Effi Briest | Page 7

Theodor Fontane
und freue mich über jedes
grüne Blatt und über den wilden Wein, der da drüben in die Fenster
wächst.«
Er sprach noch mehr dergleichen, allerhand Antibeamtliches, und
entschuldigte sich von Zeit zu Zeit mit einem kurzen, verschiedentlich
wiederkehrenden »Pardon, Innstetten«. Dieser nickte mechanisch
zustimmend, war aber eigentlich wenig bei der Sache, sah vielmehr wie
gebannt immer aufs neue nach dem drüben am Fenster rankenden
wilden Wein hinüber, von dem Briest eben gesprochen, und während er
dem nachhing, war es ihm, als säh' er wieder die rotblonden
Mädchenköpfe zwischen den Weinranken und höre dabei den
übermütigen Zuruf: »Effi, komm.«
Er glaubte nicht an Zeichen und ähnliches, im Gegenteil, wies alles
Abergläubische weit zurück. Aber er konnte trotzdem von den zwei
Worten nicht los, und während Briest immer weiterperorierte, war es
ihm beständig, als wäre der kleine Hergang doch mehr als ein bloßer
Zufall gewesen.
Innstetten, der nur einen kurzen Urlaub genommen, war schon am
folgenden Tag wieder abgereist, nachdem er versprochen, jeden Tag
schreiben zu wollen. »Ja, das mußt du«, hatte Effi gesagt, ein Wort, das
ihr von Herzen kam, da sie seit Jahren nichts Schöneres kannte als
beispielsweise den Empfang vieler Geburtstagsbriefe. Jeder mußte ihr
zu diesem Tag schreiben. In den Brief eingestreute Wendungen, etwa
wie »Gertrud und Klara senden Dir mit mir ihre herzlichsten
Glückwünsche«, waren verpönt; Gertrud und Klara, wenn sie
Freundinnen sein wollten, hatten dafür zu Sorgen, daß ein Brief mit

selbständiger Marke daläge, womöglich - denn ihr Geburtstag fiel noch
in die Reisezeit mit einer fremden, aus der Schweiz oder Karlsbad.
Innstetten, wie versprochen, schrieb wirklich jeden Tag; was aber den
Empfang seiner Briefe ganz besonders angenehm machte, war der
Umstand, daß er allwöchentlich nur einmal einen ganz kleinen
Antwortbrief erwartete. Den erhielt er dann auch, voll reizend nichtigen
und ihn jedesmal entzückenden Inhalts. Was es von ernsteren Dingen
zu besprechen gab, das verhandelte Frau von Briest mit ihrem
Schwiegersohn: Festsetzungen wegen der Hochzeit, Ausstattungs- und
Wirtschaftseinrichtungsfragen. Innstetten, schon an die drei Jahre im
Amt, war in seinem Kessiner Hause nicht glänzend, aber doch sehr
standesgemäß eingerichtet, und es empfahl sich, in der Korrespondenz
mit ihm ein Bild von allem, was da war, zu gewinnen, um nichts
Unnützes anzuschaffen. Schließlich, als Frau von Briest über all diese
Dinge genugsam unterrichtet war, wurde seitens Mutter und Tochter
eine Reise nach Berlin beschlossen, um, wie Briest sich ausdrückte,
den »Trousseau« für Prinzessin Effi zusammenzukaufen. Effi freute
sich sehr auf den Aufenthalt in Berlin, um so mehr, als der Vater darein
gewilligt hatte, im Hotel du Nord Wohnung zu nehmen. Was es koste,
könne ja von der Ausstattung abgezogen werden; Innstetten habe
ohnehin alles. Effi ganz im Gegensatz zu der solche »Mesquinerien«
ein für allemal sich verbittenden Mama - hatte dem Vater, ohne jede
Sorge darum, ob er's scherz- oder ernsthaft gemeint hatte, freudig
zugestimmt und beschäftigte sich in ihren Gedanken viel, viel mehr mit
dem Eindruck, den sie beide, Mutter und Tochter, bei ihrem Erscheinen
an der Table d'hôte machen würden, als mit Spinn und Mencke,
Goschenhofer und ähnlichen Firmen, die vorläufig notiert worden
waren. Und diesen ihren heiteren Phantasien entsprach denn auch ihre
Haltung, als die große Berliner Woche nun wirklich da war. Vetter
Briest vom Alexanderregiment, ein ungemein ausgelassener junger
Leutnant, der die »Fliegenden Blätter« hielt und über die besten Witze
Buch führte, stellte sich den Damen für jede dienstfreie Stunde zur
Verfügung, und so saßen sie denn mit ihm bei Kranzler am Eckfenster
oder zu statthafter Zeit auch wohl im Café Bauer und fuhren
nachmittags in den Zoologischen Garten, um da die Giraffen zu sehen,
von denen Vetter Briest, der übrigens Dagobert hieß, mit Vorliebe

behauptete, sie sähen aus wie adlige alte Jungfern. Jeder Tag verlief
programmäßig, und am dritten oder vierten Tag gingen sie, wie
vorgeschrieben, in die Nationalgalerie, weil Vetter Dagobert seiner
Cousine die »Insel der Seligen« zeigen wollte. Fräulein Cousine stehe
zwar auf dem Punkte, sich zu verheiraten, es sei aber doch vielleicht
gut, die »Insel der Seligen« schon vorher kennengelernt zu haben. Die
Tante gab ihm einen Schlag mit dem Fächer, begleitete diesen Schlag
aber mit einem so gnädigen Blick, daß er keine Veranlassung hatte, den
Ton zu ändern. Es waren himmlische Tage für alle drei, nicht zum
wenigsten für den Vetter, der so wundervoll zu chaperonnieren und
kleine Differenzen immer rasch auszugleichen verstand. An solchen
Meinungsverschiedenheiten zwischen Mutter und Tochter war nun, wie
das so geht, all die Zeit über kein Mangel, aber sie traten
glücklicherweise nie bei den zu machenden Einkäufen hervor. Ob man
von einer Sache sechs oder drei Dutzend erstand, Effi war mit allem
gleichmäßig einverstanden, und wenn dann auf dem Heimweg von dem
Preis der eben eingekauften Gegenstände gesprochen wurde, so
verwechselte sie regelmäßig die Zahlen. Frau von Briest, sonst so
kritisch, auch ihrem eigenen geliebten Kinde gegenüber, nahm dies
anscheinend mangelnde Interesse nicht nur von der leichten
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