Die zärtlichen Schwestern | Page 2

Christian Fürchtegott Gellert
Arme Tochter! es mag dir wohl weh tun, daß
deine Schwester so reich heiratet. Je nun, du bist freilich nicht die
Schönste; aber der Himmel wird dich schon versorgen. Betrübe dich

nicht.
Lottchen. Der Himmel weiß, daß ich bloß deswegen betrübt bin, weil
Sie mein Herz für so niedrig halten, daß es meiner Schwester ihr Glück
nicht gönnen sollte. Dazu gehört ja gar keine Tugend, einer Person
etwas zu gönnen, für welche das Blut in mir spricht. Kommen Sie,
Papa, der Tee möchte kalt werden.
Cleon. Du brichst mit Fleiß ab, weil du dich fühlst. Sei gutes Muts,
mein Kind. Ich kann dir freilich nichts mitgeben. Aber solange ich lebe,
will ich alles an dich wagen. Nimm dir wieder einen Sprachmeister,
einen Zeichenmeister, einen Klaviermeister und alles an. Ich bezahle,
und wenn mich der Monat funfzig Taler käme. Du bist es wert. Und
höre nur, dein Siegmund, dein guter Freund, oder wenn du es lieber
hörst, dein Liebhaber, ist freilich durch den unglücklichen Prozeß
seines seligen Vaters um sein Vermögen gekommen; aber er hat etwas
gelernt und wird sein Glück und das deine gewiß machen.
Lottchen. Ach lieber Papa, Herr Siegmund ist mir itzt noch ebenso
schätzbar als vor einem Jahre, da er viel Vermögen hatte. Ich weiß, daß
Sie unsere Liebe billigen. Ich will für die Verdienste einer Frau sorgen,
er wird schon auf die Ruhe derselben bedacht sein. Er hat so viel
Vorzüge in meinen Augen, daß er sich keine Untreue von mir
befürchten darf, und wenn ich auch noch zehn Jahre auf seine Hand
warten sollte. Wollen Sie mir eine Bitte erlauben: so lassen Sie ihn
heute mit uns speisen.
Cleon. Gutes Kind, du wirst doch denken, daß ich ihn zu deinem
Vergnügen habe herbitten lassen. Er wird nicht lange sein.
(Siegmund tritt herein, ohne daß ihn Lottchen gewahr wird.)
Lottchen. Wenn ihn der Bediente nur auch angetroffen hat. Ich will
selber ein paar Zeilen an ihn schreiben. Ich kann ihm und mir keine
größere Freude machen. Er wird gewiß kommen und den größten
Anteil an Julchens Glücke nehmen. Er hat das redlichste und zärtlichste
Herz. Vergeben Sie mir's, daß ich so viel von ihm rede.

Cleon. Also hast du ihn recht herzlich lieb?
Lottchen. Ja, Papa, so lieb, daß, wenn ich die Wahl hätte, ob ich ihn mit
einem geringen Auskommen oder den Vornehmsten mit allem
Überflusse zum Manne haben wollte, ich ihn allemal wählen würde.
Cleon. Ist's möglich? Hätte ich doch nicht gedacht, daß du so verliebt
wärest.
Lottchen. Zärtlich, wollen Sie sagen. Ich würde unruhig sein, wenn ich
nicht so zärtlich liebte, denn dies ist es alles, wodurch ich die
Zuneigung belohnen kann, die mir Herr Siegmund vor so vielen andern
Frauenzimmern geschenkt hat. Bedenken Sie nur, ich bin nicht schön,
nicht reich, ich habe sonst keine Vorzüge als meine Unschuld, und er
liebt mich doch so vollkommen, als wenn ich die liebenswürdigste
Person von der Welt wäre.
Cleon. Aber sagst du's ihm denn selbst, daß du ihn so ausnehmend
liebst?
Lottchen. Nein, so deutlich habe ich es ihm nie gesagt. Er ist so
bescheiden, daß er kein ordentliches Bekenntnis der Liebe von mir
verlangt. Und ich habe tausendmal gewünscht, daß er mich nötigen
möchte, ihm eine Liebe zu entdecken, die er so sehr verdienet.
Cleon. Du wirst diesen Wunsch bald erfüllt sehen. Siehe dich um, mein
liebes Lottchen.

Zweiter Auftritt
Cleon. Lottchen. Siegmund.
Lottchen. Wie? Sie haben mich reden hören?
Siegmund. Vergeben Sie mir, mein liebes Lottchen. Ich habe in
meinem Leben nichts Vorteilhafters für mich gehört. Ich bin vor
Vergnügen ganz trunken, und ich weiß meine Verwegenheit mit nichts

als mit meiner Liebe zu entschuldigen.
Lottchen. Eine bessere Fürsprecherin hätten Sie nicht finden können.
Haben Sie alles gehört? Ich habe es nicht gewußt, daß Sie zugegen
wären; um desto aufrichtiger ist mein Bekenntnis. Aber wenn ich ja auf
den Antrieb meines Papas einen Fehler habe begehen sollen: so will ich
ihn nunmehr für mich allein begehen: Ich liebe Sie. Sind Sie mit dieser
Ausschweifung zufrieden?
Siegmund. Liebstes Lottchen, meine Bestürzung mag Ihnen ein Beweis
von der Empfindung meines Herzens sein. Sie lieben mich? Sie sagen
mir's in der Gegenwart Ihres Papas? Sie? mein Lottchen! Verdiene ich
dies? Soll ich Ihnen antworten? und wie? O lassen Sie mich gehen und
zu mir selber kommen.
Cleon. Sie sind ganz bestürzt, Herr Siegmund. Vielleicht tut Ihnen
meine Gegenwart einigen Zwang an. Lebt wohl, meine Kinder, und
sorgt für Julchen. Ich will mit dem Herrn Damis reden.

Dritter Auftritt
Lottchen. Siegmund.
Siegmund. Wird es Sie bald reuen, meine Geliebte, daß ich so viel zu
meinem Vorteile gehört habe?
Lottchen. Sagen Sie mir erst, ob Sie so viel zu hören gewünscht haben.
Siegmund. Gewünscht habe ich's tausendmal; allein, verdiene ich so
viele Zärtlichkeit?
Lottchen. Wenn mein Herz den Ausspruch tun darf: so verdienen Sie
ihrer weit mehr.
Siegmund.
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