Sache ins Lot zu bringen. Erst volle fünf Jahre
darnach erfuhr Herr Bovary die Wahrheit. Da war die Geschichte
verjährt, und so fügte er sich drein. Übrigens hätte er es niemals
zugegeben, daß sein leiblicher Sohn ein Dummkopf sei.
Karl widmete sich von neuem seinem Studium und bereitete sich
hartnäckigst auf eine nochmalige Prüfung vor. Alles, was er gefragt
werden konnte, lernte er einfach auswendig. In der Tat bestand er das
Examen nunmehr mit einer ziemlich guten Note. Seine Mutter erlebte
einen Freudentag. Es fand ein großes Festmahl statt.
Wo sollte er seine ärztliche Praxis nun ausüben? In Tostes. Dort gab es
nur einen und zwar sehr alten Arzt. Mutter Bovary wartete schon lange
auf sein Hinscheiden, und kaum hatte der alte Herr das Zeitliche
gesegnet, da ließ sich Karl Bovary auch bereits als sein Nachfolger
daselbst nieder.
Aber nicht genug, daß die Mutter ihren Sohn erzogen, ihn Medizin
studieren lassen und ihm eine Praxis ausfindig gemacht hatte: nun
mußte er auch eine Frau haben. Selbige fand sie in der Witwe des
Gerichtsvollziehers von Dieppe, die neben fünfundvierzig Jährlein
zwölfhundert Franken Rente ihr eigen nannte. Obgleich sie häßlich war,
dürr wie eine Hopfenstange und im Gesicht so viel Pickel wie ein
Kirschbaum Blüten hatte, fehlte es der Witwe Dubuc keineswegs an
Bewerbern. Um zu ihrem Ziele zu gelangen, mußte Mutter Bovary erst
alle diese Nebenbuhler aus dem Felde schlagen, was sie sehr geschickt
fertig brachte. Sie triumphierte sogar über einen Fleischermeister,
dessen Anwartschaft durch die Geistlichkeit unterstützt wurde.
Karl hatte in die Heirat eingewilligt in der Erwartung, sich dadurch
günstiger zu stellen. Er hoffte, persönlich wie pekuniär unabhängiger
zu werden. Aber Heloise nahm die Zügel in ihre Hände. Sie drillte ihm
ein, was er vor den Leuten zu sagen habe und was nicht. Alle Freitage
wurde gefastet. Er durfte sich nur nach ihrem Geschmacke kleiden, und
die Patienten, die nicht bezahlten, mußte er auf ihren Befehl hin
kujonieren. Sie erbrach seine Briefe, überwachte jeden Schritt, den er
tat, und horchte an der Türe, wenn weibliche Wesen in seiner
Sprechstunde waren. Jeden Morgen mußte sie ihre Schokolade haben,
und die Rücksichten, die sie erheischte, nahmen kein Ende.
Unaufhörlich klagte sie über Migräne, Brustschmerzen oder
Verdauungsstörungen. Wenn viel Leute durch den Hausflur liefen, ging
es ihr auf die Nerven. War Karl auswärts, dann fand sie die Einsamkeit
gräßlich; kehrte er heim, so war es zweifellos bloß, weil er gedacht
habe, sie liege im Sterben. Wenn er nachts in das Schlafzimmer kam,
streckte sie ihm ihre mageren langen Arme aus ihren Decken entgegen,
umschlang seinen Hals und zog ihn auf den Rand ihres Bettes. Und nun
ging die Jeremiade los. Er vernachlässige sie, er liebe eine andre! Man
habe es ihr ja gleich gesagt, diese Heirat sei ihr Unglück. Schließlich
bat sie ihn um einen Löffel Arznei, damit sie gesund werde, und um ein
bißchen mehr Liebe.
Zweites Kapitel
Einmal nachts gegen elf Uhr wurde das Ehepaar durch das Getrappel
eines Pferdes geweckt, das gerade vor der Haustüre zum Stehen kam.
Anastasia, das Dienstmädchen, klappte ihr Bodenfenster auf und
verhandelte eine Weile mit einem Manne, der unten auf der Straße
stand. Er wolle den Arzt holen. Er habe einen Brief an ihn.
Anastasia stieg frierend die Treppen hinunter und schob die Riegel auf,
einen und dann den andern. Der Bote ließ sein Pferd stehen, folgte dem
Mädchen und betrat ohne weiteres das Schlafgemach. Er entnahm
seinem wollnen Käppi, an dem eine graue Troddel hing, einen Brief,
der in einen Lappen eingewickelt war, und überreicht ihn dem Arzt mit
höflicher Gebärde. Der richtete sich im Bett auf, um den Brief zu lesen.
Anastasia stand dicht daneben und hielt den Leuchter. Die Frau Doktor
kehrte sich verschämt der Wand zu und zeigte den Rücken.
In dem Briefe, den ein niedliches blaues Siegel verschloß, wurde Herr
Bovary dringend gebeten, unverzüglich nach dem Pachtgut Les Bertaux
zu kommen, ein gebrochenes Bein zu behandeln. Nun braucht man von
Tostes über Longueville und Sankt Victor bis Bertaux zu Fuß sechs
gute Stunden. Die Nacht war stockfinster. Frau Bovary sprach die
Befürchtung aus, es könne ihrem Manne etwas zustoßen. Infolgedessen
ward beschlossen, daß der Stallknecht vorausreiten, Karl aber erst drei
Stunden später, nach Mondaufgang, folgen solle. Man würde ihm einen
Jungen entgegenschicken, der ihm den Weg zum Gute zeige und ihm
den Hof aufschlösse.
Früh gegen vier Uhr machte sich Karl, fest in feinen Mantel gehüllt, auf
den Weg nach Bertaux. Noch ganz verschlafen überließ er sich dem
Zotteltrab seines Gaules. Wenn dieser von selber vor irgendeinem im
Wege liegenden Hindernis zum Halten parierte, wurde der Reiter
jedesmal wach, erinnerte sich des gebrochnen Beines und begann in
seinem Gedächtnisse alles auszukramen, was er von Knochenbrüchen
wußte.
Der Regen hörte auf. Es dämmerte. Auf den laublosen Ästen der
Apfelbäume hockten regungslose Vögel, das Gefieder ob des kühlen
Morgenwindes gesträubt. So weit das
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