Eine vornehme Frau | Page 9

Hermann Heiberg
die Kühle. Hier gl?nzte es hell durch die B?ume; lange, wundervolle Lichtstreifen lagen auf dem grünen Erdboden. Dort flimmerte es im dichteren Gebüsch, als ob kleine versteckte Sonnen vergeblich hervorzubrechen versuchten, und einmal, bei einem Durchblick zur Rechten, schauten sie in einen verlassenen, g?nzlich abgeschlossenen, mit Gras dicht bewachsenen Feldweg, auf dem die Einsamkeit einen m?rchenhaften Schlaf zu tr?umen schien. Aber sie schritten weiter, erreichten endlich eine Bank auf einer von bl?tterreichen Eichen umstandenen Anh?he, und sahen nun meilenweit ins Land.
Es ging ein sanftes Jubilieren durch die blaue, durchsichtige Luft. Die letzten V?gel zwitscherten, und riesige Lichtstr?me warf die Sonne über Wiesen, Felder und ferne W?lder. Hier und dort glitzerten Streifen eines in malerischen Windungen auftauchenden Flusses zwischen den sanft dahingestreckten Matten, als ob pl?tzlich die Erde ausgebrochen sei und flüssiges Silber seine Bahn suche.
Ange ward gedr?ngt, ihrem Entzücken Ausdruck zu geben, aber ihr Begleiter war scheinbar noch ebenso mi?mutig wie vorher.
"In welch schlechter Laune haben Sie mich heute begleitet?" hob sie an und richtete ihren lebhaften Blick auf sein unbewegliches Gesicht.
"Nein!" erwiderte er. "Aber ich habe einiges auf dem Herzen, und hier"--er lud sie zum Sitzen ein--"will ich Ihnen einmal sagen, wozu bisher stets der rechte Augenblick gefehlt hat."
Die feine R?te auf Anges Gesicht wich einer leichten Bl?sse. Ein halb zaghafter, halb ungeduldiger Ausdruck stahl sich in ihre Mienen, und sie fa?te die Reitgerte fester. Aber sie überwand sich und sagte ungezwungen:
"Wohlan, setzen wir uns und erz?hlen Sie mir etwas. Aber nichts, nichts Unangenehmes heute, lieber Teut. Ein andermal. Ich bin fr?hlich; weshalb mir das nehmen? O, ich bin glücklich hier in dieser sch?nen Welt. Bitte!"
Teut zuckte zusammen. Immer, wenn sie in diesem z?rtlichen und bittenden Tone sprach, z?gerte er, ihr auch nur durch tadelnden Blick eine Verstimmung zu bereiten. Wieviel besser verstand er jetzt Claireforts Zaudern als ehedem! Dieses unschuldsvolle Kind mit seiner sorglosen Fr?hlichkeit und seiner Freude am Leben erschien ihm wie ein eben aus der Hand des Sch?pfers hervorgegangenes Kunstwerk. Und diesen reinen Spiegel sollte er trüben, gar zersplittern? Aber einmal mu?te es doch geschehen. Er strich wiederholt den Schnurrbart und sagte endlich:
"Liebe Frau Ange! H?ren Sie zu. Ich bitte Sie bei unserer Freundschaft darum."
Etwas ganz Besonderes mu?te es doch sein. In Anges Gesicht trat ein hilfloser Ausdruck, und ein eigener Glanz schimmerte in ihren sanften Augen.
"Ich h?re!" sagte sie leise und legte die H?nde ineinander.
"Sehen Sie, liebe Ange--Darf ich Sie so nennen?" Er wandte sich zu ihr, sah sie fragend an und über sein edles, m?nnliches Gesicht flog ein hinrei?ender Zug von Herzensgüte. Und sie nickte mit einer Miene und bejahte mit einem Blicke, als ob sie ein Engel sei, der einem Sünder Gottes Verzeihung überbringe.
"Wir kennen uns nun schon fast ein Jahr. Durch Sie hat sich mein Leben fast ganz ver?ndert. Ich hatte bereits von allem Abschied genommen, was Haus und Familie hei?t, und mich in die Rolle eines alten Junggesellen hineingefunden. Meine dienstliche Besch?ftigung, der Umgang mit den Kameraden, die Befriedigung allerlei berechtigter und unberechtigter Passionen, nach Umst?nden einmal ein Stück ungehinderter Freiheit--ich k?nnte ja ganz ein freier Mann sein und meinen Neigungen leben, aber ich fühle Pflichten in mir gegen mein Vaterland und meinen K?nig--genügte mir. Da sah ich Sie, Ange; und weshalb sollte ich es verhehlen--ich liebte Sie bei unserer ersten Begegnung und werde Sie lieben, solange ein Atem in mir ist."
Er sah sie nicht an, w?hrend er sprach.
Wenn er emporgeschaut h?tte, würde er bemerkt haben, da? sie wie tr?umend ins Land und in die Ferne schaute; aber er würde auch in ihrem Angesicht gelesen haben, wie sie alle seine Worte verschlang und wie die letzten sie erbeben machten.
Ein feuchter Glanz verdunkelte auf Augenblicke ihre Augensterne, und versteckt strichen ihre kleinen Finger über die Wimpern.
"Aber weil ich Ihnen so gut bin--Sie wie ein Bruder und Freund liebe," fuhr Teut fort, "mu? ich Ihnen etwas sagen, was Ihr Glück betrifft." Und nun sprach er in langer Rede auf sie ein. Er tadelte und tr?stete, er forderte und flehte. Er teilte ihr Carlos' Worte an jenem Tage mit, kl?rte sie über ihre Verh?ltnisse auf und lie? das Bild einer düsteren, vielleicht durch ihre Handlungsweise heraufbeschworenen Zukunft vor ihr Auge treten. Atemlos horchte sie auf und erbebte. Welch drohende, vernichtende Wolken hingen über ihrem ahnungslosen Haupt! Nachdem er geendet, sa? sie lange stumm und sprach kein Wort. Aber als dann aus seinem Munde ihr Name drang: "Liebe Ange, liebe Freundin, zürnen Sie mir?" da überw?ltigte sie ihr Gefühl und sie neigte das Haupt und schluchzte.
Er wagte es: er strich sanft über ihr Haar; er that, als ob er nichts anderes fühle als Mitleid, nichts anderes geben wolle als Trost, und doch bedurfte er seiner ganzen Kraft, um sie nicht in dem Ausbruch unterdrückter Leidenschaft ans Herz zu ziehen.
* * * * *
Am n?chsten Tage nach diesem Ausflug traten Clairefort und Teut nach Tisch--es waren
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 76
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.