sagte es jetzt zuversichtlich.
»Ja, ja, Stineli, du solltest nur einmal den See sehen, den ich meine!«
und Rico schaute so verloren über den See hin, als finge, was er
ansehen wollte, erst dort an, wo man nichts mehr sah.
»Siehst du, dort stehen nicht so schwarze Tannen mit Nadeln, da sind
so glänzende, grüne Blätter und große, rote Blumen, und die Berge
stehen nicht so hoch und schwarz und so nah, nur weit drüben liegen
sie ganz violett, und am Himmel und auf dem See ist alles golden und
so still und warm; da tut der Wind nicht so und die Füße hat man nicht
so voll Schnee, dann kann man immer so am sonnigen Boden sitzen
und zuschauen.«
Stineli war bald hingerissen; es sah schon die roten Blumen und den
goldenen See vor sich, das mußte doch so schön sein.
»Vielleicht kannst du wieder einmal dahin gehen an den See und alles
wieder sehen; weißt du den Weg?«
»Man geht auf den Maloja. Dort bin ich schon mit dem Vater gewesen:
da hat er mir die Straße gezeigt, die geht den ganzen Weg hinunter,
immer so hin und her, und weit unten ist der See, aber noch so weit,
daß man fast nicht hinkommen kann.«
»Ach, das ist ganz leicht«, meinte Stineli, »du müßtest nur immer
weiter gehen, so kämst du sicher zuletzt dahin.«
»Aber der Vater hat mir noch etwas gesagt; siehst du, Stineli: wenn
man auf dem Wege ist und in ein Wirtshaus hineingeht und ißt und
schläft da, so muß man immer bezahlen, da muß man wieder Geld
haben.«
»O, Geld haben wir jetzt so viel«, rief Stineli triumphierend. Aber Rico
triumphierte nicht mit.
»Das ist gerade so viel wie nichts, das weiß ich noch von der Geige
her«, sagte er traurig.
»So bleib du lieber daheim, Rico; sieh, es ist doch daheim so schön.«
Eine Weile lang saß Rico nachdenklich da, seinen Kopf auf den
Ellbogen gestützt, und seine Augenbrauen kamen wieder ganz
zusammen. Jetzt kehrte er sich wieder zu Stineli, das unterdessen von
dem weichen, grünen Moos ausrupfte und ein Bettlein machte, zwei
Kissen und eine Decke, die wollte es dem kranken Urschli bringen.
»Du sagst, ich soll nur daheim bleiben, Stineli«, sagte er mit gefalteter
Stirne; »aber siehst du, mir ist es gerade so, wie wenn ich nicht wüßte,
wo ich daheim bin.«
»Ach, was sagst du«, rief Stineli und warf vor Erstaunen eine ganze
Hand voll Moos weg. »Hier bist du daheim, natürlich. Da ist man
immer daheim, wo man seinen Vater und seine Mutter --«; hier hielt es
plötzlich inne: Rico hatte ja gar keine Mutter, und der Vater war schon
so lang wieder fort, und die Base? -- Stineli kam der Base nie zu nah,
sie hatte ihm nie ein gutes Wort gegeben; es wußte gar nicht mehr, was
sagen. Aber Stineli konnte in einem so unsicheren Zustande nicht lange
bleiben. Rico hatte wieder zu staunen angefangen; auf einmal faßte es
ihn am Arm und rief:
»Nun möchte ich doch etwas wissen, wie heißt der See, wo es so schön
ist?«
Rico besann sich. »Ich weiß es nicht«, sagte er, selbst verwundert
darüber.
Da schlug Stineli vor, sie wollten jemand fragen, wie er heißen könne;
denn wenn Rico doch einmal viel Geld hätte und gehen könnte, so
müßte er ja den Weg erfragen und einen Namen wissen. Nun fingen sie
an zu beraten, wen man fragen könnte; den Lehrer oder die Großmutter.
Da fiel es Rico ein, der Vater werde es am besten wissen; den wollte er
fragen, sobald er heimkomme.
Unterdessen war die Zeit vergangen und auf einmal hörten die Kinder
ganz in der Ferne ein leises Läuten. Sie kannten den Ton, es war die
Betglocke. Sie sprangen gleich beide vom Boden auf und rannten
miteinander Hand in Hand durch Gestrüpp und Schnee die Halde
hinunter und über die Wiese hin, und es hatte noch nicht lange verläutet,
so standen sie schon an der Tür, wo die Großmutter nach ihnen aussah.
Stineli mußte nun gleich ins Haus hinein, und die Großmutter sagte nur
schnell: »Geh du auch gleich hinein, Rico, und bleib nicht mehr stehen
vor der Tür.«
Das hatte die Großmutter noch nie zu ihm gesagt, obschon er es immer
tat, denn es gelüstete ihm nie, in das Haus hineinzugehen, und er stand
immer erst eine Zeitlang vor der Haustür, ehe er's tat. Er gehorchte aber
der Großmutter aufs Wort und ging gleich hinein.
Fünftes Kapitel.
Ein trauriges Haus, aber der See hat einen Namen.
Die Base war nicht in der Stube, so ging er wieder hinaus und machte
die Küchentür auf. Da stand sie; aber ehe er nur eintreten konnte, hob
sie den Finger in die Höh' und machte: »Bst! Bst! Mach nicht alle
Türen auf und zu und einen Lärm, als kämen ihrer vier. Geh in
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