Die zärtlichen Schwestern | Page 9

Christian Fürchtegott Gellert
darf ja wohl ein Wort reden. Ich bin ja auch jung gewesen, und meine Jugend reut mich gar nicht. Ich und deine selige Mutter haben uns ein Jahr vor der Ehe und sechzehn Jahre in der Ehe wie die Kinder vertragen. Sie hat mir tausend vergnügte Stunden gemacht, und ich will's ihr noch in der Ewigkeit danken. Sie hat auch euch, meine Kinder, ohne Ruhm zu melden, recht gut gezogen. Ich weine vielmal, wenn ich des Abends nach der Betstunde von euch gehe und eure Andacht, insonderheit die deinige, sehe. Es wird dir gewi? wohlgehen. Verlasse dich darauf. Du tust mir viel Gutes. Du führst meine ganze Haushaltung. Sei zufrieden mit deinem Schicksale. Ich lasse dir nach meinem Tode einen ehrlichen Namen und eine gute Auferziehung. La? mich ja zu meiner seligen Frau ins Grab legen. Ich will schlafen, wo sie schl?ft.
Lottchen. Ach, Papa, warum machen Sie mich weichmütig? Sie werden, wenn es nach meinem Wunsche geht, noch lange leben und erfahren, da? ich meinen Ruhm in der Pflicht, Ihnen zu dienen, suche. Und wenn ich Sie hundert Jahre versorge: so habe ich nichts mehr getan, als was mir meine Schuldigkeit befiehlt. Heute müssen Sie vergnügt sein. Doch vielleicht ist die traurige Empfindung, die in Ihnen entstanden ist, die angenehmste, die nur ein rechtschaffener Vater fühlen kann. Aber, lieber Papa, es ist kein Wein mehr im Keller als das gute Fa?, das Sie in meinem Geburtsjahre eingelegt haben. Was werden wir heute unsern G?sten für Wein vorsetzen?
Cleon. Tochter, zapfe das Fa? an. Und wenn es Nektar w?re: so ist er für den heutigen Tag nicht zu gut. Es wird bald Mittagszeit sein. Ich will immer gehen und die Forellen aus dem Fischh?lter langen. Wenn ich Julchen sehe: so will ich dir sie wohl wieder herschicken, wenn du noch einmal mit ihr reden willst.
Lottchen. Recht gut, Papa, ich will noch einige Augenblicke hier warten.

Zw?lfter Auftritt
Lottchen. Siegmund.
Siegmund. Ich habe schon einen Augenblick mit Julchen gesprochen. Sie ist ungehalten auf den Herrn Damis, aber ihre ganze Anklage scheint mir nichts als eine Liebeserkl?rung in einer fremden Sprache zu sein. Ich h?tte nicht gedacht, da? sie so z?rtlich w?re. Die Liebe und Freundschaft reden zugleich aus ihren Augen und aus ihrem Munde, je mehr sie nach ihrer Meinung die erste verbergen will.
Lottchen. Ei, ei, mein lieber Herr Siegmund! Ich k?nnte bald einige Minuten eifersüchtig werden. Nicht wahr, meine Schwester ist reizender als ich? Aber dennoch lieben Sie mich.
Siegmund. Wer kann Sie einmal lieben und nicht best?ndig lieben? Ihre Jungfer Schwester hat viele Verdienste; aber Sie haben ihrer weit mehr. Sie kennen mein Herz. Dieses mu? Ihnen für meine Treue der sicherste Bürge sein.
Lottchen. Ja, ich kenne es und bin stolz darauf. Ach, mein liebster Freund, ich mu? Ihnen sagen, da? uns vielleicht ein kleines Glück bevorsteht. Wollte doch der Himmel, da? es zu Ihrer Beruhigung etwas beitragen k?nnte! Der Herr Vormund des Herrn Damis hat dem Papa in einem Billette gemeldet, da? heute das Testament der Frau Muhme Stephan ge?ffnet werden würde und da? er glaubte, sie würde den Papa darinne bedacht haben. O wenn es doch die Vorsicht wollte, da? ich so glücklich würde, Ihre Umst?nde zu verbessern!
Siegmund. Machen Sie mich nicht unruhig. Sie lieben mich mehr, als ich verdiene. Gedulden Sie sich, es wird noch alles gut werden und...
Lottchen. Sie sind unruhig? Was fehlt Ihnen? Sagen Sie mir's. Mein Leben ist mir nicht lieber als Ihre Ruhe.
Siegmund. Ach, mein sch?nes Kind, es fehlt mir nichts, nichts als das Glück, Sie ewig zu besitzen. Ich bin etwas zerstreut. Ich habe diese Nacht nicht wohl geschlafen.
Lottchen. O kommen Sie und werden Sie mir zuliebe munter. Wir wollen erst zu Julchen auf ihre Stube und dann gleich zur Mahlzeit gehn.
(Ende des ersten Aufzugs.)

Zweiter Aufzug

Erster Auftritt
Cleon. Julchen.
Cleon. Du wirst doch wissen, ob du ihm gut bist?
Julchen. Lieber Papa, woher soll ich's denn wissen? Ich will Ihnen gerne gehorchen; aber lassen Sie mir nur meine Freiheit.
Cleon. ?Ich will Ihnen gerne gehorchen; aber lassen Sie mir nur meine Freiheit.? Kleiner Affe, was redst du denn? Wenn ich dir deine Freiheit lassen soll: so brauchst du mir ja nicht zu gehorchen. Ich will dich gar nicht zwingen. Ich bin dir viel zu gut. Nein, sage mir nur, ob er dir gef?llt.
Julchen. Ob mir Herr Damis gef?llt? Vielleicht, Papa. Ich wei? es nicht gewi?.
Cleon. Tochter, sch?me dich nicht, mit deinem Vater aufrichtig zu reden. Du bist ja erwachsen, und die Liebe ist ja nichts Verbotenes. Gef?llt dir seine Person, seine Bildung?
Julchen. Sie mi?f?llt mir nicht. Vielleicht... gef?llt sie mir gar.
Cleon. M?dchen, was willst du mit deinem ?Vielleicht?? Wir reden ja nicht von verborgenen Sachen: du darfst ja nur dein Herz fragen.
Julchen. Aber wenn nun mein Herz so untreu ist und mir nicht aufrichtig antwortet?
Cleon. Rede nicht so poetisch. Dein Herz bist du, und du wirst doch wissen, was in dir
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