Egmont | Page 6

Johann Wolfgang von Goethe
der Regentin.
Margarete von Parma in Jagdkleidern. Hofleute. Pagen. Bediente.
Regentin. Ihr stellt das Jagen ab, ich werde heut' nicht reiten. Sagt Machiavellen, er soll zu mir kommen. (Alle gehen ab.) Der Gedanke an diese schrecklichen Begebenheiten l??t mir keine Ruhe! Nichts kann mich erg?tzen, nichts mich zerstreuen; immer sind diese Bilder, diese Sorgen vor mir. Nun wird der K?nig sagen, dies sei'n die Folgen meiner G��te, meiner Nachsicht; und doch sagt mir mein Gewissen jeden Augenblick, das R?tlichste, das Beste gethan zu haben. Sollte ich fr��her mit dem Sturme des Grimmes diese Flammen anfachen und umhertreiben? Ich hoffte sie zu umstellen, sie in sich selbst zu versch��tten. Ja, was ich mir selbst sage, was ich wohl wei?, entschuldigt mich vor mir selbst; aber wie wird es mein Bruder aufnehmen? Denn, ist es zu leugnen? Der ��bermut der fremden Lehrer hat sich t?glich erh?ht; sie haben unser Heiligtum gel?stert, die stumpfen Sinne des P?bels zerr��ttet und den Schwindelgeist unter sie gebannt. Unreine Geister haben sich unter die Aufr��hrer gemischt, und schreckliche Thaten sind geschehen, die zu denken schauderhaft ist und die ich nun einzeln nach Hofe zu berichten habe, schnell und einzeln, damit mir der allgemeine Ruf nicht zuvorkomme, damit der K?nig nicht denke, man wolle noch mehr verheimlichen. Ich sehe kein Mittel, weder strenges noch gelindes, dem ��bel zu steuern. O was sind wir Gro?en auf der Woge der Menschheit? Wir glauben sie zu beherrschen, und sie treibt uns auf und nieder, hin und her.
(Machiavell tritt auf.)
Regentin. Sind die Briefe an den K?nig aufgesetzt?
Machiavell. In einer Stunde werdet Ihr sie unterschreiben k?nnen.
Regentin. Habt Ihr den Bericht ausf��hrlich genug gemacht?
Machiavell. Ausf��hrlich und umst?ndlich, wie es der K?nig liebt. Ich erz?hle, wie zuerst um St. Omer die bilderst��rmerische Wut sich zeigt. Wie eine rasende Menge, mit St?ben, Beilen, H?mmern, Leitern, Stricken versehen, von wenig Bewaffneten begleitet, erst Kapellen, Kirchen und Kl?ster anfallen, die And?chtigen verjagen, die verschlossenen Pforten aufbrechen, alles umkehren, die Alt?re niederrei?en, die Statuen der Heiligen zerschlagen, alle Gem?lde verderben, alles, was sie nur Geweihtes, Geheiligtes antreffen, zerschmettern, zerrei?en, zertreten. Wie sich der Haufe unterwegs vermehrt, die Einwohner von Ypern ihnen die Thore er?ffnen. Wie sie den Dom mit unglaublicher Schnelle verw��sten, die Bibliothek des Bischofs verbrennen. Wie eine gro?e Menge Volks, von gleichem Unsinn ergriffen, sich ��ber Menin, Comines, Verwich, Lille verbreitet, nirgend Widerstand findet, und wie fast durch ganz Flandern in einem Augenblicke die ungeheure Verschw?rung sich erkl?rt und ausgef��hrt ist.
Regentin. Ach, wie ergreift mich aufs neue der Schmerz bei deiner Wiederholung! Und die Furcht gesellt sich dazu, das ��bel werde nur gr??er und gr??er werden. Sagt mir Eure Gedanken, Machiavell!
Machiavell. Verzeihen Eure Hoheit, meine Gedanken sehen Grillen so ?hnlich; und wenn Ihr auch immer mit meinen Diensten zufrieden wart, habt Ihr doch selten meinem Rat folgen m?gen. Ihr sagtet oft im Scherze: "Du siehst zu weit, Machiavell! Du solltest Geschichtschreiber sein. Wer handelt, mu? f��rs N?chste sorgen." Und doch, habe ich diese Geschichte nicht voraus erz?hlt? Hab' ich nicht alles voraus gesehen?
Regentin. Ich sehe auch viel voraus, ohne es ?ndern zu k?nnen.
Machiavell. Ein Wort f��r tausend: Ihr unterdr��ckt die neue Lehre nicht! La?t sie gelten, sondert sie von den Rechtgl?ubigen, gebt ihnen Kirchen, fa?t sie in die b��rgerliche Ordnung, schr?nkt sie ein; und so habt Ihr die Aufr��hrer auf einmal zur Ruhe gebracht. Jede andern Mittel sind vergeblich, und Ihr verheert das Land.
Regentin. Hast du vergessen, mit welchem Abscheu mein Bruder selbst die Frage verwarf, ob man die neue Lehre dulden k?nne? Wei?t du nicht, wie er mir in jedem Briefe die Erhaltung des wahren Glaubens aufs eifrigste empfiehlt? da? er Ruhe und Einigkeit auf Kosten der Religion nicht hergestellt wissen will? H?lt er nicht selbst in den Provinzen Spione, die wir nicht kennen, um zu erfahren, wer sich zu der neuen Meinung hin��berneigt? Hat er nicht zu unsrer Verwunderung uns diesen und jenen genannt, der sich in unsrer N?he heimlich der Ketzerei schuldig machte? Befiehlt er nicht Strenge und Sch?rfe? Und ich soll gelind sein? Ich soll Vorschl?ge thun, da? er nachsehe, da? er dulde? W��rde ich nicht alles Vertrauen, allen Glauben bei ihm verlieren?
Machiavell. Ich wei? wohl; der K?nig befiehlt, er l??t Euch seine Absichten wissen. Ihr sollt Ruhe und Friede wieder herstellen durch ein Mittel, das die Gem��ter noch mehr erbittert, das den Krieg unvermeidlich an allen Enden anblasen wird. Bedenkt, was Ihr thut! Die gr??ten Kaufleute sind angesteckt, der Adel, das Volk, die Soldaten. Was hilft es, auf seinen Gedanken beharren, wenn sich um uns alles ?ndert? M?chte doch ein guter Geist Philippen eingeben, da? es einem K?nige anst?ndiger ist, B��rger zweierlei Glaubens zu regieren, als sie durch einander aufzureiben.
Regentin. Solch ein Wort nie wieder! Ich wei? wohl, da? Politik selten Treu' und Glauben halten kann, da? sie Offenheit, Gutherzigkeit, Nachgiebigkeit aus unsern Herzen ausschlie?t. In weltlichen Gesch?ften ist das leider nur zu wahr;
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