nicht ansehen?
Damis. Es gehört zu meinem Siege. Wer kann Sie sehen und Sie doch
nicht lieben?
Julchen. Sagten Sie mir nicht wieder, daß Sie mich liebten? O das ist
traurig! Ich werde über Ihr Bezeigen recht unruhig. Einmal reden Sie so
verliebt, daß man erschrickt, und das andere Mal so gleichgültig, als
wenn Sie mich zum ersten Male sähen. Nein, schweifen Sie doch nicht
aus. Sie widersprechen mir ja stets. Ist dies die Eigenschaft eines guten
Freundes? Wir brauchen ja nicht zu lieben. Ist denn die Freiheit nicht
so edel als die Liebe?
Damis. O es gehört weit mehr Stärke des Geistes zu der Freiheit als zu
der Liebe.
Julchen. Das sage ich auch, warum halten Sie mir's denn für übel, daß
ich die Freiheit hochschätze, daß ich statt eines Liebhabers lieber zehn
Freunde, statt eines einfachen lieber ein mannigfaltiges Vergnügen
haben will? Sind denn meine Gründe so schlecht, daß ich darüber Ihre
Hochachtung verlieren sollte? Tun Sie den Ausspruch, ob ich bloß aus
Eigensinn rede. (Damis sieht sie zärtlich an.) Aber warum sehen Sie
mich so ängstlich an, als ob Sie mich bedauerten? Was wollen mir Ihre
Augen durch diese Sprache sagen? Ich kann mich gar nicht mehr in Ihr
Bezeigen finden. Sie scheinen mir das Amt eines Aufsehers und nicht
eines Freundes über sich genommen zu haben. Warum geben Sie auf
meine kleinste Miene Achtung und nicht auf meine Worte? Mein Herr,
ich wollte, daß Sie nunmehr...
Damis. Daß Sie gingen, wollten Sie sagen. Auch diesen Befehl nehme
ich an, so sauer er mir auch wird. Sie mögen mich nun noch so sehr
hassen: so werde ich mich doch in Ihrer Gegenwart nie über mein
Schicksal beklagen. Ich habe die Ehre, mich Ihnen zu empfehlen.
Julchen. Hassen? Wenn habe ich denn gesagt, daß ich Sie hasse? Ich
verstehe diese Sprache. Weil Sie mich nicht lieben sollen, so wollen
Sie mich hassen. Dies ist sehr großmütig. Das sind die Früchte der
berühmten Zärtlichkeit. Ich werde aber nicht aus meiner Gelassenheit
kommen, und wenn Sie auch mit dem kaltsinnigsten Stolze noch
einmal zu mir sagen sollten: Ich habe die Ehre, mich Ihnen zu
empfehlen. Das ist ja eine rechte Hofsprache.
Damis. Es ist die Sprache der Ehrerbietung. (Er geht ab.)
Siebenter Auftritt
Julchen allein.
Wie? Er geht? Aber warum bin ich so unruhig? Ich liebe ihn ja nicht. ..
Nein, ich bin ihm nur gewogen. Es ist doch ein unerträglicher Stolz,
daß er mich verläßt. Aber habe ich ihn etwan beleidiget? Er ist ja sonst
so vernünftig und so großmütig... Nein, nein, er liebt mich nicht. Es
muß Verstellung gewesen sein. Ich habe heute ein recht mürrisches
Wesen. (Lottchen tritt unvermerkt herein.) Wenn ich nur meine Laute
hier hätte, ich wollte...
Achter Auftritt
Julchen. Lottchen.
Lottchen. Ich will sie gleich holen, wenn du es haben willst. Aber, mein
Kind, was hast du mit dir allein zu reden? Es ist ja sonst deine Art nicht,
daß du mit der Einsamkeit sprichst?
Julchen. Wenn hätte ich denn mit mir allein geredet? Ich weiß nicht,
daß ich heute allen so verdächtig vorkomme.
Lottchen. Aber woher wüßte ich's, daß du die Laute hättest haben
wollen, wenn du nicht geredt hättest? Mich hast du nicht gesehen,
liebes Kind, und also mußt du wohl mit dir selbst geredt haben. Ich
dächte es wenigstens, oder bist du anderer Meinung?
Julchen. Ihr müßt euch alle beredt haben, mir zu widersprechen.
Lottchen. Wieso? Ich habe dir nicht widersprochen. Und wenn es Herr
Damis getan hat, so kann ich nichts dafür. Warum ziehst du deine guten
Freunde nicht besser? Er sagte mir im Vorbeigehen, du wärest recht
böse geworden, weil er es etliche Mal versehen und wider sein
Versprechen an die Liebe gedacht hätte.
Julchen. Schwester, ich glaube, Ihr kommt, um Rechenschaft von mir
zu fordern. Ihr hört es ja, daß ich mich nicht zur Liebe zwingen lasse.
Lottchen. Recht, Julchen, wenn dir Herr Damis zuwider ist: so bitte ich
dich selber, liebe ihn nicht.
Julchen. Was das für ein weiser Spruch ist! Wenn er dir zuwider ist.. .
Muß man denn einander hassen, wenn man nicht lieben will? Ich habe
ja noch nicht gefragt, ob dir dein Herr Siegmund zuwider ist.
Lottchen. Nein, du hast mich noch nicht gefragt. Aber wenn du mich
fragen solltest, so würde ich dir antworten, daß ich ihn recht zärtlich,
recht von Herzen liebe und mich meiner Zärtlichkeit nicht einen
Augenblick schäme. Es gehört weit mehr Hoheit des Gemüts dazu, die
Liebe vernünftig zu fühlen, als die Freiheit zu behaupten.
Julchen. Ich möchte vor Verdruß vergehen. Herr Damis hat gleich
vorhin das Gegenteil behauptet. Wem soll man nun glauben? Nehmt
mir's nicht übel, meine Schwester, ich weiß, daß Ihr mehr Einsicht habt
als ich; aber erlaubt mir, daß ich meinen Einfall dem Eurigen vorziehe.
Und warum kann Herr Damis nicht so gut recht
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