Die zärtlichen Schwestern | Page 3

Christian Fürchtegott Gellert
Nein, ich verdiene Ihr Herz noch nicht; allein ich will mich
zeitlebens bemühen, Sie zu überführen, daß Sie es keinem Unwürdigen
geschenkt haben. Wie edel gesinnt ist Ihre Seele! Ich verlor als Ihr

Liebhaber mein ganzes Vermögen, und mein Unglück hat mir nicht den
geringsten Teil von Ihrer Liebe entzogen. Sie haben Ihre Gewogenheit
gegen mich vermehrt und mir durch sie den Verlust meines Glücks
erträglich gemacht, Diese standhafte Zärtlichkeit ist ein Ruhm für Sie,
den nur ein erhabenes Herz zu schätzen weiß. Und ich würde des
Hasses der ganzen Welt wert sein, wenn ich jemals aufhören könnte,
Sie zu lieben.
Lottchen. Ich habe einen Fehler begangen, daß ich Sie so viel zu
meinem Ruhme habe sagen lassen. Aber Ihr Beifall ist mir gar zu
kostbar, als daß ihn meine Eigenliebe nicht mit Vergnügen anhören
sollte. Sie können es seit zwei Jahren schon wissen, ob ich ein redliches
Herz habe. Welche Zufriedenheit ist es für mich, daß ich ohne den
geringsten Vorwurf in alle die vergnügten Tage und Stunden
zurücksehen kann, die ich mit Ihnen, mit der Liebe und der Tugend
zugebracht habe!
Siegmund. Also sind Sie vollkommen mit mir zufrieden, meine Schöne?
O warum kann ich Sie nicht glücklich machen! Welche Wollust müßte
es sein, ein Herz, wie das Ihrige ist, zu belohnen, da mir die bloße
Vorstellung davon schon so viel Vergnügen gibt! Ach, liebstes Kind,
Julchen wird glücklicher, weit glücklicher als Sie, und...
Lottchen. Sie beleidigen mich, wenn Sie mehr reden. Und Sie
beleidigen mich auch schon, wenn Sie es denken. Julchen ist nicht
glücklicher, als ich bin. Sie habe ihrem künftigen Bräutigam noch
soviel zu danken: so bin ich Ihnen doch ebensoviel schuldig. Durch
Ihren Umgang, durch Ihr Beispiel bin ich zärtlich, ruhig und mit der
ganzen Welt zufrieden worden. Ist dieses kein Glück: so muß gar keins
in der Welt sein. Aber, mein liebster Freund, wir wollen heute zu
Julchens Glücke etwas beitragen. Sie liebt den Herrn Damis und weiß
es nicht, daß sie ihn liebt. Ihr ganzes Bezeigen versichert mich, daß der
prächtige Gedanke, den sie von der Freiheit mit sich herumträgt, nichts
als eine Frucht der Liebe sei. Sie liebt; aber die verdrüßliche Gestalt,
die sie sich vielleicht von der Ehe gemacht hat, umnebelt ihre Liebe.
Wir wollen diese kleinen Nebel vertreiben.
Siegmund. Und wie? mein liebes Kind. Ich gehorche Ihnen ohne

Ausnahme. Herr Damis verdient Julchen, und sie wird eine recht
liebenswürdige Frau werden.
Lottchen. Hören Sie nur. Doch hier kömmt Herr Damis.

Vierter Auftritt
Die Vorigen. Damis.
Lottchen. Sie sehen sehr traurig aus, mein Herr Damis.
Damis. Ich habe Ursache dazu. Anstatt, daß ich glaubte, Julchen heute
als meine Braut zu sehen: so merke ich, daß noch ganze Jahre zu
diesem Glücke nötig sind. Je mehr ich ihr von der Liebe vorsage, desto
unempfindlicher wird sie. Und je mehr sie sieht, daß meine Absichten
ernstlich sind, desto mehr mißfallen sie ihr. Ich Unglücklicher! Wie gut
wäre es für mich, wenn ich Julchen weniger liebte!
Lottchen. Lassen Sie sich ihre kleine Halsstarrigkeit lieb sein. Es ist
nichts als Liebe. Eben weil sie fühlt, daß ihr Herz überwunden ist: so
wendet sie noch die letzte Bemühung an, der Liebe den Sieg sauer zu
machen. Wir brauchen nichts, als sie dahin zu bringen, daß sie sieht,
was in ihrem Herzen vorgeht.
Damis. Wenn sie es aber nicht sehen will?
Lottchen. Wir müssen sie überraschen und sie, ohne daß sie es vermutet,
dazu nötigen. Der heutige Tag ist ja nicht notwendig Ihr Brauttag.
Glückt es uns heute nicht: so wird es ein andermal glücken. Es kömmt
bloß darauf an, meine Herren, ob Sie sich meinen Vorschlag wollen
gefallen lassen.
Siegmund. Wenn ich zu des Herrn Damis Glücke etwas beitragen kann,
mit Freuden.
Damis. Ich weiß, daß Sie beide großmütig genug darzu sind. Und mir
wird nichts in der Welt zu schwer sein, das ich nicht für Julchen wagen

sollte.
Lottchen. Mein Herr Damis, verändern Sie die Sprache bei Julchen
etwas. Fangen Sie nach und nach an, ihr in den Gedanken von der
Freiheit recht zu geben. Diese Übereinstimmung wird ihr anfangs
gefallen und sie sicher machen. Sie wird denken, als ob sie Ihnen
deswegen erst gewogen würde, da sie es doch lange aus weit schönern
Ursachen gewesen ist. Und in diesem Selbstbetruge wird sie Ihnen ihr
ganzes Herz sehen lassen.
Damis. Wollte der Himmel, daß Ihr Rat seine Wirkung täte. Wie
glücklich wollte ich mich schätzen!
Lottchen (zu Siegmunden). Und Sie müssen dem Herrn Damis zum
Besten einen kleinen Betrug spielen und sich gegen Julchen zärtlich
stellen. Dieses wird ihr Herz in Unordnung bringen. Sie wird böse auf
Sie werden. Und mitten in dem Zorne wird die Liebe gegen den Herrn
Damis hervorbrechen. Tun Sie es auf meine Verantwortung.
Siegmund. Diese Rolle wird mir sehr sauer werden.
Fünfter Auftritt
Die Vorigen. Julchen.
Julchen. Da sind Sie ja
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