seinen Lebensretter
nannte; er liebte die niedlichen Holzpantoffeln des Gutsfräuleins, die
auf den immer sauber gescheuerten Fliesen der Küche so allerliebst
schlürften und klapperten. In diesen Schuhen sah Emma viel größer aus
denn sonst. Wenn Karl wieder ging, gab sie ihm jedesmal das Geleit bis
zur ersten Stufe der Freitreppe. War sein Pferd noch nicht vorgeführt,
dann wartete sie mit. Sie hatten schon Abschied voneinander
genommen, und so sprachen sie nicht mehr. Wenn es sehr windig war,
kam ihr flaumiges Haar im Nacken in wehenden Wirrwarr, oder die
Schürzenbänder begannen ihr um die Hüften zu flattern. Einmal war
Tauwetter. An den Rinden der Bäume rann Wasser in den Hof hinab,
und auf den Dächern der Gebäude schmolz aller Schnee. Emma war
bereits auf der Schwelle, da ging sie wieder ins Haus, holte ihren
Sonnenschirm und spannte ihn auf. Die Sonnenlichter stahlen sich
durch die taubengraue Seide und tupften tanzende Reflexe auf die
weiße Haut ihres Gesichts. Das gab ein so warmes und wohliges
Gefühl, daß Emma lächelte. Einzelne Wassertropfen prallten auf das
Schirmdach, laut vernehmbar, einer, wieder einer, noch einer ...
Im Anfang hatte Frau Bovary häufig nach Herrn Rouault und seiner
Krankheit gefragt, auch hatte sie nicht verfehlt, für ihn in ihrer
doppelten Buchführung ein besondres Konto einzurichten. Als sie aber
vernahm, daß er eine Tochter hatte, zog sie nähere Erkundigungen ein,
und da erfuhr sie, daß Fräulein Rouault im Kloster, bei den
Ursulinerinnen, erzogen worden war, sozusagen also »eine feine
Erziehung genossen« hatte, daß sie infolgedessen Kenntnisse im
Tanzen, in der Erdkunde, im Zeichnen, Sticken und Klavierspielen
haben mußte. Das ging ihr über die Hutschnur, wie man zu sagen
pflegt.
»Also darum!« sagte sie sich. »Darum also lacht ihm das ganze Gesicht,
wenn er zu ihr hinreitet! Darum zieht er die neue Weste an, gleichgültig,
ob sie ihm vom Regen verdorben wird! Oh dieses Weib, dieses Weib!«
Instinktiv haßte sie Emma. Zuerst tat sie sich eine Güte in allerhand
Anspielungen. Karl verstand das nicht. Darauf versuchte sie es mit
anzüglichen Bemerkungen, die er aus Angst vor einer häuslichen Szene
über sich ergehen ließ. Schließlich aber ging sie im Sturm vor. Karl
wußte nicht, was er sagen sollte. Weshalb renne er denn ewig nach
Bertaux, wo doch der Alte längst geheilt sei, wenn die Rasselbande
auch noch nicht berappt habe? Na freilich, weil es da »eine Person«
gäbe, die fein zu schwatzen verstünde, ein Weibsbild, das sticken
könne und weiter nichts, ein Blaustrumpf! In die sei er verschossen!
Ein Stadtdämchen, das sei ihm ein gefundenes Fressen.
»Blödsinn!« polterte sie weiter. »Die Tochter des alten Rouault, die
und eine feine Dame! O jeh! Ihr Großvater hat noch die Schafe gehütet,
und ein Vetter von ihr ist beinahe vor den Staatsanwalt gekommen,
weil er bei einem Streite jemanden halbtot gedroschen hat! So was hat
gar keinen Anlaß, sich was Besonders einzubilden und Sonntags
aufgedonnert in die Kirche zu schwänzeln, in seidnen Kleidern wie eine
Prinzessin. Und der Alte, der arme Schluder! Wenn im vergangenen
Jahre die Rapsernte nicht so unverschämt gut ausgefallen wäre, hätte er
seinen lumpigen Pacht nicht mal blechen können!«
Die Freude war Karl verdorben. Er stellte seine Ritte nach Bertaux ein.
Seine Frau hatte ihn nach einer Flut von Tränen und Küssen und unter
tausend Zärtlichkeiten auf ihr Meßbuch schwören lassen, nicht mehr
hinzugehen. Er gehorchte. Aber in seiner heimlichen Sehnsucht war er
kühner; da war er empört über seine tatsächliche eigne Feigheit. Und in
naivem Machiavellismus sagte er sich, gerade ob dieses Verbots habe
er ein Recht auf seine Liebe. Was war die ehemalige Witwe auch für
ein Weib: sie war spindeldürr und hatte häßliche Zähne; Sommer wie
Winter trug sie denselben schwarzen Schal mit dem über den Rücken
herabhängenden langen Zipfel; ihre steife Figur stak in den immer zu
kurzen Kleidern wie in einem Futteral, und was für plumpe Schuhe trug
sie über ihren grauen Strümpfen.
Karls Mutter kam von Zeit zu Zeit zu Besuch. Dann wurde es noch
schlimmer; dann hackten sie alle beide auf ihn ein. Das viele Essen
bekäme ihm schlecht. Warum er dem ersten besten immer gleich ein
Glas Wein vorsetze? Und es sei bloß Dickköpfigkeit von ihm, keine
Flanellwäsche zu tragen.
Zu Beginn des Frühlings begab es sich, daß der Vermögensverwalter
der Frau verwitweten Dubuc, ein Notar in Ingouville, samt allen ihm
anvertrauten Geldern übers Meer das Weite suchte. Nun besaß sie
allerdings außerdem einen Schiffsanteil in der Höhe von sechstausend
Franken und ein Haus in Dieppe. Aber von allen diesen vielgepriesenen
Besitztümern hatte man nie etwas Ordentliches zu sehen bekommen.
Die Witwe hatte nichts mit in die Ehe gebracht als ein paar Möbel und
etliche Nippsachen. Nunmehr ging man der Sache auf den Grund, und
da stellte sich denn heraus, daß besagtes Haus bis an die Feueresse mit
Hypotheken belastet, daß kein Mensch wußte, wieviel Geld wirklich
mit dem Notar zum Teufel gegangen,
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