Hamlet, Prinz von Dannemark | Page 9

William Shakespeare
Zauberey seines Wizes, und durch verräthrische Geschenke (o!
verflucht sey der Wiz und die Geschenke, welche die Macht haben, so
zu verführen,) das Herz meiner so tugendhaft scheinenden Königin. O
Hamlet, was für ein Abfall war das! Von mir, dessen Liebe, in

unbeflekter Würde Hand in Hand mit dem Ehe-Gelübde gieng, so ich
ihr gethan hatte--zu einem Elenden abzufallen, dessen natürliche Gaben
gegen die meinigen nicht einmal in Vergleichung kamen! Allein, so
wie die Tugend sich niemals verführen lassen wird, wenn das Laster
gleich in himmlischer Gestalt käme, sie zu versuchen; so würde die
Unzucht, und wenn sie an einen stralenden Engel
angeschlossen wäre,
sich nicht enthalten können, selbst in einem himmlischen Bette ihre
heißhungrige Lust an Luder-Fleisch zu büssen. Doch sachte! Mich
däucht, ich wittre die Morgen-Luft--Ich muß kurz seyn. Ich lag, wie es
nachmittags immer meine Gewohnheit war, unter einer Sommer-Laube
in meinem Garten, und schlief unbesorgt, als dein Oheim sich ingeheim
mit einer Phiole voll Gift
herbeyschlich, welches eine so gewaltsame
Wirkung thut, daß es schnell wie Queksilber alle Adern durchdringt,
und das sonst flüssige und gesunde Blut gerinnen macht, wie Milch
wenn etwas Saures darein gegossen wird; dieses Gift schüttete er mir in
die Ohren, und es wirkte so gut, daß es mir eine plözliche

Schwindeflechte verursachte, die meinen ganzen Leib mit einem
ekelhaften Aussaz überzog, und in einem Augenblik in ein gräßliches
Scheusal verwandelte. Solchergestalt wurde ich dann schlafend, durch
die Hand eines Bruders, auf einmal des Lebens, der Krone und meiner
Königin beraubt; mitten in meinen Sünden weggerissen, ohne
Vorbereitung, ohne Sacrament, ohne Fürbitte; eh ich meine Rechnung
gemacht, mit allen meinen Vergehungen beladen, zur Rechenschaft
fortgeschikt. O, es ist entsezlich, entsezlich, höchst entsezlich! Wenn
du einen Bluts-Tropfen von mir in deinen Adern hast, so duld' es nicht;
laß das Königliche Bette von Dännemark nicht zu einem Tummel-Plaz
der Üppigkeit und blutschändrischer Unzucht gemacht werden. Doch,
so strenge du auch immer diese Greuel-That rächen magst, so befleke
deine Seele nicht mit einem blutigen Gedanken gegen deine Mutter;
überlaß sie dem Himmel und dem nagenden Wurm, der in ihrem Busen
wühlet. Lebe wohl! Der Feuer-Wurm kündigt den herannahenden
Morgen an, und beginnt sein unwesentliches Feuer auszustralen. Adieu,
adieu, adieu--Gedenke meiner, Sohn!
(Er verschwindet.)
Hamlet.
O du ganzes Heer des Himmels! O Erde! Und was noch

mehr?--Soll ich auch noch die Hölle aufruffen?--O Fy, halte dich, mein
Herz! Und ihr, meine Nerven, werdet nicht plözlich alt, sondern traget
mich aufrecht--Deiner gedenken? Ja, du armer unglüklicher Geist, so
lange das Gedächtniß in diesem betäubten Rund
(er schlägt an seinen Kopf)
seinen Siz behalten wird!--Deiner gedenken? Ja, ja, ich will sie alle von
der Tafel meines Gedächtnisses wegwischen, alle diese alltägliche
läppische Erinnerungen, alles was ich in Büchern gelesen habe, alle
andern Ideen und Eindrüke, welche Jugend und Beobachtung darinn
eingezeichnet haben; ich will sie auslöschen, und dein Befehl allein,
unvermischt mit geringerer Materie, soll den ganzen Raum meines
Gehirns ausfüllen. Ja, beym Himmel!--O! abscheuliches Weib! O
Bösewicht, Bösewicht, lächelnder verdammter Bösewicht!--Meine
Schreib-Tafel--ich will es niederschreiben--daß einer lächeln und
immer lächeln, und doch ein Bösewicht seyn kan-- wenigstens weiß ich
nun, daß es in Dännemark so seyn kan--
(Er schreibt.)
So, Oheim, da steht ihr; izt zu meinem Wortzeichen; es ist: Adieu,
adieu, gedenke meiner: Ich hab' es beschworen--
Neunte Scene.
(Horatio und Marcellus treten auf.)
Horatio.
Gnädiger Herr, Gnädiger Herr--
Marcellus.
Prinz Hamlet--
Horatio.
Der Himmel schüze ihn!
Marcellus.
Amen!
Horatio.
Holla, ho! ho! Gnädiger Herr--
Hamlet.
Hillo, ho, ho; Junge; komm, Vogel, komm--

Marcellus. Horatio.
Wie geht es, Gnädiger Herr? Was habt ihr Neues
gehört?
Hamlet.
O, Wunderdinge!
Horatio.
Entdekt sie uns, Gnädiger Herr.
Hamlet.
Nein, ihr würdet es ausbringen.
Horatio.
Ich nicht, Gnädiger Herr, beym Himmel!
Marcellus.
Ich auch nicht, Gnädiger Herr.
Hamlet.
Nun, sagt mir denn einmal, könnte sich ein Mensch zu Sinne
kommen lassen--Aber wollt ihr schweigen?
Beyde.
Ja, beym Himmel, Gnädiger Herr.
Hamlet.
Es wohnt nirgends im ganzen Dännemark kein Bösewicht,
der nicht ein ausgemachter Schurke ist.
Horatio.
Es braucht keinen Geist, Gnädiger Herr, der aus seinem
Grabe aufstehe, uns das zu sagen.
Hamlet.
Richtig, so ist's; ihr habt recht; und also ohne weitere
Umstände, hielt ich für rathsam, daß wir einander die Hände geben und
scheiden; ihr, wohin euch eure Geschäfte und Absichten weisen, (denn
jedermann hat seine Geschäfte und Absichten, wie es geht) und was
mich selbst betrift, ich will beten gehen.
Horatio.
Gnädiger Herr, das sind nichts als wunderliche und
schnurrende Reden.
Hamlet.
Es ist mir leid, daß sie euch beleidigen, herzlich leid; in der
That, herzlich.
Horatio.
Die Rede ist von keiner Beleidigung, Gnädiger Herr.

Hamlet.
Ja, bey Sanct Patriz! Die Rede ist hier von einer Beleidigung,
Gnädiger Herr, und von einer schweren, das glaubt mir. Was diese
Erscheinung hier betrift--Es ist ein ehrlicher Geist, das kan ich euch
sagen: Aber euer Verlangen zu wissen was zwischen uns

vorgegangen ist, das übermeistert so gut ihr könnet. Und nun, meine
guten Freunde, wenn wir Freunde, Schul- und Spieß-Gesellen sind, so
gewährt mir eine einzige arme Bitte.
Horatio.
Was ist es, Gnädiger
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