Egmont | Page 8

Johann Wolfgang von Goethe
Scherzreden die
Gemüter des Volks in Bewegung, und wie stutzte der Pöbel über die
neuen Livreen, über die thörichten Abzeichen der Bedienten!
Machiavell. Ich bin überzeugt, es war ohne Absicht.

Regentin. Schlimm genug. Wie ich sage: er schadet uns und nützt sich
nicht. Er nimmt das Ernstliche scherzhaft, und wir, um nicht müßig und
nachlässig zu scheinen, müssen das Scherzhafte ernstlich nehmen. So
hetzt eins das andre; und was man abzuwenden sucht, das macht sich
erst recht. Er ist gefährlicher als ein entschiednes Haupt einer
Verschwörung; und ich müßte mich sehr irren, wenn man ihm bei Hofe
nicht alles gedenkt. Ich kann nicht leugnen, es vergeht wenig Zeit, daß
er mich nicht empfindlich, sehr empfindlich macht.
Machiavell. Er scheint mir in allem nach seinem Gewissen zu handeln.
Regentin. Sein Gewissen hat einen gefälligen Spiegel. Sein Betragen ist
oft beleidigend. Er sieht oft aus, als wenn er in der völligen
Überzeugung lebe, er sei Herr, und wolle es uns nur aus Gefälligkeit
nicht fühlen lassen, wolle uns so gerade nicht zum Lande hinausjagen;
es werde sich schon geben.
Machiavell. Ich bitte Euch, legt seine Offenheit, sein glückliches Blut,
das alles Wichtige leicht behandelt, nicht zu gefährlich aus. Ihr schadet
nur ihm und Euch.
Regentin. Ich lege nichts aus; ich spreche nur von den unvermeidlichen
Folgen, und ich kenne ihn. Sein niederländischer Adel und sein golden
Vließ vor der Brust stärken sein Vertrauen, seine Kühnheit. Beides
kann ihn vor einem schnellen, willkürlichen Unmut des Königs
schützen. Untersuch' es genau; an dem ganzen Unglück, das Flandern
trifft, ist er doch nur allein schuld. Er hat zuerst den fremden Lehrern
nachgesehn, hat's so genau nicht genommen, und vielleicht sich
heimlich gefreut, daß wir etwas zu schaffen hatten. Laß mich nur! Was
ich auf dem Herzen habe, soll bei dieser Gelegenheit davon. Und ich
will die Pfeile nicht umsonst verschießen; ich weiß, wo er empfindlich
ist. Er ist auch empfindlich.
Machiavell. Habt Ihr den Rat zusammenberufen lassen? Kommt
Oranien auch?
Regentin. Ich habe nach Antwerpen um ihn geschickt. Ich will ihnen
die Last der Verantwortung nahe genug zuwälzen; sie sollen sich mit
mir dem Übel ernstlich entgegensetzen oder sich auch als Rebellen
erklären. Eile, daß die Briefe fertig werden, und bringe mir sie zur
Unterschrift. Dann sende schnell den bewährten Vaska nach Madrid; er
ist unermüdet und treu; daß mein Bruder zuerst durch ihn die Nachricht
erfahre, daß der Ruf ihn nicht übereile. Ich will ihn selbst noch

sprechen, eh' er abgeht.
Machiavell. Eure Befehle sollen schnell und genau befolgt werden.
Bürgerhaus.
Klare. Klarens Mutter. Brackenburg.
Klare. Wollt Ihr mir nicht das Garn halten, Brackenburg?
Brackenburg. Ich bitt' Euch, verschont mich, Klärchen.
Klare. Was habt Ihr wieder? Warum versagt Ihr mir diesen kleinen
Liebesdienst?
Brackenburg. Ihr bannt mich mit dem Zwirn so fest vor Euch hin, ich
kann Euern Augen nicht ausweichen.
Klare. Grillen! kommt und haltet!
Mutter (im Sessel strickend). Singt doch eins! Brackenburg sekundiert
so hübsch. Sonst wart ihr lustig, und ich hatte immer was zu lachen.
Brackenburg. Sonst.
Klare. Wir wollen singen.
Brackenburg. Was Ihr wollt.
Klare. Nur hübsch munter und frisch weg! Es ist ein Soldatenliedchen,
mein Leibstück.
(Sie wickelt Garn und singt mit Brackenburg.)
Die Trommel gerühret! Das Pfeifchen gespielt! Mein Liebster
gewaffnet Dem Haufen befiehlt, Die Lanze hoch führet, Die Leute
regieret. Wie klopft mir das Herze! Wie wallt mir das Blut! O hätt' ich
ein Wämslein Und Hosen und Hut! Ich folgt' ihm zum Thor 'naus Mit
mutigem Schritt, Ging' durch die Provinzen, Ging' überall mit. Die
Feinde schon weichen, Wir schießen darein! Welch Glück
sondergleichen, Ein Mannsbild zu sein!
(Brackenburg hat unter dem Singen Klärchen oft angesehen; zuletzt
bleibt ihm die Stimme stocken, die Thränen kommen ihm in die Augen,
er läßt den Strang fallen und geht ans Fenster. Klärchen singt das Lied
allein aus, die Mutter winkt ihr halb unwillig, sie steht auf, geht einige
Schritte nach ihm hin, kehrt halb unschlüssig wieder um und setzt
sich.)
Mutter. Was giebt's auf der Gasse, Brackenburg? Ich höre marschieren.
Brackenburg. Es ist die Leibwache der Regentin.
Klare. Um diese Stunde? Was soll das bedeuten? (Sie steht auf und
geht an das Fenster zu Brackenburg.) Das ist nicht die tägliche Wache,
das sind weit mehr! Fast alle ihre Haufen. O Brackenburg, geht! hört

einmal, was es giebt? Es muß etwas Besonderes sein. Geht, guter
Brackenburg, thut mir den Gefallen.
Brackenburg. Ich gehe! Ich bin gleich wieder da! (Er reicht ihr
abgehend die Hand; sie gibt ihm die ihrige.)
Mutter. Du schickst ihn schon wieder weg.
Klare. Ich bin neugierig. Und auch, verdenkt mir's nicht, seine
Gegenwart thut mir weh. Ich weiß immer nicht, wie ich mich gegen ihn
betragen soll. Ich habe Unrecht gegen ihn, und mich nagt's am Herzen,
daß er es so lebendig fühlt.--Kann ich's doch nicht ändern!
Mutter. Es ist ein so treuer Bursche.
Klare. Ich kann's auch nicht
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