Einige Gedichte | Page 6

Friedrich von Schiller
glühend auf dem Lager Und rafft sich auf um Mitternacht. Zum Tempel Führt unfreiwillig ihn der scheue Tritt. Leicht ward es ihm, die Mauer zu ersteigen, Und mitten in das Innre der Rotonde Tr?gt ein beherzter Sprung den Wagenden.
Hier steht er nun, und grauenvoll umf?ngt Den Einsamen die lebenlose Stille, Die nur der Tritte hohler Widerhall In den geheimen Grüften unterbricht Von oben durch der Kuppel ?ffnung wirft Der Mond den bleichen, silberblauen Schein, Und furchtbar wie ein gegenw?rtger Gott Ergl?nzt durch des Gew?lbes Finsternisse In ihrem langen Schleier die Gestalt.
Er tritt hinan mit ungewissem Schritt, Schon will die freche Hand das Heilige berühren, Da zuckt es hei? und kühl durch sein Gebein Und st??t ihn weg mit unsichtbarem Arme. Unglücklicher, was willst du tun? So ruft In seinem Innern eine treue Stimme. Versuchen den Allheiligen willst du? Kein Sterblicher, sprach des Orakels Mund, Rückt diesen Schleier, bis ich selbst ihn hebe. Doch setzte nicht derselbe Mund hinzu: Wer diesen Schleier hebt, soll Wahrheit schauen? "Sei hinter ihm, was will! Ich heb ihn auf." (Er rufts mit lauter Stimm.) "Ich will sie schauen." Schauen! Gellt ihm ein langes Echo spottend nach.
Er sprichts und hat den Schleier aufgedeckt. Nun, fragt ihr, und was zeigte sich ihm hier? Ich wei? es nicht. Besinnungslos und bleich, So fanden ihn am andern Tag die Priester Am Fu?gestell der Isis ausgestreckt. Was er allda gesehen und erfahren, Hat seine Zunge nie bekannt. Auf ewig War seines Lebens Heiterkeit dahin, Ihn ri? ein tiefer Gram zum frühen Grabe. "Weh dem", dies war sein warnungsvolles Wort, Wenn ungestüme Frager in ihn drangen, "Weh dem, der zu der Wahrheit geht durch Schuld, Sie wird ihm nimmermehr erfreulich sein."

Der Abend (Nach einem Gem?lde)
Senke, strahlender Gott--die Fluren dürsten Nach erquickendem Tau, der Mensch verschmachtet, Matter ziehen die Rosse-- Senke den Wagen hinab!
Siehe, wer aus des Meers kristallner Woge Lieblich l?chelnd dir winkt! Erkennt dein Herz sie? Rascher fliegen die Rosse, Tethys, die g?ttliche, winkt.
Schnell vom Wagen herab in ihre Arme Springt der Führer, den Zaum ergreift Kupido, Stille halten die Rosse, Trinken die kühlende Flut.
An den Himmel herauf mit leisen Schritten Kommt die duftende Nacht; ihr folgt die sü?e Liebe. Ruhet und liebet! Ph?bus, der liebende, ruht.

Die Antiken zu Paris
Was der Griechen Kunst erschaffen, Mag der Franke mit den Waffen Führen nach der Seine Strand, Und in prangenden Museen Zeig er seine Siegstroph?en Dem erstaunten Vaterland!
Ewig werden sie ihm schweigen, Nie von den Gestellen steigen In des Lebens frischen Reihn. Der allein besitzt die Musen, Der sie tr?gt im warmen Busen, Dem Vandalen sind sie Stein.

Die sch?nste Erscheinung
Sahest du nie die Sch?nheit im Augenblick des Leidens, Niemals hast du die Sch?nheit gesehn. Sahst du die Freude nie in einem sch?nen Gesichte, Niemals hast du die Freude gesehn!

Die Weltweisen
Der Satz, durch welchen alles Ding Bestand und Form empfangen, Der Kloben, woran Zeus den Ring Der Welt, die sonst in Scherben ging, Vorsichtig aufgehangen, Den nenn ich einen gro?en Geist, Der mir ergründet, wie er hei?t, Wenn ich ihm nicht drauf helfe-- Er hei?t: Zehn ist nicht Zw?lfe.
Der Schnee macht kalt, das Feuer brennt, Der Mensch geht auf zwei Fü?en, Die Sonne scheint am Firmament, Das kann, wer auch nicht Logik kennt, Durch seine Sinne wissen. Doch wer Metaphysik studiert, Der wei?, da?, wer verbrennt, nicht friert, Wei?, da? das Nasse feuchtet Und da? das Helle leuchtet.
Homerus singt sein Hochgedicht, Der Held besteht Gefahren, Der brave Mann tut seine Pflicht Und tat sie, ich verhehl es nicht, Eh noch Weltweise waren; Doch hat Genie und Herz vollbracht, Was Lock' und Des Cartes nie gedacht, Sogleich wird auch von diesen Die M?glichkeit bewiesen.
Im Leben gilt der St?rke Recht, Dem Schwachen trotzt der Kühne, Wer nicht gebieten kann, ist Knecht; Sonst geht es ganz ertr?glich schlecht Auf dieser Erdenbühne. Doch wie es w?re, fing der Plan Der Welt nur erst von vorne an, Ist in Moralsystemen Ausführlich zu vernehmen.
"Der Mensch bedarf des Menschen sehr Zu seinem gro?en Ziele, Nur in dem Ganzen wirket er, Viel Tropfen geben erst das Meer, Viel Wasser treibt die Mühle. Drum flieht der wilden W?lfe Stand Und knüpft des Staates daurend Band." So lehren vom Katheder Herr Puffendorf und Feder.
Doch weil, was ein Professor spricht, Nicht gleich zu allen dringet, So übt N a t u r die Mutterpflicht Und sorgt, da? nie die Kette bricht Und da? der Reif nie springet. Einstweilen, bis den Bau der Welt Philosophie zusammenh?lt, Erh?lt s i e das Getriebe Durch Hunger und durch Liebe.

Epigramme
Unsterblichkeit Vor dem Tod erschrickst du? Du wünschest unsterblich zu leben? Leb im Ganzen! Wenn du lange dahin bist, es bleibt.
Theophanie Zeigt sich der Glückliche mir, ich vergesse die G?tter des Himmels; Aber sie stehen vor mir, wenn ich den Leidenden seh.
Das Kind in der Wiege Glücklicher S?ugling! Dir ist ein unendlicher Raum noch die Wiege, Werde Mann, und
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