Grevinde | Page 9

Hermann Heiberg
das aber in einer Weise, die keinerlei Absichtlichkeit
durchschimmern ließ; sie behandelte die Dinge als etwas naturgemäß
zu ihr gehöriges. Aber es ging aus allem hervor, daß sie Umgang und
Beziehungen zu solchen Personen über alles stellte, daß das Leben in
diesen Kreisen mit dem Interesse für Toilette, Korsos, Jagden, Pferde
und geräuschvolle Geselligkeiten ihr Eldorado war. Und dieses
Hervorkehren und dieses Wertlegen auf Dinge, die Axel als
minderwertige ansah, reizte ihn und verführte ihn zu starkem
Widerspruch.
"Was Sie besonders anzuziehen scheint, Komtesse, stößt mich geradezu
ab--" warf er, herabsetzend im Tone, hin.
Und mit einem "So, so! Ja, der Geschmack ist eben ein
verschiedener--" antwortete sie darauf.
Statt daß Lucile, wie Axel erwartet hatte, ein Erstaunen darüber an den
Tag legte, daß er, der doch zu diesem Kreise gehörte, einen solchen
abweichenden Geschmack bekundete, schien sie das hinzunehmen, wie
das Zwitschern eines Vögelchens, das über ihnen in den Zweigen
huschte.
Sie rechnete mit dem, was einmal vorhanden war; sie entwickelte
keinen Eifer darüber, daß es mit ihren Neigungen nicht übereinstimmte.

Während sie sich eben wieder dem Schloß näherten, in dem sie ein
Waffenzimmer besichtigen wollten, von dem beim Frühstück die Rede
gewesen war, sagte er:
"Sie ziehen also wohl jedenfalls die Stadt dem Lande vor. Sie finden
wahrscheinlich gar keinen Geschmack an dem einförmig-stillen Leben
auf Rankholm, Komtesse?"
Statt einzutreten--eben hatten sie eine Pforte im Souterrain erreicht,
durch die man von hinten ins Schloß gelangen konnte--blieb sie stehen,
richtete den Blick geradeaus und sagte, zunächst durch eine
Kopfbewegung seinen Worten begegnend:
"Nein, ich bin hier sehr gern. Im Sommer ist mir die Stadt nichts.
Aber--ich spreche offen--ich finde die Personen hier wenig anziehend.
Wäre nicht mein Vater--" Sie hielt inne und während sie die Lippen
schloß, reckte sie den schlanken Hals rückwärts, wie jemand, der einer
starken Empfindung Herr zu werden versucht.
Nun wurde Axel aufmerksam.
Scheinbar arglos sprechend, fiel er ein:
"Ja, Ihre Eltern, Ihr Herr Papa, Ihre Frau Mama, die müssen jedermann
fesseln!"
"Meine Mutter--?" Lucile zog die Schultern, und in ihren Zügen
erschien ein eigentümlicher Ausdruck. Doch sprach sie nicht aus, was
sie dachte, und offenbar empfand sie Reue, daß sie sich so weit
vergessen hatte.
Auch suchte sie den von ihr hervorgerufenen Eindruck rasch wieder zu
verwischen, indem sie sagte:
"Ich wollte betonen, daß ich mit meinem Vater besser hamoniere als
mit Mama und Imgjor"--Und plötzlich abschweifend:
"Wie finden Sie Imgjor?"

"Bezaubernd!"
"So--!? Ja, das ist ein Mädchen, um das alle Männer werben. Es
geschieht, weil sie ihnen nicht einen Finger giebt. Solche strecken
ganze Scharen zu ihren Füßen."
Dann schwieg sie. Als sie aber oben in das Waffenzimmer getreten
waren und sich hier, nach Besichtigung der Gegenstände, noch einmal
niedergelassen hatten, sagte Lucile Lavard:
"Ich gehe gern hier hinauf, weil meine Vorstellungen rege werden. Ich
wollte, ich hätte damals leben können, als noch Rankholm der
Mittelpunkt der vornehmen Welt war, als noch unsere Vorfahren
Gesandte, Staatsminister und Feldmarschälle waren, als sie die
Herrscher Dänemarks wochenlang zum Besuch bei sich sahen!"
"Sie sind offenbar sehr ehrgeizig, Komtesse!--Sie sind aus dem alten
Lavardschen Blut."
"Ja, ich bin ehrgeizig, Sie haben recht, Graf Dehn! Ich leugne es nicht.
Ich lege Wert auf meinen Stamm, auf unser Ansehen und unsern
Reichtum. Ich bin aber--" hier lächelte Lucile Lavard mit einem
liebenswürdig anschmiegenden Lächeln--"durchaus nicht so äußerlich,
wie Sie glauben mögen. Ja, ja, ich hab's schon bemerkt, Herr Graf, daß
Sie mich recht abfällig beurteilen.--Lassen Sie mich Ihnen sagen, wie
ich denke! Ich wünsche mich auszusprechen, da ich Sie bereits zu uns
zähle: Ich überhebe mich über niemanden, das wäre eine
Beschränktheit. Gott gab mir objektiven Verstand. Aber ich leugne
nicht, daß ich, je höher die Verfeinerung der Sitten und je vornehmer,
sorgloser die Lebensverhältnisse sind, um so größeren Geschmack an
den Menschen und Verhältnissen finde. Das Leben mit den
gesellschaftlich Auserwählten ist mir Bedürfnis, ich teile durchweg ihre
Interessen und Neigungen. Freilich unterscheide ich stark. Der
Oberflächlichkeit gehe ich möglichst aus dem Wege; die Männer, die
unthätig nur in den Tag hinein leben, verabscheue ich. Finde ich
Verstand, Streben, Geist und wahrhaft kavaliermäßige Eigenschaften,
so suche ich eine Annäherung. Mein Ziel ist das Bündnis mit einem
Mitglied der höchsten Stände. Eine Lavard hat das Recht, ihre Hand

nach einer Fürstenkrone auszustrecken. Und wenn ich das erreicht habe,
so will ich mir Beachtung erwerben durch die Pflege der Künste und
Wissenschaften, durch Wohlthun, durch die Förderung alles dessen,
was im wahren Sinne wertvoll und sittlich ist. So denke ich mir mein
künftiges Leben, dahin geht mein Ehrgeiz."
Axel hatte ihr aufmerksam zugehört, und so sehr wuchs durch die
Verminderung seiner Vorurteile ihre Persönlichkeit in seinen Augen,
daß er sich zu einer eifersüchtigen Regung fortreißen ließ.
"Wahrlich, ich bewundere Sie, Komtesse!" stieß er heraus. "Aber ich
empfinde einen starken Schmerz um die, welche mit keiner Krone im
Wappen zur Welt kamen und
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