Hamlet, Prinz von Dannemark | Page 6

William Shakespeare
demüthige Knechte, Gnädiger Herr--
(Sie gehen ab.)
Hamlet.
Meine Freunde, wie ich der eurige: Lebet wohl.
(Allein.)
Meines Vaters Geist in Waffen! Es ist nicht alles wie es seyn soll! Ich
besorge irgend eine verdekte Übelthat: Wenn nur die Nacht schon da
wäre! Bis dahin, size still, meine Seele:
Schändliche Thaten müssen
ans Licht kommen, und wenn der ganze Erdboden über sie hergewälzt
wäre.
Fünfte Scene.
(Verwandelt sich in ein Zimmer in Polonius Hause.)

(Laertes und Ophelia treten auf.)
Laertes.
Mein Geräthe ist eingepakt, lebet wohl Schwester, und wenn
die Winde meiner Reise günstig sind, so verschlaft mein Andenken
nicht, sondern laßt mich Nachrichten von euch haben.
Ophelia.
Wie könnt ihr daran zweifeln?
Laertes.
Was den Hamlet und die Tändeley seiner Liebe betrift, haltet
sie für einen flüchtigen Geschmak, und ein Spiel des jugendlichen
Blutes; ein Veilchen in den ersten Frühlings-Tagen der Natur,
frühzeitig aber nicht dauerhaft; angenehm, aber hinfällig; ein lieblicher
Geruch für eine Minute; nicht mehr--
Ophelia.
Nicht mehr als das?
Laertes.
Glaubt mir, nicht mehr, liebe Schwester. Wir nehmen in
unsrer Jugend nicht nur an Grösse und Stärke zu; die Seele wächßt mit,
und ihre innerliche Verrichtungen und Pflichten dehnen sich mit ihrem
Tempel aus. Vielleicht liebt er euch izt aufrichtig, mit der reinen
Zuneigung eines noch unverdorbnen Herzens: Aber ihr müßt bedenken,
daß, sobald er seine Grösse in Erwägung ziehen wird, seine Neigung

nicht mehr in seiner Gewalt ist: Denn er selbst hangt von seiner Geburt
ab; er darf nicht für sich selbst wählen, wie gemeine Leute: Die
Sicherheit und das Wohl des Staats hängt an seiner Wahl, und daher
muß sich seine Wahl nach der Stimme und den Wünschen des Körpers,
wovon er das Haupt ist, bestimmen. Wenn er also sagt, er liebe euch, so
kömmt es eurer Klugheit zu, ihm in so weit zu glauben, als er nach
seiner Geburt und künftigen Würde, seinen Worten Kraft geben kan;
und das ist nicht mehr, als wozu er die Einwilligung des Königs
erhalten kan. Überleget also wol, was für einen grossen Verlust eure
Ehre leiden kan, wenn ihr seinem lokenden Gesang ein zu
leichtgläubiges Ohr verleihet; entweder ihr verliehrt euer Herz, oder
sein Ungestüm, den zulezt nichts mehr zurükhalten wird, sieget gar
über eure Keuschheit. Fürchtet es, Ophelia, fürchtet es, meine theure
Schwester; steuret einer noch unschuldigen Neigung, die so gefährlich
ist, und überlaßt euch nicht dem Strom schmeichelnder Wünsche. Das
gefälligste Mädchen ist verschwenderisch genug, wenn sie ihre keusche
Schönheit dem Mond entschleyert: Die Tugend selbst ist vor den
Bissen der Verläumdung nicht sicher; nur allzu oft frißt ein verborgner
Wurm die Kinder des Frühlings, bevor ihre Knospen sich entwikelt
haben; und mengender Meel-Thau ist nie mehr zu besorgen als im
Thauvollen Morgen der Jugend. Seyd also vorsichtig; hier giebt Furcht
die beste Sicherheit; die Jugend hat einen Feind in sich selbst, wenn sie
auch keinen von aussen hat.
Ophelia.
Ich werde diese guten Erinnerungen zu immer wachsamen
Hütern meines Herzens machen. Aber, mein lieber Bruder, macht es ja
nicht, wie manche ungeheiligte Seelen-Hirten, die euch den engen und

dornichten Pfad zum Himmel weisen, indessen daß sie selbst, ihrer
eignen Lehren uneingedenk, in ruchloser Freyheit auf dem breiten
Frühlings-Wege der Üppigkeit dahertraben.
Laertes.
O, davor seyd unbekümmert.
Sechste Scene.
(Polonius zu den Vorigen.)
Laertes.
Ich halte mich zulang auf--Aber hier kommt mein Vater:
Desto besser; ich werde seinen Abschieds-Segen gedoppelt erhalten.

Polonius.
Du bist noch hier, Laertes! Zu Schiffe, zu Schiffe, mein
Sohn; der Wind schwellt eure Segel schon, und man wartet auf euch.
Hier, empfange meinen Segen,
(Er legt seine Hand auf Laertes Haupt)
und diese wenigen Lebens-Regeln, womit ich ihn begleite, schreib in
dein Gedächtniß ein. Gieb deinen Gedanken keine Zunge, und wenn du
je von unregelmässigen überrascht wirst, so hüte dich wenigstens, sie
zu Handlungen zu machen: Sey gegen jedermann leutselig, ohne dich
mit jemand gemein zu machen: Hast du bewährte Freunde gefunden, so
hefte sie unzertrennlich an deine Seele; aber gieb deine Freundschaft
nicht jeder neuausgebruteten, unbefiederten
Bekanntschaft preiß.
Hüte dich vor den Gelegenheiten zu Händeln; bist du aber einmal
darinn, so führe dich so auf, daß dein Gegner nicht hoffen könne, dich
ungestraft zu beleidigen. Leih' dein Ohr einem jeden, aber wenigen
deinen Mund; nimm jedermanns Tadel an, aber dein Urtheil halte zurük.
Kleide dich so kostbar als es dein Beutel bezahlen kan, aber nicht
phantastisch; reich, nicht
comödiantisch: Denn der Anzug verräth oft
den Mann, und in
Frankreich pflegen Leute von Stand und Ansehen
sich gleich dadurch anzukündigen, daß sie sich mit Geschmak und
Anstand kleiden. Sey weder ein Leiher noch ein Borger; denn durch
Leihen richtet man oft sich selbst und seinen Freund zu Grunde; und
borgen untergräbt das Fundament einer guten Haushaltung. Vor allem,
sey redlich gegen dich selbst, denn daraus folget so nothwendig als das
Licht dem Tage, daß du es auch gegen jedermann seyn wirst. Lebe
wohl, mein Sohn; mein Segen befruchte diese Erinnerungen in deinem
Gemüthe!
Laertes.
Ich beurlaube mich demüthigst von euch, Gnädiger Herr
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