Eine vornehme Frau | Page 9

Hermann Heiberg
Wie ein
zartes Püppchen lag sie ihm im Arm, und wie ein Riese setzte er sie
nieder.
"Drüben ist eine herrliche Aussicht. Wollen wir gehen?" fragte er artig
und reichte ihr den Arm.
Aber sie dankte, schürzte das Reitkleid und schritt neben ihm durch
einen linksseitig einbiegenden, mit Bäumen besetzten Weg. Nach
wenigen Augenblicken berührten sie eine Kirche und einen Gottesacker.
Es sah recht verwildert dort aus. Aus der zerbrochenen eisernen
Einfriedigung hingen Schlingpflanzen in den Farben des Herbstes, und
Unkraut wucherte auf den Gräbern. Dann stiegen sie eine leichte
Anhöhe empor und schritten auf einen Eichenwald zu. Kleines, kurzes
Gebüsch drängte sich über den Fußpfad, es ging unregelmäßig bergauf,
bergab.
Endlich umfing sie der Herbstwald und die Kühle. Hier glänzte es hell
durch die Bäume; lange, wundervolle Lichtstreifen lagen auf dem
grünen Erdboden. Dort flimmerte es im dichteren Gebüsch, als ob

kleine versteckte Sonnen vergeblich hervorzubrechen versuchten, und
einmal, bei einem Durchblick zur Rechten, schauten sie in einen
verlassenen, gänzlich abgeschlossenen, mit Gras dicht bewachsenen
Feldweg, auf dem die Einsamkeit einen märchenhaften Schlaf zu
träumen schien. Aber sie schritten weiter, erreichten endlich eine Bank
auf einer von blätterreichen Eichen umstandenen Anhöhe, und sahen
nun meilenweit ins Land.
Es ging ein sanftes Jubilieren durch die blaue, durchsichtige Luft. Die
letzten Vögel zwitscherten, und riesige Lichtströme warf die Sonne
über Wiesen, Felder und ferne Wälder. Hier und dort glitzerten Streifen
eines in malerischen Windungen auftauchenden Flusses zwischen den
sanft dahingestreckten Matten, als ob plötzlich die Erde ausgebrochen
sei und flüssiges Silber seine Bahn suche.
Ange ward gedrängt, ihrem Entzücken Ausdruck zu geben, aber ihr
Begleiter war scheinbar noch ebenso mißmutig wie vorher.
"In welch schlechter Laune haben Sie mich heute begleitet?" hob sie an
und richtete ihren lebhaften Blick auf sein unbewegliches Gesicht.
"Nein!" erwiderte er. "Aber ich habe einiges auf dem Herzen, und
hier"--er lud sie zum Sitzen ein--"will ich Ihnen einmal sagen, wozu
bisher stets der rechte Augenblick gefehlt hat."
Die feine Röte auf Anges Gesicht wich einer leichten Blässe. Ein halb
zaghafter, halb ungeduldiger Ausdruck stahl sich in ihre Mienen, und
sie faßte die Reitgerte fester. Aber sie überwand sich und sagte
ungezwungen:
"Wohlan, setzen wir uns und erzählen Sie mir etwas. Aber nichts,
nichts Unangenehmes heute, lieber Teut. Ein andermal. Ich bin fröhlich;
weshalb mir das nehmen? O, ich bin glücklich hier in dieser schönen
Welt. Bitte!"
Teut zuckte zusammen. Immer, wenn sie in diesem zärtlichen und
bittenden Tone sprach, zögerte er, ihr auch nur durch tadelnden Blick
eine Verstimmung zu bereiten. Wieviel besser verstand er jetzt

Claireforts Zaudern als ehedem! Dieses unschuldsvolle Kind mit seiner
sorglosen Fröhlichkeit und seiner Freude am Leben erschien ihm wie
ein eben aus der Hand des Schöpfers hervorgegangenes Kunstwerk.
Und diesen reinen Spiegel sollte er trüben, gar zersplittern? Aber
einmal mußte es doch geschehen. Er strich wiederholt den Schnurrbart
und sagte endlich:
"Liebe Frau Ange! Hören Sie zu. Ich bitte Sie bei unserer Freundschaft
darum."
Etwas ganz Besonderes mußte es doch sein. In Anges Gesicht trat ein
hilfloser Ausdruck, und ein eigener Glanz schimmerte in ihren sanften
Augen.
"Ich höre!" sagte sie leise und legte die Hände ineinander.
"Sehen Sie, liebe Ange--Darf ich Sie so nennen?" Er wandte sich zu ihr,
sah sie fragend an und über sein edles, männliches Gesicht flog ein
hinreißender Zug von Herzensgüte. Und sie nickte mit einer Miene und
bejahte mit einem Blicke, als ob sie ein Engel sei, der einem Sünder
Gottes Verzeihung überbringe.
"Wir kennen uns nun schon fast ein Jahr. Durch Sie hat sich mein
Leben fast ganz verändert. Ich hatte bereits von allem Abschied
genommen, was Haus und Familie heißt, und mich in die Rolle eines
alten Junggesellen hineingefunden. Meine dienstliche Beschäftigung,
der Umgang mit den Kameraden, die Befriedigung allerlei berechtigter
und unberechtigter Passionen, nach Umständen einmal ein Stück
ungehinderter Freiheit--ich könnte ja ganz ein freier Mann sein und
meinen Neigungen leben, aber ich fühle Pflichten in mir gegen mein
Vaterland und meinen König--genügte mir. Da sah ich Sie, Ange; und
weshalb sollte ich es verhehlen--ich liebte Sie bei unserer ersten
Begegnung und werde Sie lieben, solange ein Atem in mir ist."
Er sah sie nicht an, während er sprach.
Wenn er emporgeschaut hätte, würde er bemerkt haben, daß sie wie
träumend ins Land und in die Ferne schaute; aber er würde auch in

ihrem Angesicht gelesen haben, wie sie alle seine Worte verschlang
und wie die letzten sie erbeben machten.
Ein feuchter Glanz verdunkelte auf Augenblicke ihre Augensterne, und
versteckt strichen ihre kleinen Finger über die Wimpern.
"Aber weil ich Ihnen so gut bin--Sie wie ein Bruder und Freund liebe,"
fuhr Teut fort, "muß ich Ihnen etwas sagen, was Ihr Glück betrifft."
Und nun sprach er in langer Rede auf sie ein. Er tadelte und tröstete, er
forderte und flehte. Er teilte ihr Carlos' Worte an jenem Tage mit, klärte
sie über ihre Verhältnisse
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 78
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.