Eine vornehme Frau | Page 8

Hermann Heiberg
die Unbequemes von sich stößt und nur
unbehelligt genießen will, behielt die Oberhand. Was scherten ihn am
Ende die fremden Menschen, dieser Mann mit seiner Unschlüssigkeit,
seiner Melancholie und seinem ehelichen Unbehagen, diese in den Tag
lebende Frau mit ihrer Unerfahrenheit und ihrem sorglosen
Lebenswandel?
Aber das war nur eine schnell vorübergehende Regung. Er sprang auf,
faßte Claireforts Hand und sagte:

"Und trotz alledem muß geschehen, was Sie für Recht erkennen, lieber
Clairefort! Ich bin bereit, Ihnen zu helfen, soweit es in meinen Kräften
steht. Soll ich einmal mit Frau Ange reden?"
Bei diesem Anerbieten bohrte sich ein eigentümlicher Blick aus den
Augen des Grafen auf den Sprechenden. Aber zum Glück bemerkte
Teut ihn nicht, und als die Männer nach längerer Auseinandersetzung
schieden, ging jener unter dem Eindruck, daß Clairefort, selbst
machtlos zum Handeln, die dargebotene Hand aufs dankbarste ergriffen
habe.
Wohlan denn! Teut war beiden näher getreten als kaum anderen
Menschen je zuvor; er liebte Ange und die Kinder, die deshalb ein
Recht auf ihn gewonnen hatten. Er wollte handeln--handeln wie ein
Mann, aber auch wie ein kluger, besonnener Mann!
* * * * *
Seit Stunden ging Teut in seinem Zimmer auf und ab. Immer neue
Gedanken durchkreuzten sein Gehirn. Oft warf er sich in einen Stuhl,
schlug nach seiner Gewohnheit, wenn ihn etwas erregte, heftig mit den
Hacken seiner Reitstiefel aneinander und strich lebhaft seinen langen,
blonden Schnurrbart. Die Backenknochen seines stark markierten,
mageren Gesichtes traten scharf hervor, und fortwährend ließ er das
Glas, das in seinem linken Auge steckte, fallen, um es im nächsten
Augenblick wieder an seinen Platz zu schieben. Wenn dies, der neueren
Zeit angehörende Monocle nicht sein Gesicht verunziert, und wenn er
nicht den Husarenrock getragen hätte, würde man geglaubt haben,
einen Ritter früherer Zeiten vor sich zu sehen. Diese hohe,
wettergebräunte und schon etwas stark gefurchte Stirn, diese blitzenden,
unheimlich kühnen Augen, dieser sarkastische Mund und dieser
halbschlanke, große, starke, geschmeidige Körper erinnerten an die
Gestalt eines Recken vergangener Jahrhunderte.
"Der Teufel werde klug aus der Geschichte!" murmelte er, endlich sein
Sinnen unterbrechend, griff in eine Kiste mit schweren Cigarren,
entzündete eine, verschluckte den Rauch und stieß ihn in einer
mächtigen Säule wieder von sich.

In diesem Augenblick öffnete sein Diener Jamp die Thür und
überreichte die Rechnung eines Blumenhändlers in Höhe von einigen
hundert Thalern. Es war der aufgesummte Betrag für die
frischblühenden Bouquets, welche Ange ausnahmslos jeden Tag in
ihren Zimmern fand. Teut prüfte, zog das Schubfach und fügte der
Zahlung ein reichliches Trinkgeld bei. Nun schloß sich wieder die Thür
und nun waren auch Teuts Gedanken wieder bei Ange. Er rief sich die
letzte Unterredung mit Clairefort ins Gedächtnis zurück und alles das,
was vorhergegangen war. Oft erschien ihm wie ein Traum, was er in
den letzten zehn Monaten erlebt, vornehmlich das, was er an sich selbst
erfahren hatte.
Als jüngerer Offizier, kurz bevor ihm das Vermögen seines Vaters und
seiner Geschwister zugefallen war, hatte er um ein junges Mädchen aus
bürgerlichem Stande geworben und seine Heiratspläne unter
Umständen aufgeben müssen, die ihm das weibliche Geschlecht
verächtlich gemacht hatten. Er sah fortan in den Frauen nur ein
Spielzeug, fast weniger als das.
Nun war er Ange Clairefort begegnet und liebte sie nach acht Tagen
mit einer brennenden Leidenschaft.
Wenige Tage nach dem erwähnten Gespräch ritt er mit Ange aus. Es
war ein wundervoller Herbsttag, einer jener Tage, an denen Frühling
und Sommer noch einmal auf die verlangende Erde zurückzueilen und
alle ihre Schönheit reifer und gemilderter zugleich über die Welt
auszuströmen scheinen.
Die Sonne funkelte in den Bäumen, verwandelte mattes Gelb in
glänzendes Gold und braune Blätter in goldkupfernes Metall. Die ganze
Natur durchströmte sie mit einer durchsichtigen Helle, mit einer
Klarheit, als sei jedes unreine Stäubchen von erfrischenden Lüften
fortgeweht, und als seien diese selbst herabgestiegen aus kühlen, stillen
Himmelshöhen.
Teut war kein Mensch, der sich jemals in Gefühlsäußerungen erging.
Er empfand alles Schöne und Gute, aber es lag nicht in seiner Natur
oder es fehlte ihm der Drang, seine Empfindungen in Worte zu

übersetzen.
Anders Ange. Die sanften Farben auf ihren Wangen glühten, sie sog die
Luft ein, hielt das seit einer Viertelstunde rasch dahintrabende Pferd an
und warf einen fragenden Blick auf ihren Begleiter. Sie hatten, seitdem
sie das Haus verlassen, kein Wort gewechselt. Niemals war Teut so
stumm gewesen wie heute.
"Drüben!" sagte er und zeigte auf ein kleines unter den Bäumen
verstecktes Häuschen. Er hielt nicht, wie Ange, sein Pferd an.
"Weiterreiten?" fragte sie, als ob sie ihn nicht verstanden. Sie ärgerte
sich über seine formlose Art, die sie ihm schon häufig im stillen
vorgeworfen hatte. Teut nickte, ohne etwas hinzuzufügen.
So erreichten sie beide--Ange in einer etwas unbehaglichen
Stimmung--das Wirtshaus. Ehe der Stallknecht herbeieilen konnte, war
Teut herabgesprungen und hatte Ange vom Pferde gehoben. Es war, als
ob Christophorus das Jesukindlein über den Fluß tragen wolle.
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