Frau Pauline Brater | Page 4

Agnes Sapper
bedürftigen Studierenden oft über Gebühr
ausgenützt wurde.
Ähnlich lautet die Schilderung seiner Gattin: Eine originelle, heitere
Schwäbin mit köstlichem Humor, voll Herzensgüte und aufopfernder
Liebe, von größter persönlicher Anspruchslosigkeit und
unermüdlichem Fleiß, auch sie das Äußere geringachtend, Ordnung
und Schönheit hintansetzend. Beide beliebt in hohem Maße, denn die
Bedenken pedantischer Leute über die originelle Haushaltung und
äußere Erscheinung konnten nicht aufkommen gegen das
herzgewinnende, erfrischende und dabei so bescheidene Wesen dieses
glücklichen und Glück verbreitenden Paares. Man sah es der Frau
Hofrätin gerne nach, wenn es ihr einmal vorkam, daß sie in einer
Kaffeegesellschaft anstatt des Taschentuchs einen Hemdärmel ihrer
Buben aus der Tasche zog, der wohl in den Flickkorb gehörte; man
gewöhnte sich daran, daß bei ihren Kleidern nicht jeder Knopf
pedantisch in das für ihn bestimmte Knopfloch kam. Wer achtete
darauf, während sie so heiter und gemütvoll zu plaudern wußte, wer
verstand nicht, daß sie in unermüdlichem Schaffen und Sorgen für ihre
große Familie an die äußere Erscheinung wenig denken konnte?
Überdies wurde sie auch außerhalb der eigenen Familie vielfach in
Anspruch genommen. Sie hatte sich als Tochter eines Arztes manche
medizinische Kenntnis erworben, zu der noch ihre reiche Erfahrung als

Mutter und eine entschiedene natürliche Begabung kam. Dadurch
wurde es in weiten Bekanntenkreisen bei arm und reich der Brauch,
zunächst nach Frau Pfaff zu schicken, wenn ein Kind nicht gedeihen
wollte oder erkrankte. Sie wußte oft guten Rat und in ihrer großen
Herzensgüte fand sie es nur natürlich, wenn sie von allen Seiten in
Anspruch genommen wurde.
So waren die Eltern. Darf man dem Kind dieser harmonischen Ehe
nicht gute Geistesgaben, edlen Sinn und fröhlichen Humor voraussagen?
Und müssen wir nicht andererseits Bedenken haben, ob ihr auch der
Blick für die äußere Erscheinung, Ordnungs- und Schönheitssinn nicht
ganz abgehen wird? Wir werden ja sehen. Unendlich mannigfaltig sind
die Einflüsse, die dem in der Entwicklung stehenden Menschenkinde
zuströmen, bald hemmend bald fördernd, was ihm von der Natur eigen
ist.
Nächst den Eltern kamen die sieben Geschwister in Betracht, zu denen
sich später noch eine kleine Schwester Sophie gesellte, die aber früh
verstarb. Am nächsten im Alter standen Pauline ihre vier Brüder,
»Friedel, Hans, Co und Fritz«, ihre täglichen Spielkameraden, die
Genossen ihrer Jugend, vier prächtige Jungen voll Geist und Leben,
treuherzig und wahrhaftig. Trotzdem waren diese vier »Pfaffsbuben«
bekannt in Erlangen um ihrer vielen Streiche willen, und Pauline tat mit,
wo sie nur konnte. Der Vater, in seine gelehrten Arbeiten vertieft, ließ
sie gewähren, wenn sie es nicht gar zu toll trieben, und auch die Mutter
sah der Jugend ihren Übermut nach. Sie nahm es z. B. nicht schwer, als
sie einmal von der Kirche heimkommend von sechs Stühlen fünf mit
etwas abgesägten Beinen vorfand, schön regelmäßig abgestuft, einer
immer etwas kürzer als der andere, damit die ungleich großen Kinder
am Tisch sitzend alle gleich groß erschienen. Dieses merkwürdige
Mobiliar fand sich noch lange in der Familie. Ehrfurcht vor dem
Heiligen aber wurde gefordert. Als einstmals einer der Jungen den
Bibelspruch lernte: »Aus Adern und Knochen hast du den Menschen
gebildet« und darüber bemerkte, das müßte ein sonderbarer Mensch
sein, gab die Mutter dem kleinen Spötter mit dem Kochlöffel einen
solchen Treff, daß ihm und den anderen klar wurde: Die göttlichen
Dinge dürften nicht herabgezogen werden.

Denken wir uns zu solchen vier Brüdern eine kleine Schwester, so
dürfen wir ihr prophezeien, daß sie fröhlich und unternehmend, nicht
zimpferlich und pedantisch werden wird, freilich müssen wir auch
fürchten, daß diese Fröhlichkeit manchmal in bubenhafte Wildheit
ausarten und die Unternehmungslust sie auf allerlei Einfälle bringen
wird, die einem artigen Professorentöchterchen nicht wohl anstehen. So
lesen wir auch in dem Brief einer Tante, die zu Besuch kam, folgendes
Urteil über die damals vierjährige Pauline: »Sie ist so wild und
unbändig als die Knaben, was ihr als Mädchen viel übler ansteht, recht
gutmütig ist sie wohl, auch recht hübsch, allein ein wahrer Husar.«
Aber als Gegengewicht standen obenan zwei erwachsene Schwestern,
solche sind immer die geborenen Erzieherinnen für das jüngste Kind,
und bald wird sich noch ein anderer Einfluß bemerkbar machen: eine
gesittete Freundin tritt auf. Ehe wir aber diese schildern, müssen wir
auch die Stadt besehen, den Heimatboden aus dem das Pflänzchen
hervorwächst.
Die bayerische Universitätsstadt Erlangen liegt in Mittelfranken,
demjenigen Kreise des Königreichs, in dem die protestantische
Bevölkerung vorherrscht. So ist auch auf dieser Universität die
theologische Fakultät von jeher bedeutend gewesen. Die kleine
bescheidene Stadt läßt Muße zu fleißigen Studien. Daneben entwickelt
sich dort auch ein fröhliches Burschenleben sowie ein traulicher
Verkehr zwischen den Professorenfamilien. Viele bedeutende Namen
klingen zu uns aus dieser Stadt. Von den Zeitgenossen Pfaffs, die dort
gelebt und mit denen er in Berührung war, wollen wir nur einige
nennen: Schelling, Rückert, Platen, Raumer -- Namen, die keinem
gebildeten Deutschen fremd klingen.
Führt uns heute unser Weg nach Erlangen und sind wir begierig, den
Ort zu sehen, in
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