Ihnen dadurch gewordenen
ungünstigen Eindrücke inzwischen bereits wieder verwischt haben!"
Freilich trat nach diesen Einleitungsworten ein anderer Ausdruck in
ihre Züge, ein abwartender, etwas forschender.
Auch sprach sie, nachdem er ihr geantwortet, auch kavaliermäßig den
Arm geboten und sie gebeten hatte, die frühere bequeme Lage wieder
einzunehmen, fast ein wenig schroff:
"Nein, nein, ich danke! Ich habe genug geruht. Auch möchte ich mich
nach Ihren Wünschen erkundigen. Sie werden flau sein, lieber Herr
Graf. Wir speisen erst in einigen Stunden. Darf ich Ihnen nicht irgend
etwas anbieten? Vielleicht nehmen Sie ein wenig alten Portwein und
scharfen Käse?"
Und als Graf Dehn erklärte, keinen Hunger zu haben, hörte sie nicht
einmal hin, zog vielmehr an einer breiten, seidenen Glockenschnur und
hieß einem sogleich durch die Korridorthür eintretenden Diener das
von ihr Erwähnte bringen.
"Es ist besser, Sie genießen etwas, lieber Herr Graf. Die Zunge wird
freier, das Gemüt belebter, wenn man eine gewisse Nüchternheit
verbannt. Ich möchte, daß Sie sich gleich heimisch, behaglich fühlen.
Ich kenne die Indisposition nach einer Reise. Niemals ist eine
Erfrischung angebrachter--"
"Schon Ihre wenigen gütigen Worte haben alles Unbehagliche
verscheucht, gnädigste Gräfin. In der That, man kann liebenswürdiger,
herzlicher nicht empfangen werden. Mir ist, als ob ich schon jahrelang
das Glück gehabt hätte, Sie zu kennen--"
"Ich freue mich, daß Sie so sprechen, Graf Dehn. Aber mit derselben
Offenheit: Sie gehören zu jenen Menschen, bei deren Anblick man den
Eindruck empfängt, man könne nie enttäuscht werden, bei welcher
Gelegenheit man immer die Hand nach Ihnen ausstreckt. Werden Sie
nicht sehr geliebt von Ihrer Umgebung, von Ihren Freunden--von den
Frauen? Gewiß, gewiß, Sie sind ein Sonnenkind! Und hoffen wir, daß
wir noch weit engere Freundschaft schließen--" fügte sie mit einer
Anspielung auf die Zwecke seines Kommens hinzu und lud ihn
zugleich durch eine liebenswürdige Geste ein, sich des inzwischen
gebrachten Frühstücks zu bedienen.
"Bringen Sie auch Champagner und die Florentiner Krystallgläser!
Vite!" befahl sie dem Diener, ließ sich neben dem Grafen nieder,
schenkte ihm ein und goß sich, als nach wenigen Minuten Champagner
erschien, selbst das kühl sprudelnde Getränk in das ungewöhnlich
geformte, unten und oben schmale, in der Mitte sanft ausgebogene und
hier hellgold, sonst aber krystallhell schimmernde Glas und setzte es an
die Lippen.
Aber auch Axels Glas hatte sie gefüllt, und als sie das ihrige abermals
voll gegossen, stieß sie mit ihm an und sagte:
"Nehmen wir uns vor, daß wir die kommenden Tage besonders
vergnügt zusammen verleben wollen. An mir soll's nicht fehlen, lieber
Graf. Rankholm ist sehr schön, aber die Einsamkeit tötet doch
bisweilen die Lebensgeister. Es ist eine wahre Wohlthat, wenn uns
jemand besucht. Die ländliche Bevölkerung gleicht einer Familie von
Schnecken. Auch die meisten Gebildeten haben Bleikugeln in ihren
Seelen, Köpfen und Beinen. Natürlich, ich habe Dienstboten, die
Feuerwerkskörper in sich bergen.--Sie werden nichts von der
Langsamkeit der Jüten bei ihnen finden. Anfangs versuchte ich es mit
hiesigen, aber gab's bald auf. Brave Menschen, ehrlich, gutherzig, aber
strafbar phlegmatisch und von einem Trotz, wenn sie einmal ihren
Kopf aussetzen, der an Starrheit grenzt. Ach, lieber Graf, wie ist das
Dasein zu ertragen, wenn man es so ernsthaft nimmt, wenn man immer
daran denkt, was kommt darnach, statt die Lebenslust zu pflegen, sich
für sie geistig und körperlichen schmücken!"
"Es fehlt den meisten leider dazu die Veranlagung, Frau Gräfin. Besäße
die Welt Ihr Temperament, Ihre Gesundheit, Ihre Schönheit und Ihren
Reichtum, würde sie schon Ihren Lehren folgen.--Zum Leben im
feineren Sinne gehört wenigstens Geist und Temperament: die besitzen
nur Auserwählte."
"Ich freue mich, daß Sie nicht, wie alle, lediglich die günstigen
materiellen Verhältnisse als Bedingung hervorheben. Es beweist eine
geringe Erfahrung und wenig Erhabenheit des Geistes, wenn man
vermeint, es könne uns der durch den Reichtum herbeigeführte Genuß
mit dem Dasein versöhnen. Ich möchte das Gegenteil behaupten. Man
muß etwas entbehren, man muß noch etwas Verlangen und Sehnsucht
empfinden, nicht nach dem Unbestimmten, das nie Erfüllung findet,
sondern nach den kleinen Freuden, die uns durch die Natur, durch
Eindrücke, durch den Verkehr mit Menschen, durch Thätigkeit, durch
unsere behaglichen Reflexionen, unsere Wünsche und Erwartungen,
endlich auch durch die Fähigkeit werden, immer eine stille Hoffnung in
unseren Herzen zu pflegen--"
Und als Graf Dehn, der diesen Ausführungen mit starker Beipflichtung
zugenickt hatte, bei den letzten Worten fragend das Auge erhob, schloß
die Gräfin:
"Ja, es ist die Wahrheit: Wir können ohne irgend eine stete, starke
Hoffnung nicht glücklich sein."
Sie wurden in ihrem Gespräch unterbrochen, weil plötzlich in der nach
dem Korridor führenden Thür die Gestalt eines jungen Mädchens
erschien.
Der Ausdruck in ihren Zügen war gemessen, aber eine solche Fülle
zarter Schönheit war über ihrem ganzen Wesen ausgegossen, daß der
Gedanke emporstieg, hier habe die Natur alles zusammengemischt, was
sie nur immer einem lebendigen Geschöpf an Bevorzugungen zu
verleihen vermöge.
Trotz der fröhlichen Jahreszeit war sie schwarz gekleidet; auch ein
dunkler Spitzenschleier umhüllte ihren
Continue reading on your phone by scaning this QR Code
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the
Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.