Fräulein Julie | Page 5

August Strindberg
Zeit die psychologische Entwicklung das ist, was sie am
meisten interessiert, und unsere wißbegierigen Seelen sich nicht damit
begnügen, etwas vor sich gehen zu sehen, ohne zu erfahren, wie es
zugeht! Wir wollen gerade die Fäden, die Maschinerie sehen, die
doppelbodige Schachtel untersuchen, den Zauberring in die Hand
nehmen, um die Fuge zu finden, in die Karten gucken, um zu entdecken,
mit was für Zeichen sie versehen sind.
Was das Technische in der Komposition anbetrifft, so habe ich die
Akteinteilung gestrichen, weil ich bemerkt habe, daß unser Mangel an

Fähigkeit, uns von einer Illusion beherrschen zu lassen, möglicherweise
durch Zwischenakte erzeugt wird, in denen der Zuschauer Zeit
bekommt zu reflektieren und sich dabei dem suggestiven Einfluß des
Verfasser-Magnetiseurs zu entziehen. Mein Drama währt
wahrscheinlich sechs Viertelstunden, und wenn man eine Vorlesung,
eine Predigt oder eine Kongreßverhandlung ebenso lange und länger
anhören kann, so habe ich mir gedacht, daß ein Theaterstück während
anderthalb Stunden nicht ermüden würde.
Der Monolog ist von unsern Realisten als unwahr verbannt, aber wenn
ich ihn motiviere, mache ich ihn wahrscheinlich und kann ihn also mit
Vorteil verwenden. Es ist ja wahrscheinlich, daß ein Redner allein in
seinem Zimmer auf- und abgeht und laut seine Rede durchgeht,
wahrscheinlich, daß ein Schauspieler laut seine Rolle memoriert, daß
ein Mädchen mit seiner Katze plaudert, eine Mutter mit ihrem Kinde
scherzt, ein altes Fräulein mit ihrem Papagei schwatzt, ein Schlafender
im Schlafe spricht. Und um einmal dem Schauspieler zu selbständiger
Arbeit Gelegenheit zu geben und einen Augenblick dem Zeigefinger
des Verfassers zu entschlüpfen, ist es am besten, daß die Monologe
nicht ausgeführt, sondern nur angedeutet werden. Denn da es ziemlich
gleichgültig ist, was im Schlafe, zum Papagei oder zur Katze
gesprochen wird, da es ja keinen Einfluß auf die Handlung ausübt, so
kann ein begabter Schauspieler, der mitten in der Stimmung und
Situation drinnen ist, dies besser improvisieren, als der Verfasser, der
nicht im voraus berechnen kann, wieviel und wie lange geschwatzt
werden kann, bis das Publikum aus der Illusion erweckt wird.
Wo der Monolog unwahrscheinlich werden sollte, habe ich zur
Pantomime gegriffen und hier lasse ich dem Schauspieler noch mehr
Freiheit, zu dichten und selbständig Ehre zu gewinnen. Um gleichwohl
das Publikum nicht zu stark auf die Probe zu stellen, habe ich die
Musik, die durch den Tanz in der Johannisnacht wohl motiviert ist, ihre
verführerische Macht während des stummen Spiels ausüben lassen, und
bitte den Musikdirektor wohl zu beherzigen, daß er nicht fremde
Stimmungen erwecken darf durch die Erinnerung an das Operetten-
oder Tanzrepertoire des Tages oder durch allzu ethnographisch
volkstümliche Melodieen.

Das Ballett,[B] welches ich eingeführt habe, konnte durch keine
Volksscene ersetzt werden, da Volksscenen schlecht gespielt werden,
und eine Menge Spaßmacher die Gelegenheit benutzen würden, sich
bemerkbar zu machen und dadurch die Illusion stören. Da das Volk
seine Böswilligkeiten nicht selbst improvisiert, sondern bereits fertiges
Material benutzt, das einen doppelten Sinn geben kann, habe ich das
»Schmähgedicht« nicht gedichtet, sondern ein weniger bekanntes
Tanzspiel benutzt, welches ich selbst in der Umgebung von Stockholm
aufgezeichnet habe. Die Worte treffen ungefähr die Sache, und das
genügt völlig, denn die Feigheit der Menge gestattet ihr nicht direkte
Angriffe.[C] Also keine ausgesprochenen Späße in einer ernsten
Handlung, kein rohes Grinsen gegenüber einer Situation, die den
Deckel auf den Sarg eines Geschlechtes legt.
[Anmerkung B: Der Verfasser meint hier mit Ballett natürlich einen
Tanz, einen Volkstanz, und denkt nicht etwa an die berühmten kurzen
Röckchen und die fleischfarbenen Tricots. Der Übers.]
[Anmerkung C: Um dieser Absicht des Dichters möglichst genau
gerecht zu werden, wählte ich dafür ein älteres deutsches
»Gesellschaftslied«. Der Übers.]
Was die Dekorationen anbetrifft, so habe ich von der
impressionistischen Malerei das Unsymmetrische und Abgeschnittene
entlehnt und glaube dadurch die Illusion zu erhöhen; denn dadurch, daß
man nicht die ganze Scene und das ganze Möblement sieht, ist es
einem möglich gemacht den Raum zu ahnen: die Phantasie wird erregt
und ersetzt das Fehlende. Auch habe ich es dadurch erreicht, daß ich
das ermüdende Gehen und Kommen durch die Thüren los wurde,
besonders da die Theaterthüren aus Leinwand sind und bei der
geringsten Bewegung flattern. Ebenso habe ich mich an eine einzelne
Dekoration gehalten, damit die Personen sich mit der Umgebung
verschmelzen können, und um mit dem Dekorationsluxus zu brechen.
Ich habe die Hintergrundsdekoration und den Tisch schräg gestellt, um
die Schauspieler zu veranlassen "en face" und in halbem Profil zu
spielen, wenn sie am Tisch einander gegenüber sitzen.

Eine andere vielleicht nicht unnötige Verbesserung würde die
Entfernung der Rampe sein. Dieses Licht von unten scheint die
Aufgabe zu haben die Schauspieler im Gesichte voller erscheinen zu
lassen; aber ich muß fragen: Warum sollen alle Schauspieler volle
Gesichter haben? Ob das Licht von unten nicht eine Menge feiner Züge
in den unteren Partieen des Gesichtes, namentlich der Kiefer, verwischt,
ob es nicht die Form der Nase verändert und Schatten über die Augen
wirft?
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