Die zärtlichen Schwestern | Page 4

Christian Fürchtegott Gellert
diese Ehre nicht auch erweisest?
Julchen. Herr Damis ist so gütig gewesen und hat mir versprochen, lange nicht wieder von der Liebe zu reden. Und er ist viel zu billig, als da? er mir sein Wort nicht halten sollte.
Damis. Ich habe es Ihnen versprochen, meine liebe Mamsell, und ich verspreche es Ihnen vor dieser Gesellschaft zum andern Male. Erlauben Sie mir, da? ich meine Z?rtlichkeit in Hochachtung verwandeln darf. Die Liebe k?nnen Sie mir mit Recht verbieten; aber die Hochachtung k?mmt nicht auf meinen Willen, sondern auf Ihre Verdienste an. Scheun Sie sich nicht mehr vor mir. Ich bin gar nicht mehr Ihr Liebhaber. Aber darf ich denn auch nicht Ihr guter Freund sein?
Julchen. Von Herzen gern. Dieses ist eben mein Wunsch, viele Freunde und keinen Liebhaber zu haben; mich an einem vertrauten Umgange zu vergnügen, aber mich nicht durch die Vertraulichkeit zu binden und zu fesseln. Wenn Sie mir nichts mehr von der Liebe sagen wollen: so will ich ganze Tage mit Ihnen umgehen.
Lottchen. Kommen Sie, Herr Siegmund. Bei diesen frostigen Leuten sind wir nichts nütze. Ob wir ihr kaltsinniges Gespr?ch von der Freundschaft h?ren oder nicht. Wir wollen zu dem Papa gehen.

Sechster Auftritt
Julchen. Damis.
Julchen. Ich bin meiner Schwester recht herzlich gut; aber ich würde es noch mehr sein, wenn sie weniger auf die Liebe hielte. Es kann sein, da? die Liebe viel Annehmlichkeiten hat; aber das traurige und eingeschr?nkte Wesen, das man dabei annimmt, verderbt ihren Wert, und wenn er noch so gro? w?re. Ich habe ein lebendiges Beispiel an meiner Schwester. Sie war sonst viel munterer, viel ungezwungener.
Damis. Ich habe Ihnen versprochen, nicht von der Liebe zu reden, und ich halte mein Wort. Die Freundschaft scheint mir in der Tat besser.
Julchen. Ja. Die Freundschaft ist das frohe Vergnügen der Menschen und die Liebe das traurige. Man will einander recht genie?en, darum liebt man; und man eilt doch nur, einander satt zu werden. Habe ich nicht recht, Herr Damis?
Damis. Ich werde die Liebe in Ihrer Gesellschaft gar nicht mehr erw?hnen. Sie m?chten mir sonst dabei einfallen. Und wie würde es alsdann um mein Versprechen stehen?
Julchen. Sie k?nnten es vielleicht für einen Eigensinn, oder ich wei? selbst nicht für was für ein Anzeichen halten, da? ich die Liebe so fliehe. Aber nein. Ich sage es Ihnen, es geh?rt zu meiner Ruhe, ohne Liebe zu sein. Lassen Sie mir doch diese Freiheit. Mu? man denn diese traurige Plage fühlen? Nein, meine Schwester irrt: es geht an, sie nicht zu empfinden. Ich sehe es an mir. Aber warum schweigen Sie so stille? Ich rede ja fast ganz allein. Sie sind verdrie?lich? O wie gut ist's, da? Sie nicht mehr mein Liebhaber sind! Sonst h?tte ich Ursache, Ihnen zu Gefallen auch verdrie?lich zu werden.
Damis. O nein, ich bin gar nicht verdrie?lich.
Julchen. Und wenn Sie es auch w?ren, und zwar deswegen, weil ich nicht mehr von der Liebe reden will: so würde mir doch dieses gar nicht nahegehen. Es ist mir nicht lieb, da? ich Sie so verdrie?lich sehe; aber als Ihre gute Freundin werde ich darüber gar nicht unruhig. O nein! Ich bin ja auch nicht jede Stunde zufrieden. Sie k?nnen ja etwas zu überlegen haben. Ich argwohne gar nichts. Ich mag es auch nicht wissen... Doch, mein Herr, Sie stellen einen sehr stummen Freund vor. Wenn bin ich Ihnen denn so gleichgültig geworden?
Damis. Nehmen Sie es nicht übel, meine sch?ne Freundin, da? ich einige Augenblicke ganz fühllos geschienen habe. Ich habe, um Ihren Befehl zu erfüllen, die letzten Bemühungen angewandt, die ?ngstlichen Regungen der Liebe v?llig zu ersticken und den Charakter eines aufrichtigen Freundes anzunehmen. Die Vernunft hat nunmehr über mein Herz gesiegt. Die Liebe war mir sonst angenehm, weil ich sie Ihrem Werte zu danken hatte. Nunmehr scheint mir auch die Unempfindlichkeit sch?n und reizend zu sein, weil sie durch die Ihrige in mir erwecket worden ist. Verlassen Sie sich darauf, ich will mir alle Gewalt antun; aber vergeben Sie mir nur, wenn ich zuweilen wider meinen Willen in den vorigen Charakter verfalle. Ich liebe Sie nicht mehr; aber, ach, sollten Sie doch wissen, wie hoch ich Sie sch?tze, meine englische Freundin!
Julchen. Aber warum schlagen Sie denn die Augen nieder? Darf man in der Freundschaft einander auch nicht ansehen?
Damis. Es geh?rt zu meinem Siege. Wer kann Sie sehen und Sie doch nicht lieben?
Julchen. Sagten Sie mir nicht wieder, da? Sie mich liebten? O das ist traurig! Ich werde über Ihr Bezeigen recht unruhig. Einmal reden Sie so verliebt, da? man erschrickt, und das andere Mal so gleichgültig, als wenn Sie mich zum ersten Male s?hen. Nein, schweifen Sie doch nicht aus. Sie widersprechen mir ja stets. Ist dies die Eigenschaft eines guten Freundes? Wir brauchen ja nicht zu lieben. Ist denn die Freiheit nicht so edel als die Liebe?
Damis. O es geh?rt weit mehr St?rke des Geistes zu der Freiheit als
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