Ein Mann | Page 9

Joachim Nettelbeck
die Kiste beim Heben und Schütteln sich gar nicht
so anließ, als ob Sachen von der angegebenen Art darin enthalten sein
könnten. Dieser Verdacht ward dem Fiskal unter der Hand gesteckt. Er
kam selbst an Bord, überzeugte sich von Richtigkeit des
Konnossements und der Unversehrtheit des Siegels, und da der Jude
ein armer Teufel war, dem sich mit einer Geldstrafe nichts anhaben ließ,
so sollte er, wie es in aller Welt Brauch ist, für den versuchten Betrug
mit seiner Haut bezahlen.
Zuvörderst ward ihm gemeldet, daß sein Eigentum wieder zum
Vorschein gekommen sei und von ihm alsogleich am Bord in Empfang
genommen werden könne. Sein Erschrecken über diese Nachricht war
drollig genug, aber dem Frieden nicht trauend, verlangte er, man
möchte ihm die Kiste in Gottes Namen nur an Land und in sein Haus
schaffen; bis auf seine beharrliche Weigerung der Fiskal ihn durch zwei
Neger mit Gewalt und gebunden an Bord holen ließ. Hier mußte er in
dessen Beisein die Kiste als die seinige und als vollkommen unverletzt
anerkennen; dann aber auch öffnen, und nun kam ein gar bunter Inhalt

zum Vorschein. Der ganze Trödel bestand aus Redoutenanzügen und
fratzenhaften Gesichtslarven; der unglückliche Eigentümer aber ward,
auf des Richters Geheiß, über seine Kiste hingestreckt und von ein paar
Matrosen mit ihren Tauendchen so unbarmherzig zugedeckt, daß ihm
wahrscheinlich alle ähnliche Spekulationen für eine lange Zeit
vergangen sein werden.
Eher hätte man Surinam damals eine deutsche, als eine holländische
Kolonie nennen können, denn auf den Plantagen, wie in Paramaribo,
traf man unter hundert Weißen immer vielleicht neunundneunzig an,
die hier aus allen Gegenden von Deutschland zusammengeflossen
waren. Unter ihnen hatte ich während dieser Reise Gelegenheit, auch
zwei Brüder, des Namens Kniffel, kennen zu lernen, die aus Belgard in
Pommern gebürtig und also meine nächsten Landsleute waren. Sie
hatten in früherer Zeit als gemeine holländische Soldaten sich hierher
verirrt, aber Glück, Fleiß und Rechtlichkeit hatten sie seither zu
Millionären gemacht, welche hier eines wohlverdienten Ansehens
genossen. Am Komandewyne besaßen sie zwei Kaffeeplantagen. Die
eine hieß Friedrichsburg, und eine andere dicht daneben, welche von
ihnen selbst angelegt worden, hatten sie ihrer Vaterstadt zu Ehren
Belgard genannt. Zu Paramaribo war eine Reihe von Häusern, die eine
Straße von vierhundert Schritten in der Länge bildeten, ihr Eigentum
und führte nach ihnen den Namen Kniffels-Loge. Ebendaselbst hatten
sie eine lutherische Kirche aufgeführt und zur Erhaltung derselben für
ewige Zeiten die Einkünfte der Plantage Belgard gewidmet.
Diese Gebrüder standen schon seit längerer Zeit mit meinem Kapitän
Blank, als einem Kolberger und Landsmann, in besonders
freundschaftlichem Verkehr. Er versorgte sie und ihre Plantagen
ausschließlich mit allem, was sie aus Europa bedurften; und
hinwiederum führte er alle ihre dortigen Erzeugnisse nach Holland
zurück. So geschah es auch bei der gegenwärtigen Reise; daß ich denn
oft von ihm mit Aufträgen an sie geschickt und ihnen auf diese Weise
bekannt und lieb wurde. Schon die vielfältigen Beweise von Güte, die
ich von ihnen erfuhr, würden mich veranlaßt haben, ihrer hier zu
gedenken, wenn nicht auch der Verfolg meiner Lebensgeschichte mir
wiederholt Gelegenheit gäbe, auf ihren Namen zurückzukommen.

* * * * *
Unsere Heimfahrt nach Amsterdam, die sechs Wochen währte, war
glücklich, aber ohne weitere Merkwürdigkeit. Wir waren vierzehn
Monate abwesend gewesen, und unser Schiff bedurfte einer völlig
neuen Verzimmerung, die sich bis in den November 1755 zu verzögern
drohte. Dies dauerte mir zu lange und gab die Veranlassung, daß ich in
einen anderen Dienst, unter Kapitän Wendorp, überging. Sein Schiff
war nach Kurassao bestimmt; auf der Rückreise ergänzten wir bei St.
Eustaz unsere Ladung, und nach neun Monaten, die ich hier kurz
übergehe, warfen wir wiederum vor Amsterdam wohlbehalten die
Anker.
Hier warteten Briefe auf mich von meinen Eltern, von so drohendem
Inhalt und angefüllt mit so gerechten Vorwürfen, daß ich's wohl nicht
länger verschieben durfte, mich zum zweitenmal, als der verlorene
Sohn, reuig nach Hause auf den Weg zu machen. Doch fand ich gleich
im voraus einigen Trost in dem Vorschlage, daß meines Vaters Bruder
bestimmt sei, des Herrn Beckers Schiff, genannt die Hoffnung, mit
einer Ladung Holz von Rügenwalde nach Lissabon zu führen, und mit
dem sollte ich fahren. Dies war im Jahre 1756.
So ging ich denn als Passagier nach Danzig und traf es da eben recht,
daß zwölf junge und schmucke seefahrende Leute ausgesucht werden
sollten, um die sogenannte Herren-Borse aufs stattlichste zu bemannen.
Es war nämlich zu der Zeit der König August von Polen in der Stadt
anwesend, und auf der Reede lag eine zahlreiche Flotte von russischen
Kriegsschiffen vor Anker, der er einen Besuch abzustatten gedachte. Zu
dieser Lustfahrt, die Weichsel hinunter, sollte nun jene Staatsjacht
dienen. Zufällig kriegte man mich mit an, um die Mannschaft
vollzählig zu machen, und sowohl das Außerordentliche bei der Sache,
als auch der Dukaten, der dabei für jeden Mann abfallen sollte, machten
mir Lust, diesen Ehrendienst zu verrichten.
Das
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