Götzen-Dämmerung | Page 2

Friedrich Wilhelm Nietzsche
- Dass man unter einer Last zu Grunde
geht, die man weder tragen, noch abwerfen kann?... Der Fall des
Philosophen.
12.
Hat man sein warum? des Lebens, so verträgt man sich fast mit jedem
wie? - Der Mensch strebt nicht nach Glück; nur der Engländer thut das.
13.
Der Mann hat das Weib geschaffen - woraus doch? Aus einer Rippe
seines Gottes, - seines "Ideals"...
14.
Was? du suchst? du möchtest dich verzehnfachen, verhundertfachen?

du suchst Anhänger? - Suche Nullen.
15.
Posthume Menschen - ich zum Beispiel - werden schlechter verstanden
als zeitgemässe, aber besser gehört. Strenger: wir werden nie
verstanden - und daher unsre Autorität...
16.
Unter Frauen. - "Die Wahrheit? Oh Sie kennen die Wahrheit nicht! Ist
sie nicht ein Attentat auf alle unsre pudeurs?" -
17.
Das ist ein Künstler, wie ich Künstler liebe, bescheiden in seinen
Bedürfnissen: er will eigentlich nur Zweierlei, sein Brod und seine
Kunst, - panem et Circen...
18.
Wer seinen Willen nicht in die Dinge zu legen weiss, der legt
wenigstens einen Sinn noch hinein: das heisst, er glaubt, dass ein Wille
bereits darin sei (Princip des "Glaubens").
19.
Wie? ihr wähltet die Tugend und den gehobenen Busen und seht
zugleich scheel nach den Vortheilen der Unbedenklichen? - Aber mit
der Tugend verzichtet man auf "Vortheile"... (einem Antisemiten an die
Hausthür.)
20.
Das vollkommene Weib begeht Litteratur, wie es eine kleine Sünde
begeht: zum Versuch, im Vorübergehn, sich umblickend, ob es Jemand
bemerkt und dass es Jemand bemerkt...
21.

Sich in lauter Lagen begeben, wo man keine Scheintugenden haben
darf, wo man vielmehr, wie der Seiltänzer auf seinem Seile, entweder
stürzt oder steht - oder davon kommt...
22.
"Böse Menschen haben keine Lieder." - Wie kommt es, dass die
Russen Lieder haben?
23.
"Deutscher Geist": seit achtzehn Jahren eine contradictio in adjecto.
24.
Damit, dass man nach den Anfängen sucht, wird man Krebs. Der
Historiker sieht rückwärts; endlich glaubt er auch rückwärts.
25.
Zufriedenheit schützt selbst vor Erkältung. Hat je sich ein Weib, das
sich gut bekleidet wusste, erkältet? - Ich setze den Fall, das es kaum
bekleidet war.
26.
Ich misstraue allen Systematikern und gehe ihnen aus dem Weg. Der
Wille zum System ist ein Mangel an Rechtschaffenheit.
27.
Man hält das Weib für tief - warum? weil man nie bei ihm auf den
Grund kommt. Das Weib ist noch nicht einmal flach.
28.
Wenn das Weib männliche Tugenden hat, so ist es zum Davonlaufen;
und wenn es keine männlichen Tugenden hat, so läuft es selbst davon.

29.
"Wie viel hatte ehemals das Gewissen zu beissen? welche guten Zähne
hatte es? - Und heute? woran fehlt es?" - Frage eines Zahnarztes.
30.
Man begeht selten eine Übereilung allein. In der ersten Übereilung thut
man immer zu viel. Eben darum begeht man gewöhnlich noch eine
zweite - und nunmehr thut man zu wenig...
31.
Der getretene Wurm krümmt sich. So ist es klug. Er verringert damit
die Wahrscheinlichkeit, von Neuem getreten zu werden. In der Sprache
der Moral: Demuth. -
32.
Es giebt einen Hass auf Lüge und Verstellung aus einem reizbaren
Ehrbegriff; es giebt einen ebensolchen Hass aus Feigheit, insofern die
Lüge, durch ein göttliches Gebot, verboten ist. Zu feige, um zu lügen...
33.
Wie wenig gehört zum Glücke! Der Ton eines Dudelsacks. - Ohne
Musik wäre das Leben ein Irrthum. Der Deutsche denkt sich selbst Gott
liedersingend.
34.
On ne peut penser et écrire qu'assis (G. Flaubert). - Damit habe ich dich,
Nihilist! Das Sitzfleisch ist gerade die Sünde wider den heiligen Geist.
Nur die ergangenen Gedanken haben Werth.
35.
Es giebt Fälle, wo wir wie Pferde sind, wir Psychologen, und in Unruhe
gerathen: wir sehen unsren eignen Schatten vor uns auf und

niederschwanken. Der Psychologe muss von sich absehn, um überhaupt
zu sehn.
36.
Ob wir Immoralisten der Tugend Schaden thun? - Eben so wenig, als
die Anarchisten den Fürsten. Erst seitdem diese angeschossen werden,
sitzen sie wieder fest auf ihrem Thron. Moral: man muss die Moral
anschiessen.
37.
Du läufst voran? - Thust du das als Hirt? oder als Ausnahme? Ein
dritter Fall wäre der Entlaufene... Erste Gewissensfrage.
38.
Bist du echt? oder nur ein Schauspieler? Ein Vertreter? oder das
Vertretene selbst? - Zuletzt bist du gar bloss ein nachgemachter
Schauspieler... Zweite Gewissensfrage.
39.
Der Enttäuschte spricht. - Ich suchte nach grossen Menschen, ich fand
immer nur die Affen ihres Ideals.
40.
Bist du Einer, der zusieht? oder der Hand anlegt? - oder der wegsieht,
bei Seite geht?... Dritte Gewissensfrage.
41.
Willst du mitgehn? oder vorangehn? oder für dich gehn?... Man muss
wissen, was man will und dass man will. Vierte Gewissensfrage.
42.
Das waren Stufen für mich ich bin über sie hinaufgestiegen, - dazu

musste ich über sie hinweg. Aber sie meinten, ich wollte mich auf
ihnen zur Ruhe setzen...
43.
Was liegt daran, das ich Recht behalte! Ich habe zu viel
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