auch jeder aus dem Wege. Auf einmal
hieß es, der Öhi sei auf die Alm hinaufgezogen und komme gar nicht
mehr herunter, und seither ist er dort und lebt mit Gott und Menschen
im Unfrieden. Das kleine Kind der Adelheid nahmen wir zu uns, die
Mutter und ich; es war ein Jahr alt. Wie nun im letzten Sommer die
Mutter starb und ich im Bad drunten etwas verdienen wollte, nahm ich
es mit und gab es der alten Ursel oben im Pfäfferserdorf in die Kost.
Ich konnte auch im Winter im Bad bleiben, es gab allerhand Arbeit,
weil ich zu nähen und flicken verstehe, und früh im Frühling kam die
Herrschaft aus Frankfurt wieder, die ich voriges Jahr bedient hatte und
die mich mitnehmen will; übermorgen reisen wir ab, und der Dienst ist
gut, das kann ich dir sagen."
"Und dem Alten da droben willst du nun das Kind übergeben? Es
nimmt mich nur wunder, was du denkst, Dete", sagte die Barbel
vorwurfsvoll.
"Was meinst du denn?", gab Dete zurück. "Ich habe das Meinige an
dem Kinde getan, und was sollte ich denn mit ihm machen? Ich denke,
ich kann eines, das erst fünf Jahre alt wird, nicht mit nach Frankfurt
nehmen. Aber wohin gehst du eigentlich, Barbel, wir sind ja schon
halbwegs auf der Alm?"
"Ich bin auch gleich da, wo ich hinmuss", entgegnete die Barbel; "ich
habe mit der Geißenpeterin zu reden, sie spinnt mir im Winter. So leb
wohl, Dete, mit Glück!"
Dete reichte der Begleiterin die Hand und blieb stehen, während diese
der kleinen, dunkelbraunen Almhütte zuging, die einige Schritte
seitwärts vom Pfad in einer Mulde stand, wo sie vor dem Bergwind
ziemlich geschützt war. Die Hütte stand auf der halben Höhe der Alm,
vom Dörfli aus gerechnet, und dass sie in einer kleinen Vertiefung des
Berges stand, war gut, denn sie sah so baufällig und verfallen aus, dass
es auch so noch ein gefährliches Darinwohnen sein musste, wenn der
Föhnwind so mächtig über die Berge strich, dass alles an der Hütte
klapperte, Türen und Fenster, und alle die morschen Balken zitterten
und krachten. Hätte die Hütte an solchen Tagen oben auf der Alm
gestanden, sie wäre unverzüglich ins Tal hinabgeweht worden.
Hier wohnte der Geißenpeter, der elfjährige Bube, der jeden Morgen
unten im Dörfli die Geißen holte, um sie hoch auf die Alm
hinaufzutreiben, um sie da die kurzen kräftigen Kräuter fressen zu
lassen bis zum Abend; dann sprang der Peter mit den leichtfüßigen
Tierchen wieder herunter, tat, im Dörfli angekommen, einen schrillen
Pfiff durch die Finger, und jeder Besitzer holte seine Geiß auf dem
Platz. Meistens kamen kleine Buben und Mädchen, denn die
friedlichen Geißen waren nicht zu fürchten, und das war denn den
ganzen Sommer durch die einzige Zeit am Tage, da der Peter mit
seinesgleichen verkehrte; sonst lebte er nur mit den Geißen. Er hatte
zwar daheim seine Mutter und die blinde Großmutter; aber da er immer
am Morgen sehr früh fortmusste und am Abend vom Dörfli spät
heimkam, weil er sich da noch so lange als möglich mit den Kindern
unterhalten musste, so verbrachte er daheim nur gerade so viel Zeit, um
am Morgen seine Milch und Brot und am Abend ebendasselbe
hinunterzuschlucken und dann sich aufs Ohr zu legen und zu schlafen.
Sein Vater, der auch schon der Geißenpeter genannt worden war, weil
er in früheren Jahren in demselben Berufe gestanden hatte, war vor
einigen Jahren beim Holzfällen verunglückt. Seine Mutter, die zwar
Brigitte hieß, wurde von jedermann um des Zusammenhangs willen die
Geißenpeterin genannt, und die blinde Großmutter kannten weit und
breit Alt und Jung nur unter dem Namen Großmutter.
Die Dete hatte wohl zehn Minuten gewartet und sich nach allen Seiten
umgesehen, ob die Kinder mit den Geißen noch nirgends zu sehen
seien; als dies aber nicht der Fall war, so stieg sie noch ein wenig höher,
wo sie besser die ganze Alm bis hinunter übersehen konnte, und guckte
nun von hier aus bald dahin, bald dorthin mit Zeichen großer Ungeduld
auf dem Gesicht und in den Bewegungen. Unterdessen rückten die
Kinder auf einem großen Umwege heran, denn der Peter wusste viele
Stellen, wo allerhand Gutes an Sträuchern und Gebüschen für seine
Geißen zu nagen war; darum machte er mit seiner Herde vielerlei
Wendungen auf dem Wege. Erst war das Kind mühsam nachgeklettert,
in seiner schweren Rüstung vor Hitze und Unbequemlichkeit keuchend
und alle Kräfte anstrengend. Es sagte kein Wort, blickte aber
unverwandt bald auf den Peter, der mit seinen nackten Füßen und
leichten Höschen ohne alle Mühe hin und her sprang, bald auf die
Geißen, die mit den dünnen, schlanken Beinchen noch leichter über
Busch und Stein und steile Abhänge hinaufkletterten. Auf einmal setzte
das Kind sich auf den Boden nieder, zog mit großer Schnelligkeit
Schuhe und Strümpfe aus, stand wieder auf, zog sein rotes, dickes
Halstuch weg, machte
Continue reading on your phone by scaning this QR Code
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the
Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.