sie mögen es angehen, wie sie wollen. Sie mögen die Denkens-Art
dieser Leute noch so gut kennen, noch so viele Proben davon haben,
daß derjenige, dessen Neigungen und Handlungen allein durch das
Interesse seiner eigennützigen Leidenschaften bestimmt wird, keines
rechtschaffenen Betragens fähig ist; es wird ihnen doch immer
unmöglich bleiben, alle Krümmen und Falten seines Herzens so genau
auszuforschen, daß nicht in irgend einer derselben noch eine geheime
Schalkheit lauren sollte, deren man sich nicht versehen hatte, wenn sie
endlich zum Vorschein kömmt. Agathon und Danae, zum Exempel,
kannten den Hippias gut genug, um überzeugt zu sein, daß er sich,
sobald sein Interesse dem Vorteil ihrer Liebe entgegenstünde, nicht
einen Augenblick bedenken würde, die Pflichten der Freundschaft
seinem Eigennutzen aufzuopfern. Denn was sind Pflichten für einen
Hippias? Hingegen konnten sie nicht begreifen, was für einen Vorteil er
darunter haben könnte, ihre Herzen zu trennen; und dieses machte sie
sicher. In der Tat hatte er keinen; auch hatte er eigentlich die Absicht
nicht sie zu trennen. Aber er hatte ein Interesse, ihnen einen Streich zu
spielen, welcher, dem Charakter des Agathon nach, notwendig diese
Würkung tun mußte. Und das war es, woran sie nicht dachten.
Wir haben im vierten Buche dieser Geschichte die Absichten entdeckt,
welche den Sophisten bewogen hatten, unsern Helden mit der schönen
Danae bekannt zu machen. Der Entwurf war wohl ausgesonnen, und
hätte, nach den Voraussetzungen, die dabei zum Grunde lagen,
ohnmöglich mißlingen können, wenn man auf irgend eine
Voraussetzung Rechnung machen dürfte, so bald sich die Liebe ins
Spiel mischt. Dieses mal war es ihm gegangen, wie es gemeiniglich
den Projektmachern geht; er hatte an alles gedacht, nur nicht an den
einzigen Fall, der ihm seine Absichten vereitelte. Wie hätte er auch
glauben können, daß eine Danae fähig sein sollte, ihr Herz an einen
Platonischen Liebhaber zu verlieren? Ein gleichgültiger Philosoph
würde darüber betroffen gewesen sein, ohne böse zu werden; aber es
gibt sehr wenig gleichgültige Philosophen. Hippias fand sich in seinen
Erwartungen betrogen; seine Erwartungen gründeten sich auf Schlüsse;
seine Schlüsse auf seine Grundsätze, und auf diese das ganze System
seiner Ideen, welches (wie man weiß) bei einem Philosophen
wenigstens die Hälfte seines geliebten Selbsts ausmacht. Wie hätte er
nicht böse werden sollen? Seine Eitelkeit fühlte sich beleidiget.
Agathon und Danae hatten die Gelegenheit dazu gegeben. Er wußte
zwar wohl, daß sie keine Absicht ihn zu beleidigen dabei gehabt haben
konnten; allein darum bekümmert sich kein Hippias. Genug, daß sein
Unwille gegründet war; daß er einen Gegenstand haben mußte; und daß
ihm nicht zu zumuten war, sich über sich selbst zu erzürnen. Leute von
seiner Art würden eher die halbe Welt untergehen sehen, eh sie sich nur
gestehen würden, daß sie gefehlt hätten. Es war also natürlich, daß er
darauf bedacht war, sich durch das Vergnügen der Rache für den
Abgang desjenigen zu entschädigen, welches er sich von der
vermeinten und verhofften Bekehrung unsers Helden versprochen
hatte.
Agathon liebte die schöne Danae, weil sie, selbst nachdem der äußerste
Grad der Bezauberung aufgehört hatte, in seinen Augen noch immer
das vollkommenste Geschöpfe war, das er kannte. Was für ein Geist!
was für ein Herz! was für seltene Talente! welche Anmut in ihrem
Umgang! was für eine Manchfaltigkeit von Vorzügen und Reizungen!
wie hochachtungswert mußte sie das alles ihm machen! wie vorteilhaft
war ihr die Erinnerung an jeden Augenblick, von dem ersten an, da er
sie gesehen, bis zu demjenigen, da sie von sympathetischer Liebe
überwältiget die seinige glücklich gemacht hatte! Kurz alles was er von
ihr wußte, war zu ihrem Vorteil, und von allem was seine
Hochschätzung hätte schwächen können, wußte er nichts.
Man kann sich leicht vorstellen, daß sie so unvorsichtig nicht gewesen
sein werde, sich selbst zu verraten. Es ist wahr, sie hatte sich nicht
entbrechen können, die vertraute Erzählung, welche er ihr von seinem
Lebens-Lauf gemacht, mit Erzählung des ihrigen zu erwidern; aber wir
zweifeln sehr, daß sie sich zu einer eben so gewissenhaften
Vertraulichkeit verbunden gehalten habe. Und woher wissen wir auch,
daß Agathon selbst, mit aller seiner Offenherzigkeit, keinen Umstand
zurück gehalten habe, von dem er vielleicht, wie ein guter Maler oder
Dichter, vorausgesehen, daß er der schönen Würkung des Ganzen
hinderlich sein könnte. Wer ist uns Bürge dafür, daß die verführische
Priesterin nicht mehr über ihn erhalten habe, als er eingestanden?
Wenigstens hat einigen von unsern Lesern, (welche vielleicht vergessen
haben, daß sie keine Agathons sind) die tiefe Gleichgültigkeit etwas
verdächtig geschienen, worin ihn, bei einer gewissen Gelegenheit,
Reizungen, die, ihrer Meinung nach, in seiner bloßen Beschreibung
schon verführen könnten, gelassen haben sollen. In der Tat; man mag
so schüchtern oder so Platonisch sein als man will; eine schöne Frau,
welche sich vorgenommen hat, die Macht ihrer Reizungen an uns zu
prüfen, selbst von dem Gott der Liebe begeistert, und was noch
schlimmer ist, eine Priesterin--in einer so belaurenden Stellung, mit so
schwarzen Augen,
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