Egmont | Page 7

Johann Wolfgang von Goethe
er nicht zu unsrer Verwunderung
uns diesen und jenen genannt, der sich in unsrer Nähe heimlich der
Ketzerei schuldig machte? Befiehlt er nicht Strenge und Schärfe? Und
ich soll gelind sein? Ich soll Vorschläge thun, daß er nachsehe, daß er
dulde? Würde ich nicht alles Vertrauen, allen Glauben bei ihm
verlieren?
Machiavell. Ich weiß wohl; der König befiehlt, er läßt Euch seine
Absichten wissen. Ihr sollt Ruhe und Friede wieder herstellen durch ein
Mittel, das die Gemüter noch mehr erbittert, das den Krieg
unvermeidlich an allen Enden anblasen wird. Bedenkt, was Ihr thut!
Die größten Kaufleute sind angesteckt, der Adel, das Volk, die
Soldaten. Was hilft es, auf seinen Gedanken beharren, wenn sich um
uns alles ändert? Möchte doch ein guter Geist Philippen eingeben, daß
es einem Könige anständiger ist, Bürger zweierlei Glaubens zu regieren,
als sie durch einander aufzureiben.
Regentin. Solch ein Wort nie wieder! Ich weiß wohl, daß Politik selten

Treu' und Glauben halten kann, daß sie Offenheit, Gutherzigkeit,
Nachgiebigkeit aus unsern Herzen ausschließt. In weltlichen
Geschäften ist das leider nur zu wahr; sollen wir aber auch mit Gott
spielen, wie unter einander? Sollen wir gleichgültig gegen unsere
bewährte Lehre sein, für die so viele ihr Leben aufgeopfert haben? Die
sollten wir hingeben an hergelaufne, ungewisse, sich selbst
widersprechende Neuerungen?
Machiavell. Denkt nur deswegen nicht übler von mir.
Regentin. Ich kenne dich und deine Treue, und weiß, daß einer ein
ehrlicher und verständiger Mann sein kann, wenn er gleich den
nächsten, besten Weg zum Heil seiner Seele verfehlt hat. Es sind noch
andere, Machiavell, Männer, die ich schätzen und tadeln muß.
Machiavell. Wen bezeichnet Ihr mir?
Regentin. Ich kann es gestehen, daß mir Egmont heute einen recht
innerlichen, tiefen Verdruß erregte.
Machiavell. Durch welches Betragen?
Regentin. Durch sein gewöhnliches, durch Gleichgültigkeit und
Leichtsinn. Ich erhielt die schreckliche Botschaft, eben als ich, von
vielen und ihm begleitet, aus der Kirche ging. Ich hielt meinen
Schmerz nicht an, ich beklagte mich laut und rief, indem ich mich zu
ihm wendete: "Seht, was in Eurer Provinz entsteht! Das duldet Ihr, Graf,
von dem der König sich alles versprach?"
Machiavell. Und was antwortete er?
Regentin. Als wenn es nichts, als wenn es eine Nebensache wäre,
versetzte er: Wären nur erst die Niederländer über ihre Verfassung
beruhigt! Das übrige würde sich leicht geben.
Machiavell. Vielleicht hat er wahrer als klug und fromm gesprochen.
Wie soll Zutrauen entstehen und bleiben, wenn der Niederländer sieht,
daß es mehr um seine Besitztümer als um sein Wohl, um seiner Seele
Heil zu thun ist? Haben die neuen Bischöfe mehr Seelen gerettet als
fette Pfründen geschmaust, und sind es nicht meist Fremde? Noch
werden alle Statthalterschaften mit Niederländern besetzt; lassen sich
es die Spanier nicht zu deutlich merken, daß sie die größte,
unwiderstehlichste Begierde nach diesen Stellen empfinden? Will ein
Volk nicht lieber nach seiner Art von den Seinigen regieret werden, als
von Fremden, die erst im Lande sich wieder Besitztümer auf Unkosten
aller zu erwerben suchen, die einen fremden Maßstab mitbringen und

unfreundlich und ohne Teilnehmung herrschen?
Regentin. Du stellst dich auf die Seite der Gegner.
Machiavell. Mit dem Herzen gewiß nicht; und wollte, ich könnte mit
dem Verstande ganz auf der unsrigen sein.
Regentin. Wenn du so willst, so thät' es not, ich träte ihnen meine
Regentschaft ab; denn Egmont und Oranien machten sich große
Hoffnung, diesen Platz einzunehmen. Damals waren sie Gegner; jetzt
sind sie gegen mich verbunden, sind Freunde, unzertrennliche Freunde
geworden.
Machiavell. Ein gefährliches Paar.
Regentin. Soll ich aufrichtig reden, ich fürchte Oranien, und ich fürchte
für Egmont. Oranien sinnt nichts Gutes, seine Gedanken reichen in die
Ferne, er ist heimlich, scheint alles anzunehmen, widerspricht nie, und
in tiefster Ehrfurcht, mit größter Vorsicht thut er, was ihm beliebt.
Machiavell. Recht im Gegenteil geht Egmont einen freien Schritt, als
wenn die Welt ihm gehörte.
Regentin. Er trägt das Haupt so hoch, als wenn die Hand der Majestät
nicht über ihm schwebte.
Machiavell. Die Augen des Volks sind alle nach ihm gerichtet, und die
Herzen hängen an ihm.
Regentin. Nie hat er einen Schein vermieden; als wenn niemand
Rechenschaft von ihm zu fordern hätte. Noch trägt er den Namen
Egmont. Graf Egmont freut ihn sich nennen zu hören; als wollte er
nicht vergessen, daß seine Vorfahren Besitzer von Geldern waren.
Warum nennt er sich nicht Prinz von Gaure, wie es ihm zukommt?
Warum thut er das? Will er erloschne Rechte wieder geltend machen?
Machiavell. Ich halte ihn für einen treuen Diener des Königs.
Regentin. Wenn er wollte, wie verdient könnte er sich um die
Regierung machen, anstatt daß er uns schon, ohne sich zu nutzen,
unsäglichen Verdruß gemacht hat. Seine Gesellschaften, Gastmahle
und Gelage haben den Adel mehr verbunden und verknüpft als die
gefährlichsten heimlichen Zusammenkünfte. Mit seinen Gesundheiten
haben die Gäste einen dauernden Rausch, einen nie sich verziehenden
Schwindel geschöpft. Wie oft setzt er durch seine
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 35
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.