als nebensächlich, ja als Ausfluß
ihres unbefangenen Wesens ganz natürlich erschienen.
Fragten so Vater und Mutter nicht viel nach der sonst üblichen Form
und Sitte, so war doch ein Element in dem Haus, das manchmal danach
sah, was denn in anderen Professorenfamilien Brauch sei und diese
Sitten auch einführen wollte, und das war Anne, der dienstbare Geist
des Hauses. Diese treue Person liebte vor allem die kleine Pauline und
hätte sie gerne feiner gekleidet gesehen. Besonders eines war es, das sie
immer wieder beantragte, das Kind sollte auch, wie andere seines
Standes, Ohrringe bekommen. Sie wandte sich an die Mutter, ja an den
Herrn Hofrat selbst, aber ihre Bitte fand kein Gehör, denn für solchen
Luxus war man nicht zu haben. Anne aber konnte die schmucklosen
Ohren ihres Lieblings nimmer ertragen. Sie wartete, bis sie wieder
ihren Lohn erhalten hatte, nahm dann heimlich das Kind mit sich,
kaufte ihm nach ihrem Geschmack goldene Ohrringe, stach sie ihm
selbst kunstgerecht und führte stolz die so geschmückte Kleine den
Eltern vor, indem sie sagte, die Pauline sei so gut ein Professorenkind
wie andere auch, darum müsse sie auch wie diese Ohrringe tragen. Und
die Eltern, obgleich sie solchen Schmuck nicht leiden konnten, waren
doch viel zu gutmütig, um dem Mädchen, das sein Geld daran
gewendet hatte, die Freude zu verderben, und Pauline trug Ohrringe
wenigstens so lange Anne im Hause blieb.
Der Einfluß dieser treuen Dienerin war kein geringer auf Pauline, die
später oft scherzhaft von Anne als ihrer Erzieherin sprach. Für eine
solche wäre nur etwas weniger Aberglauben zu wünschen gewesen.
Der naive Standpunkt, auf dem in dieser Hinsicht die wackere Person
stand, geht aus folgendem Zuge hervor: Am Himmelfahrtsfest hatte sie
an eine Schürze ein neues Band angenäht, war sich dabei aber einer
Feiertagsentheiligung bewußt. Als nun am Nachmittag ein schweres
Gewitter heraufzog, fühlte sie sich durch diese Sünde um so mehr
beunruhigt, je heftiger es blitzte und donnerte. In ihrer Seelenangst eilte
sie endlich hinauf in den obersten Bodenraum, hing die Schürze mit
dem sündhaften Band zur Dachlucke hinaus und rief: »So Blitz, jetzt
schlag in den Bändel!«
Solche Eindrücke blieben der kleinen Pauline ebenso wie die
unheimlichen Gespenstergeschichten, die Anne erzählte und von deren
Wahrheit sie ganz überzeugt war. Dadurch wurde in der Kinderseele
eine Furcht erweckt, die sich in einsamen und in nächtlichen Stunden
oft zur Qual steigerte. War Pauline zufällig abends allein zu Hause, so
kam mit der Dunkelheit die Furcht über sie, aber nur die
Gespensterfurcht war es, eine andere kannte sie nicht. Deshalb verfiel
sie auch auf eine eigentümliche Schutzmaßregel. Sobald es dunkelte,
öffnete sie weit alle Türen und Fenster der Parterrewohnung, um
Gelegenheit zur Flucht zu haben. Dann blickte sie wachsam nach allen
Seiten, um nach der einen zu entfliehen, sobald von der andern das
Gespenst auftauchen würde. Sie war überzeugt, daß kein Besuch aus
der vierten Dimension es hinsichtlich der Schnelligkeit der Beine mit
ihr aufnehmen könne.
Oft erwachte sie nachts und horchte mit Bangen und Herzklopfen nach
irgend einem unerklärlichen Geräusch. Es gab deren so viele in dem
alten Haus, und besonders in der Dachkammer, die zeitweise ihre
Schlafstätte war. Oft wehte der Schnee oder drang der Regen durch die
Schindeln des Daches und das Bett mußte hin- und hergeschoben
werden, bis sich eine trockene Stelle fand. Sie erinnerte sich noch in
ihrem Alter einer Schreckensnacht, in der sie an einem Geräusch
erwachte und deutlich spürte, daß etwas auf ihrer Decke sich auf sie zu
bewegte. Ihre erregte Phantasie hatte im Nu ein Gespenst daraus
gemacht. Sie wagte sich nicht zu rühren und nicht zu schreien und
empfand buchstäblich, was wir meist nur bildlich so ausdrücken, daß
ihre Haare sich vor Entsetzen sträubten, bis sie erkannte, daß es nur
eine Katze war, die den Weg in die Kammer gefunden hatte. Pauline
hat die Gespensterfurcht als das schrecklichste Leiden ihrer Kinderzeit
im Gedächtnis behalten.
Hat die treue Anne in diesem Punkt Unheil angerichtet, so tat sie doch
sonst den Kindern nur Gutes und nahm an Freud und Leid der Familie
Anteil, wie wenn sie ein Glied derselben gewesen wäre, ja sogar das
auf Reichtum und Ehre am meisten bedachte Glied. Einmal hatte es
auch den Anschein, als sollte ihr Ehrgeiz befriedigt werden und
Reichtum in die Familie Pfaff einkehren. Die französische Akademie
hatte einen Ehrenpreis ausgesetzt für die Lösung einer ungemein
schwierigen astronomischen Berechnung. Pfaff, der sich für die
gestellte Aufgabe interessierte, machte sich an die mühsame Arbeit.
Vierzehn Bogen Papier -- so sagt wenigstens die Familientradition --
mußte seine Frau aneinanderkleben, damit die Berechnung darauf Platz
fand. Die Lösung gelang, wurde eingesandt und von der Akademie als
preiswürdig erkannt. Jeden Tag konnte der ausgesetzte Preis eintreffen.
Statt seiner kam in den Zeitungen die Nachricht von dem neuen
#régime# in Frankreich, welches das alte gestürzt hatte, und in den
Wirren der Julirevolution blieb der
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