Die ungleichen Schalen | Page 9

Jakob Wasserman
als sei man zu schlecht f��r die Welt, in der sie lebt.
Gentz
Sie waren ja am vorigen Sonntag mit ihr bei der Gr?fin Fuchs? Ich konnte nicht hingehen, da mich der F��rst zu einem Conseil berufen hatte.
Graf Reitzenstein
Und am Abend zuvor fehlten Sie ja auch im Theater, Gentz --
Gentz
Die leidige Politik!
Graf Reitzenstein
Es war ein Triumph. Die Galerien haben geheult, das Parkett hat sich die Handschuhe zerrissen. Sogar in der kaiserlichen Loge sah man leuchtende Augen, und zwei Hofdamen, die vor lauter Gew?hnung an Feierlichkeit alles Fett an ihrem Leibe verloren hatten, wackelten mit ihren K?pfen, als ob das Theater eine Glocke und sie die Schwengel darin w?ren.
Gentz
(lacht)
Ja, diese Zauberin gleicht alle Gegens?tze der sozialen Welt aus, und gekr?nte H?upter werden -- Publikum.
Graf Reitzenstein
Als sie auftrat, ging ein gl��ckliches Seufzen durch das Haus. Da stieg die ganze Venus aus dem Meer. Dieser Nacken, diese Schultern, dieser Hals, die Bewegung, die anmutvolle Hingabe, dies Sichverlieren in s��?ester Heiterkeit! Ich sah M?nner zittern und Frauen bleich werden. Jede Miene will ihre angeborne Tr?gheit vergessen, doch ihr selbst nahen keine W��nsche, nur Verg?tterung umf?ngt sie. Ahnungslos und unergriffen wandelt sie durch die gesammelte Bewunderung hindurch, wie wenn ihr der Traum der letzten Nacht als Schleier um die Seele geh��llt w?re, -- und l?chelt.
Gentz
Sie haben recht, Felix. Ihr L?cheln ist das Wunderbarste. Es scheint aus einer tiefen Quelle aufzusteigen, wo die Genien wohnen, die den Menschen wohlwollen. Keine Heiterkeit deutet so viel Schicksal wie ihre.
Graf Reitzenstein
Zur Fuchs kam sie sp?t, erst nach der Vorstellung. Man war schon ein wenig m��de. Aber als sie eingetreten war, begann der Tag von neuem. Sie setzt sich neben die Hausfrau und blickt sie z?rtlich und vertrauensvoll an. Sie plaudert, und Worte sind pl?tzlich edel. Die Luft, die sie atmet, mitzuatmen, macht gl��cklich.
Gentz
Wenn man Sie h?rt, Felix, sollte man glauben, ein Verliebter spricht.
Graf Reitzenstein
Und wenn ich's w?re?
Gentz
Sie scherzen.
Graf Reitzenstein
Keineswegs.
Gentz
Armer Felix, wie ist Ihnen das passiert?
Graf Reitzenstein
Das Mitleid, Gentz, sollten Sie mir aus Gro?mut ersparen.
Gentz
Nehmen Sie denn um Gottes willen Ihren Zustand ernst?
Graf Reitzenstein
Seh ich aus wie ein Libertin?
Gentz
Es gibt keinen lebendigen Mann, der Fanny gesehen hat und sie nicht liebt. Bei Ihnen allerdings --
Graf Reitzenstein
Sie sprechen, Gentz, als ob Fanny Ihr Eigentum auf Leben und Tod w?re ...
Gentz
Lieber Felix, Sie ��berraschen mich. Wahrlich, ich wei? nicht mehr, was ich von der menschlichen Natur halten soll. Waren Sie es nicht, der mich im Glauben an die M?glichkeit einer Liebe zwischen mir und Fanny befestigt hat? Ich habe gezweifelt, und Sie waren verschwenderisch mit Beispielen aus Leben und Geschichte, die mich beruhigen sollten. Sie waren der einzige, der verstehend in mein Herz drang, der meine Jahre auf die Rechnung der Zeit und nicht zu Lasten der Seele gesetzt hat. Ich war eifers��chtig, damals, als ich noch eifers��chtig sein mu?te, und Sie lachten mich aus. Wenn ich mich qu?lte, ob ich w��rdig sei, Fanny zu gewinnen, sahen Sie darin die Koketterie eines Mannes, der wenig verspricht, um viel zu halten. Sie haben f��r mich Sonette an Fanny gedichtet, und in einem Brief, den ich nie vergessen werde, schrieben Sie: Wehe dem Herzen, dem die Jahre alle Bl��ten rauben, und wehe der Lehre, die ein Vertrocknen vor der Zeit f��r W��rde oder Weisheit ausgibt. So dachte Anakreon nicht, schrieben Sie, erinnern Sie sich? ?So dachte Anakreon nicht.?
Graf Reitzenstein
Waren Sie nicht gl��cklich mit Fanny?
Gentz
Nur ein junger Mann darf gl��cklich gewesen sein.
Graf Reitzenstein
Ich kannte mein Gef��hl nicht.
Gentz
So h?tte der geheimnisvolle Drang in Ihnen, Felix, einen Greis beseelen wollen, und was dunkel in Ihrer jungen Brust wohnte, ��bertrugen Sie mutlos und edelm��tig auf mich? Ist es so?
Graf Reitzenstein
Nicht ganz so.
Gentz
Und ich h?tte sechzig Jahre unter Menschen gelebt, mit meinen Augen, und habe nicht das Spiel eines J��nglings durchschaut?
Graf Reitzenstein
Nein, nein, nein --
Gentz
Sie haben nicht bedacht, da? kein Feuer so w��tend brennt, wie das in einem alten Haus.
Graf Reitzenstein
Ich wu?te und wei? es. Fanny kam aus einer Welt, die tief unter uns liegt, aus einer kleinen, armen Welt, in der man noch an Ehren und Titel glaubt, wo von Luxus und Lebensgenu? erz?hlt wird wie von M?rchen. Als Fanny Sie kennen lernte, als sie Ihre Protektion erfuhr, da war ihr das Tor zur gro?en Welt ge?ffnet und in Ihrer Person verehrte sie den Ruhm und die Macht, nach denen sie sich sehnte und wof��r sie auch bestimmt ist. Sie trat Ihnen mit der bebenden Andacht entgegen, mit der die jungen M?dchen aus dem Volk einen Prinzen aus seiner Karosse steigen sehen.
Gentz
(unterbricht)
Und aus diesem ?u?erlichsten wollen Sie etwas so Geheimnisvolles erkl?ren, wie es mein Bund mit Fanny ist?
Graf Reitzenstein
Sie lernte Sie n?her kennen, sie wurde bezaubert von Ihrem Geist, von Ihrer Kunst des Umgangs -- welche Frau von Instinkt und Kraft w��rde nicht diese Atmosph?re von Leben, von Abenteuer, von Bildung und Welt sp��ren, in der Sie atmen? F��r sie, die Unerfahrene, waren Sie ein Gott an Erfahrungen. Sie konnten
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