Frau Bovary | Page 7

Gustave Flaubert
und sog das Blut aus.
Karl war erstaunt, was für blendendweiße Nägel sie hatte. Sie waren
mandelförmig geschnitten und sorglich gepflegt, und so schimmerten
sie wie das feinste Elfenbein. Ihre Hände freilich waren nicht gerade
schön, vielleicht nicht weiß genug und ein wenig zu mager in den
Fingern; dabei waren sie allzu schlank, nicht besonders weich und in
ihren Linien ungraziös. Was jedoch schön an ihr war, das waren ihre

Augen. Sie waren braun, aber im Schatten der Wimpern sahen sie
schwarz aus, und ihr offener Blick traf die Menschen mit der Kühnheit
der Unschuld.
Als der Verband fertig war, lud Herr Rouault den Arzt feierlich »einen
Bissen zu essen«, ehe er wieder aufbräche. Karl ward in das Eßzimmer
geführt, das zu ebener Erde lag. Auf einem kleinen Tische war für zwei
Personen gedeckt; neben den Gedecken blinkten silberne Becher. Aus
dem großen Eichenschranke, gegenüber dem Fenster, strömte Geruch
von Iris und feuchtem Leinen. In einer Ecke standen aufrecht in Reih
und Glied mehrere Säcke mit Getreide; sie hatten auf der Kornkammer
nebenan keinen Platz gefunden, zu der drei Steinstufen hinaufführten.
In der Mitte der Wand, deren grüner Anstrich sich stellenweise
abblätterte, hing in einem vergoldeten Rahmen eine Bleistiftzeichnung:
der Kopf einer Minerva. In schnörkeliger Schrift stand darunter
geschrieben. »Meinem lieben Vater!«
Sie sprachen zuerst von dem Unfall, dann vom Wetter, vom starken
Frost, von den Wölfen, die nachts die Umgegend unsicher machen.
Fräulein Rouault schwärmte gar nicht besonders von dem Leben auf
dem Lande, zumal jetzt nicht, wo die ganze Last der Gutswirtschaft fast
allein auf ihr ruhe. Da es im Zimmer kalt war, fröstelte sie während der
ganzen Mahlzeit. Beim Essen fielen ihre vollen Lippen etwas auf.
Wenn das Gespräch stockte, pflegte sie mit den Oberzähnen auf die
Unterlippe zu beißen.
Ihr Hals wuchs aus einem weißen Umlegekragen heraus. Ihr schwarzes,
hinten zu einem reichen Knoten vereintes Haar war in der Mitte
gescheitelt; beide Hälften lagen so glatt auf dem Kopfe, daß sie wie
zwei Flügel aus je einem Stücke aussahen und kaum die Ohrläppchen
blicken ließen. Über den Schläfen war das Haar gewellt, was der
Landarzt noch nie in seinem Leben gesehen hatte. Ihre Wangen waren
rosig. Zwischen zwei Knöpfen ihrer Taille lugte -- wie bei einem Herrn
-- ein Lorgnon aus Schildpatt hervor.
Nachdem sich Karl oben beim alten Rouault verabschiedet hatte, trat er
nochmals in das Eßzimmer. Er fand Emma am Fenster stehend, die
Stirn an die Scheiben gedrückt. Sie schaute in den Garten hinaus, wo
der Wind die Bohnenstangen umgeworfen hatte. Sich umwendend,
fragte sie:
»Suchen Sie etwas?«

»Meinen Reitstock, wenn Sie gestatten!«
Er fing an zu suchen, hinter den Türen und unter den Stühlen. Der
Stock war auf den Fußboden gefallen, gerade zwischen die Säcke und
die Wand. Emma entdeckte ihn. Als sie sich über die Säcke beugte,
wollte Karl ihr galant zuvorkommen. Wie er seinen Arm in der
nämlichen Absicht wie sie ausstreckte, berührte seine Brust den
gebückten Rücken des jungen Mädchens. Sie fühlten es beide. Emma
fuhr rasch in die Höhe. Ganz rot geworden, sah sie ihn über die
Schulter weg an, indem sie ihm seinen Reitstock reichte.
Er hatte versprochen, in drei Tagen wieder nachzusehen; statt dessen
war er bereits am nächsten Tag zur Stelle, und von da ab kam er
regelmäßig zweimal in der Woche, ungerechnet die gelegentlichen
Besuche, die er hin und wieder machte, wenn er »zufällig in der
Gegend« war. Übrigens ging alles vorzüglich; die Heilung verlief
regelrecht, und als man nach sechs und einer halben Woche Vater
Rouault ohne Stock wieder in Haus und Hof herumstiefeln sah, hatte
sich Bovary in der ganzen Gegend den Ruf einer Kapazität erworben.
Der alte Herr meinte, besser hätten ihn die ersten Ärzte von Yvetot oder
selbst von Rouen auch nicht kurieren können.
Karl dachte gar nicht daran, sich zu befragen, warum er so gern nach
dem Rouaultschen Gute kam. Und wenn er auch darüber nachgesonnen
hätte, so würde er den Beweggrund seines Eifers zweifellos in die
Wichtigkeit des Falles oder vielleicht in das in Aussicht stehende hohe
Honorar gelegt haben. Waren dies aber wirklich die Gründe, die ihm
seine Besuche des Pachthofes zu köstlichen Abwechselungen in dem
armseligen Einerlei seines tätigen Lebens machten? An solchen Tagen
stand er zeitig auf, ritt im Galopp ab und ließ den Gaul die ganze
Strecke lang kaum zu Atem kommen. Kurz vor seinem Ziele aber
pflegte er abzusitzen und sich die Stiefel mit Gras zu reinigen; dann
zog er sich die braunen Reithandschuhe an, und so ritt er kreuzvergnügt
in den Gutshof ein. Es war ihm ein Wonnegefühl, mit der Schulter
gegen den nachgebenden Flügel des Hoftores anzureiten, den Hahn auf
der Mauer krähen zu hören und sich von der Dorfjugend umringt zu
sehen. Er liebte die Scheune und die Ställe; er liebte den Papa Rouault,
der ihm so treuherzig die Hand schüttelte und ihn
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