und beständig beschützt, so
wie der Mensch sich des Auges Köstlichen Apfel bewahrt, der vor allen
Gliedern ihm lieb ist. Sollt' er fernerhin nicht uns schützen und Hülfe
bereiten? Denn man sieht es erst recht, wie viel er vermag, in Gefahren;
Sollt' er die blühende Stadt, die er erst durch fleißige Bürger Neu aus
der Asche gebaut und dann sie reichlich gesegnet, Jetzo wieder
zerstören und alle Bemühung vernichten?"
Heiter sagte darauf der treffliche Pfarrer und milde: "Haltet am
Glauben fest und fest an dieser Gesinnung; Denn sie macht im Glücke
verständig und sicher, im Unglück Reicht sie den schönsten Trost und
belebt die herrlichste Hoffnung."
Da versetzte der Wirt mit männlichen, klugen Gedanken: "Wie begrüßt'
ich so oft mit Staunen die Fluten des Rheinstroms, Wenn ich, reisend
nach meinem Geschäft, ihm wieder mich nahte! Immer schien er mir
groß und erhob mir Sinn und Gemüte; Aber ich konnte nicht denken,
daß bald sein liebliches Ufer Sollte werden ein Wall, um abzuwehren
den Franken, Und sein verbreitetes Bett ein allverhindernder Graben.
Seht, so schützt die Natur, so schützen die wackeren Deutschen Und so
schützt uns der Herr; wer wollte töricht verzagen? Müde schon sind die
Streiter, und alles deutet auf Frieden. Möge doch auch, wenn das Fest,
das lang erwünschte, gefeiert Wird, in unserer Kirche, die Glocke dann

tönt zu der Orgel, Und die Trompete schmettert, das hohe,Te Deum.
begleitend Möge mein Hermann doch auch an diesem Tage, Herr
Pfarrer, Mit der Braut, entschlossen, vor Euch am Altare sich stellen,
Und das glückliche Fest, in allen den Landen begangen, Auch mir
künftig erscheinen, der häuslichen Freuden ein Jahrstag! Aber ungern
seh ich den Jüngling, der immer so tätig Mir in dem Hause sich regt,
nach außen langsam und schüchtern. Wenig findet er Lust, sich unter
Leuten zu zeigen; Ja, er vermeidet sogar der jungen Mädchen
Gesellschaft Und den fröhlichen Tanz, den alle Jugend begehret."
Also sprach er und horchte. Man hörte der stampfenden Pferde Fernes
Getöse sich nahn, man hörte den rollenden Wagen, Der mit gewaltiger
Eile nun donnert' unter den Torweg.
Terpsichore
Hermann
Als nun der wohlgebildete Sohn ins Zimmer hereintrat, Schaute der
Prediger ihm mit scharfen Blicken entgegen Und betrachtete seine
Gestalt und sein ganzes Benehmen Mit dem Auge des Forschers, der
leicht die Mienen enträtselt, Lächelte dann und sprach zu ihm mit
traulichen Worten: "Kommt Ihr doch als ein veränderter Mensch! Ich
habe noch niemals Euch so munter gesehn und Eure Blicke so lebhaft.
Fröhlich kommt Ihr und heiter; man sieht, Ihr habet die Gaben Unter
die Armen verteilt und ihren Segen empfangen."
Ruhig erwiderte drauf der Sohn, mit ernstlichen Worten: "Ob ich
löblich gehandelt? ich weiß es nicht; aber mein Herz hat Mich geheißen
zu tun, so wie ich genau nun erzähle. Mutter, Ihr kramtet so lange, die
alten Stücke zu suchen Und zu wählen; nur spät war erst das Bündel
zusammen, Auch der Wein und das Bier ward langsam, sorglich
gepacket. Als ich nun endlich vors Tor und auf die Straße hinauskam,
Strömte zurück die Menge der Bürger mit Weibern und Kindern, Mir
entgegen; denn fern war schon der Zug der Vertriebnen. Schneller hielt
ich mich dran und fuhr behende dem Dorf zu, Wo sie, wie ich gehört,
heut übernachten und rasten. Als ich nun meines Weges die neue
Straße hinanfuhr, Fiel mir ein Wagen ins Auge, von tüchtigen Bäumen
gefüget, Von zwei Ochsen gezogen, den größten und stärksten des

Auslands, Nebenher aber ging mit starken Schritten ein Mädchen,
Lenkte mit langem Stabe die beiden gewaltigen Tiere, Trieb sie an und
hielt sie zurück, sie leitete klüglich. Als mich das Mädchen erblickte, so
trat sie den Pferden gelassen Näher und sagte zu mir: "Nicht immer war
es mit uns so Jammervoll, als Ihr uns heut auf diesen Wegen erblicket.
Noch nicht bin ich gewohnt, vom Fremden die Gabe zu heischen, Die
er oft ungern gibt, um los zu werden den Armen; Aber mich dränget die
Not, zu reden. Hier auf dem
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