Hansi | Page 6

Ida Frohnmeyer
verlegen beiseite. Zum erstenmal war sie die überlegene, die Tonangebende.
?Wollen wir ihn begraben?? fragte die Kleine pl?tzlich, und wir stimmten begeistert zu.
Anni mu?te sich unten nach einer passenden Schachtel, will sagen nach einem Sarg umsehen. Gretchen ging auf die Suche nach der Begr?bnisst?tte und dem Grabstein. Ich übernahm es, die Inschrift zu schreiben. Elschen, immer noch den Sch?del im Schürzchen, lehnte neben mir und schaute bewundernd zu, wie ich mit krampfhaft festgehaltenem Federhalter meine gro?en, steifen Buchstaben malte.
?Lies es mir einmal vor!? bat sie, als das Werk beendet war, und ich las:
+------------------------------------------+ | | | Hier ruht unser liber Uhruhrgro?vater. | | -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- | | Gottes Brünnlein hat Wassers die Fülle. | | -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- | +------------------------------------------+
?Du h?ttest nicht diesen Spruch schreiben sollen,? sagte Anni, mi?billigend das Schriftstück betrachtend. ?Auf Gr?ber schreibt man ganz andere Sachen. Etwas von Auferstehen oder Wiedersehen.?
?Das ist mir einerlei!? entgegnete ich unerschüttert. ?Mir gef?llt der Spruch und ich habe den Ururgro?vater gefunden.?
Gretchen stand unter der Türe, die Hacke über der Schulter.
?Ich habe einen feinen Platz, kommt schnell!?
[Illustration]
Eiligst wurde der Sch?del in Annis Schachtel gesteckt. Der Deckel wollte zwar nicht zugehen, aber das schadete nichts. Wir legten einen Fetzen schwarzes Tuch darüber und nun ordnete sich der Zug. Voraus ging Gretchen, der Totengr?ber, dann Anni, der Pfarrer; Elschen, die den Sch?del trug, war der Leichenwagen, ich stellte das Trauergeleite dar.
Wir gingen mit ernsten K?pfen und bed?chtigem Schritt die Treppe hinunter. Unter der Türe begegnete uns die kleine Mutter des Hauses. Sie war eine zierliche, bewegliche Frau mit lebhaften Augen, die sich stets zu freuen schienen, obwohl sie oft genug Grund gehabt h?tten, ?rgerlich und müde drein zu sehen. Au?er meinen drei Freundinnen waren noch zwei gr??ere und zwei ganz kleine Brüder zu versorgen. Das zappelte und schrie, lachte und kreischte den ganzen Tag um die Mutter herum, zerri? Kleider und Strümpfe, beschmutzte Fu?b?den und Fensterscheiben, wollte gewaschen und gefüttert sein. In dem allem stand die kleine Mutter, trug den Kopf mit dem tiefschwarzen Haar froh und aufrecht und hatte lachende, warme Augen.
Wir waren das so gewohnt und es erschien uns nichts Absonderliches. Erst viele Jahre sp?ter verstanden wir, was für eine tapfere Seele in der kleinen Mutter gewohnt hatte.
* * * * *
?Mama, wir müssen ganz still sein, wir spielen Begraben!? kr?hte Elschen im Vorübergehen, und die Mutter stand denn auch and?chtig und still.
Das Haus lag inmitten eines gro?en Gartens, der in verschiedene Abteilungen zerfiel. Da war ein freier Platz mit einem Sandhaufen für die Kinder. In einem andern Teil standen Blumen und Zierstr?ucher und wieder in einem andern lagen in sch?nen Reihen Gemüsebeete, daneben zog sich eine dichte Himbeerhecke. Am Ende dieser Hecke war der von Gretchen gew?hlte Begr?bnisplatz. Sie hatte schon ein Loch gegraben, das sich aber als viel zu flach erwies. So arbeiteten Totengr?ber, Pfarrer und Trauergeleite mit vereinten Kr?ften, bis das Loch tief genug war, den Ururgro?vater aufzunehmen.
Die Grabrede fiel kurz aus, um so kr?ftiger und anhaltender war der Gesang. Wir hatten als passende Lieder gew?hlt: ?Morgenrot, Morgenrot! Leuchtest mir zum frühen Tod!? und: ?Der Pilger aus der Ferne zieht seiner Heimat zu.?
Elschen hatte noch vorgebracht ?Wenn ich gro? bin,? aber das war als v?llig unm?glich abgeschlagen worden. überdies sank sie durch diese Forderung in unserer Achtung wieder auf die frühere Stufe zurück.
An diesem Tag blieben wir bis zum Abendbrot im Garten. Der Sonnenschein war so hell und freundlich, w?hrend über der alten Bodenkammer immer noch etwas Unheimliches zu lagern schien. Aber am n?chsten Tag unterzogen wir den Inhalt der Truhe einer weiteren Besichtigung.
Die Bücher rochen uralt und hatten schwere, feste Einbanddecken. Die Schrift war merkwürdig schn?rkelig und lie? sich nicht ohne Mühe entziffern. Wir strengten uns auch nicht sonderlich an. Eine Menge der Bücher wurden mit Abscheu zur Seite gelegt, weil sie sich als ?Doktorsbücher? erwiesen. Dasselbe Schicksal teilten ein paar Andachtsbücher ?auf Kosten einer wahrheitliebenden Gesellschaft gedruckt?. Dann stie? Anni einen Schrei des Entzückens aus, denn sie hatte ein Geschichtenbuch, nein, noch sch?ner, ein M?rchenbuch entdeckt. Wer h?tte der Truhe diesen k?stlichen Schatz angesehen!
[Illustration]
Anni fing gleich an, uns ?die Geschichte von dem tugendhaftigen Prinzen Treuherz und der wonnesamen Prinzessin Herzelaide? vorzulesen, aber der Genu? war nur m??ig. Sie blieb immer wieder an den feinen Schn?rkelchen der Buchstaben h?ngen, und da die S?tze endlos lang waren, hielt sie an, wenn der Atem ausging, was nicht zur Erleichterung des Verst?ndnisses beitrug.
Gretchen g?hnte unverhohlen. Elschen spielte l?ngst mit ihrer Puppe, da ging auch mir die Geduld aus.
?La? doch die gr??lichen alten Prinzen und Prinzessinnen in Ruh! Man versteht ja gar nicht, was sie miteinander sprechen. Und richtig ordentlich schreiben konnten die Leute früher scheint's auch nicht. Wir wollen das Buch wieder in die Truhe werfen.?
Das Schlie?en des Deckels war viel leichter zu bewerkstelligen als das ?ffnen.
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