Geschichte des Agathon, Teil 2 | Page 6

Christoph Martin Wieland
Erz?hlung ihrer Geschichte mehr die Gesetze des Sch?nen und Anst?ndigen als die Pflichten einer genauen historischen Treue zu ihrem Augenmerk genommen, und sich kein Bedenken gemacht, bald einen Umstand zu versch?nern, bald einen andern gar wegzulassen, so oft es die besondere Absicht auf ihren Zuh?rer erfodern mochte. Denn f��r diesen allein, nicht f��r die Welt, erz?hlte sie; und sie konnte sich also durch die strengen Forderungen, welche die Letztere (wiewohl vergebens) an die Geschichtschreiber macht, nicht so sehr gebunden halten. Nicht, als ob sie ihm irgend eine haupts?chliche Begebenheit ihres Lebens g?nzlich verschwiegen, oder ihn statt der wirklichen durch erdichtete hintergangen h?tte. Sie sagte ihm alles. Allein es gibt eine gewisse Kunst, dasjenige was einen widrigen Eindruck machen k?nnte, aus den Augen zu entfernen; es k?mmt soviel auf die Wendung an; ein einziger kleiner Umstand gibt einer Begebenheit eine so verschiedene Gestalt von demjenigen, was sie ohne diesen kleinen Umstand gewesen w?re; da? man ohne eine merkliche Ver?nderung dessen was den Stoff der Erz?hlung ausmacht, tausend sehr bedeutende Treulosigkeiten an der historischen Wahrheit begehen kann. Eine Betrachtung, die uns (im Vorbeigehen zu sagen) die Geschichtschreiber ihres eignen werten Selbsts, keinen Xenophon noch Marcus Antoninus, ja selbst den offenherzigen Montaigne nicht ausgenommen, noch verd?chtiger macht, als irgend eine andre Klasse von Geschichtschreibern.
Die sch?ne und kluge Danae hatte also ihrem Liebhaber weder ihre Erziehung in Aspasiens Hause, noch ihre Bekanntschaft mit dem Alcibiades, noch die glorreiche Liebe, welche sie dem Prinzen Cyrus eingefl??t hatte, verhalten. Alle diese, und viele andre nicht so schimmernde Stellen ihrer Geschichte machten ihr entweder Ehre, oder konnten doch mit der Geschicklichkeit, worin sie die zweite Aspasia war, auf eine solche Art erz?hlt werden, da? sie ihr Ehre machten. Allein was diejenigen Stellen betraf, an denen sie alle Kunst, die man auf ihre Versch?nerung wenden m?chte, f��r verloren hielt; es sei nun, weil sie an sich selbst, oder in Beziehung auf den eigenen Geschmack unsers Helden, in keiner Art von Einkleidung, Wendung oder Licht gefallen konnten: ��ber diese hatte sie kl��glich beschlossen, sie mit g?nzlichem Stillschweigen zu bedecken; und daher kam es dann, da? unser Held noch immer in der Meinung stund, er selbst sei der erste gewesen, welchem sie sich durch Gunst-Bezeugungen von derjenigen Art, womit er von ihr ��berh?uft worden war, verbindlich gemacht h?tte. Ein Irrtum, der nach seiner spitzfindigen Denkens-Art zu seinem Gl��cke so notwendig war, da? ohne denselben alle Vollkommenheiten seiner Dame zu schwach gewesen w?ren, ihn nur einen Augenblick in ihren Fesseln zu behalten. Ihm diesen Irrtum zu benehmen, war der schlimmste Streich, den man seiner Liebe und der sch?nen Danae spielen konnte; und dieses zu tun, war das Mittel, wodurch der Sophist an beiden auf einmal eine Rache zu nehmen hoffte, deren blo?e Vorstellung sein boshaftes Herz in Erz��ckung setzte. Er laurte dazu nur auf eine bequeme Gelegenheit, und diese pflegt zu einem b?sen Vorhaben selten zu entgehen.
Ob dieses letztere der Gesch?ftigkeit irgend eines b?sen D?mons zu zuschreiben sei, oder ob es daher komme, da? die Bosheit ihrer Natur nach eine lebhaftere W��rksamkeit hervorbringt als die G��te; ist eine Frage, welche wir andern zu untersuchen ��berlassen. Es sei das eine oder das andere, so w��rde eine ganz nat��rliche Folge dieser fast allt?glichen Erfahrungs-Wahrheit sein, da? das B?se in einer immer wachsenden Progression zunehmen, und, wenigstens in dieser sublunarischen Welt, das Gute zuletzt g?nzlich verschlingen w��rde; wenn nicht aus einer eben so gemeinen Erfahrung richtig w?re, da? die Bem��hungen der B?sen, so gl��cklich sie auch in der Ausf��hrung sein m?gen, doch gemeiniglich ihren eigentlichen Zweck verfehlen, und das Gute durch eben die Ma?regeln und R?nke, wodurch es h?tte gehindert werden sollen, weit besser bef?rdern, als wenn sie sich ganz gleichg��ltig dabei verhalten h?tten.

ZWEITES KAPITEL
Verr?terei des Hippias
Unter andern Eigenschaften, welche den Charakter der Danae sch?tzbar machten, war auch diese, da? sie eine vortreffliche Freundin war. So gleichg��ltig sie, bis auf die Zeit da sich Agathon ihres Herzens bemeisterte, gegen den Vorwurf der Unbest?ndigkeit in der Liebe auch immer gewesen war: so zuverl?ssig und standhaft war sie jederzeit in der Freundschaft gewesen. Sie liebte ihre Freunde mit einer Z?rtlichkeit, welche von Leuten, die blo? nach dem ?u?erlichen Ausdruck urteilen, leicht einem eigenn��tzigern Affekt beigemessen werden konnte; denn diese Z?rtlichkeit stieg bis zum wirksamsten Grade der Leidenschaft, sobald es darauf ankam, einem ungl��cklichen Freunde Dienste zu leisten. Es war kein Vergn��gen, welches sie nicht in einem solchen Falle den Pflichten der Freundschaft aufgeopfert h?tte.
Eine Veranlassung von dieser Art (wovon die Umst?nde mit unsrer Geschichte in keiner Beziehung stehen) hatte sie auf einige Tage von Smyrna abgerufen. Agathon mu?te zur��ckbleiben, und die gutherzige Danae, mit dem Beweise zufrieden, den ihr sein Schmerz bei ihrem Abschied von seiner Liebe gab, vers��?te sich ihren eigenen durch die Vorstellung, da? die kurze Trennung ihm den Wert seiner Gl��ckseligkeit weit lebhafter zu f��hlen geben werde, als eine ununterbrochene Gegenwart. Ruhig ��ber
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