Geschichte des Agathon, Teil 2 | Page 4

Christoph Martin Wieland
Liebe in verschiedenen Gestalten Viertes Kapitel:
Fortsetzung des Vorhergehenden Fünftes Kapitel: Agathon entfliehet
von Delphi, und findet seinen Vater Sechstes Kapitel: Agathon kommt
nach Athen, und widmet sich der Republik. Eine Probe der besondern
Natur desjenigen Windes, welcher vom Horaz aura popularis genennet
wird Siebentes Kapitel: Agathon wird von Athen verbannt Achtes
Kapitel: Agathon endigt seine Erzählung Neuntes Kapitel: Ein starker
Schritt zur Entzauberung unsers Helden
Zweiter Teil Achtes Buch Erstes Kapitel: Vorbereitung zum Folgenden
Zweites Kapitel: Verräterei des Hippias Drittes Kapitel: Folgen des
Vorhergehenden Viertes Kapitel: Eine kleine Abschweifung Fünftes
Kapitel: Schwachheit des Agathon; unverhoffter Zufall, der seine
Entschließungen bestimmt Sechstes Kapitel: Betrachtungen, Schlüsse
und Vorsätze Siebentes Kapitel: Eine oder zwo Digressionen Neuntes
Buch Erstes Kapitel: Veränderung der Szene. Charakter der
Syracusaner, des Dionysius und seines Hofes Zweites Kapitel:
Charakter des Dion. Anmerkungen über denselben. Eine Digression
Drittes Kapitel: Eine Probe, daß die Philosophie so gut zaubern könne,
als die Liebe Viertes Kapitel: Philistus und Timocrates Fünftes Kapitel:
Agathon wird der Günstling des Dionysius Zehentes Buch Erstes
Kapitel: Von Haupt--und Staats-Aktionen. Betragen Agathons am Hofe
des Königs Dionys Zweites Kapitel: Beispiele, daß nicht alles, was
gleißt, Gold ist Drittes Kapitel: Große Fehler wider die Staats-Kunst,
welche Agathon beging--Folgen davon Viertes Kapitel: Nachricht an
den Leser Fünftes Kapitel: Moralischer Zustand unsers Helden Eilftes
Buch Erstes Kapitel: Apologie des griechischen Autors Zweites Kapitel:
Die Tarentiner. Charakter eines liebenswürdigen alten Mannes Drittes
Kapitel: Eine unverhoffte Entdeckung Viertes Kapitel: Etwas, das man
ohne Divination vorhersehen konnte Fünftes Kapitel: Abdankung

ZWEITER TEIL

ACHTES BUCH

ERSTES KAPITEL
Vorbereitung zum Folgenden
Die Laune eines Dichters, die Treue einer Buhlerin, und die
Freundschaft eines Hippias, sind vielleicht die drei unzuverlässigsten
Dinge unter allen in der Welt; es wäre denn, daß man die Gunst der
Großen für das Vierte halten wollte, welche gemeiniglich eben so leicht
verloren als gewonnen wird, und mit den Gunstbezeugungen gewisser
Nymphen noch diese ähnlichkeit hat, daß derjenige, welcher
unvorsichtig genug gewesen ist davon zu kosten, einen kurzen Traum
von Vergnügen gemeiniglich mit langwierigen Schmerzen bezahlen
muß.
Hippias nannte sich einen Freund der schönen Danae, und wurde von
ihr dafür gehalten; eine Bekanntschaft von mehr als zwölf Jahren hatte
dieses beiden zur Gewohnheit gemacht. Hiezu kam noch die natürliche
Verwandtschaft, welche unter Leuten von Witz und feiner Lebens-Art
obwaltet, die übereinstimmung ihrer Denkungs-Art, und Neigungen;
vielleicht auch die besondere Vorrechte, die er, der gemeinen Meinung
nach, eine Zeit lang bei ihr genossen. Alles dieses hatte diese Art von
Vertraulichkeit unter ihnen hervorgebracht, welche von den Weltleuten,
aus einem Mißverstande dessen sie sich nur nicht vermuten, für
Freundschaft gehalten wird, und auch in der Tat alle Freundschaft,
deren sie fähig sind, ausmacht; ob es gleich gemeiniglich eine bloß
mechanische Folge zufälliger Umstände, und im Grunde nichts bessers
als eine stillschweigende übereinkommnis ist, einander so lange
gewogen zu sein, als es einem oder dem andern Teil gelegen sein werde;
und daher auch ordentlicher Weise keinen Augenblick länger daurt, als
bis sie auf irgend eine Probe, wobei sich die Eigenliebe einige Gewalt
antun müßte, gesetzt werden wollte.
Die schöne Danae, deren Herz unendlich mal besser war als des

Sophisten seines, ging inzwischen ganz aufrichtig zu Werke, indem sie
in die vermeinte Freundschaft dieses Mannes nicht den mindesten
Zweifel setzte. Es ist wahr, er hatte einen guten Teil von ihrer
Hochachtung, und also zugleich von ihrem Vertrauen verloren, seitdem
die Liebe so sonderbare Veränderungen in ihrem Charakter gewürkt
hatte. Je mehr Agathon gewann, je mehr mußte Hippias verlieren.
Allein das war so natürlich und kam so unvermerkt, daß sie sich dessen
kaum, oder nur sehr undeutlich bewußt war; und vielleicht so wenig,
daß sie, ohne die mindeste Besorgnis, er werde tiefer in ihr Herz
hineinschauen als sie selbst, an nichts weniger dachte, als einige
Vorsichtigkeit gegen ihn zu gebrauchen. Ein Beweis hievon ist, daß sie,
anstatt ihm bei ihrem Liebhaber schlimme Dienste zu tun, sich
vielmehr bei jedem Anlaß bemühete, ihn bei demselben in bessere
Achtung zu setzen. Und dieses war ihr auch, bei der besondern Sorgfalt,
womit der Sophist seit einiger Zeit ihre Bemühung beförderte, so wohl
gelungen, daß Agathon anfing eine bessere Meinung von seinem
Charakter zu fassen, und sich unvermerkt so viel Vertrauen von ihm
abgewinnen ließ, daß er kein Bedenken mehr trug, sich so gar über die
Angelegenheiten seines Herzens in vertrauliche Unterredungen mit ihm
einzulassen.
Unsre Liebende verliefen sich also mit der sorglosesten
Unvorsichtigkeit, welche sich Hippias nur wünschen konnte, in die
Fallstricke die er ihnen legte; und ließen sich nicht einfallen, daß er
Absichten haben könne, eine Verbindung wieder zu vernichten, die
gewissermaßen sein eigenes Werk war. Diese Sorglosigkeit könnte
vielleicht desto tadelhafter scheinen, da beiden so wohl bekannt war,
nach was für Grundsätzen er lebte. Allein es ist eine Beobachtung, die
man alle Tage zu machen Gelegenheit hat, daß edle Gemüter mit
Leuten von dem Charakter unsers Sophisten betrogen werden müssen,
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