auf
die blutige Erde und ruft: Graf Orlow! Orlow reißt den Zügel und hält.
Die hinter ihm sind, vom tollen Ritt noch, mit ihren Gäulen dicht an ihn
gedrängt. Ganz stille wird's auf einmal. Graf Orlow! ruft Alexei
Grigorjewitsch und hebt den Arm, die gemordeten Seelchen werden
sich um deine Füße klammern, wenn du vor Gottes Thron gehst. Mit
nichten wirst du schreiten können, mit nichten.
Lassunsky
Und Orlow? hat er geantwortet?
Chidrowo
Nun geschah das Sonderbare. Orlow zieht den Dolch, beugt sich vor,
schließt wie im Krampf die Augen und stößt seinem Pferd von oben her
den Stahl mitten in die Brust. Während das Tier zusammenbricht,
springt er ab, geht an Rasumowsky vorüber, grüßt ihn schweigend und
setzt schweigend und bleich seinen Weg zu Fuß fort.
Lassunsky
Rätselhaft.
Chidrowo
So hat mir's der Hauptmann Woropanow erzählt, der an Orlows Seite
ritt.
Lassunsky
Was war der Zweck solcher Tat?
Chidrowo
Sicherlich trägt er glühenden Haß gegen Alexei Grigorjewitsch.
Lassunsky
Das dünkt mich unwahrscheinlich.
Chidrowo
Wie ... unwahrscheinlich --?
Lassunsky
Es sieht wie Demut und Buße aus, was er getan.
Chidrowo
Hohn ist's, sag ich dir, Hohn und Bosheit. Seine Blutgier wollte noch
ein Opfer haben.
Lassunsky
Warum sollt es nicht Scham und Reue gewesen sein?
Chidrowo
Willst du Orlow verteidigen? Schönfärben den wüsten Mord?
Lassunsky
Fast könnt ich Mitleid haben mit ihm.
Chidrowo
So seid ihr alle, lammsherzig und matt.
Lassunsky
Acht' auf deine Worte.
Chidrowo
Acht' du auf deine Freiheit, auf deine Männlichkeit!
Lassunsky
Stünden wir nicht hier, Fedor Alexandrowitsch --
Chidrowo
(wild)
Hier oder anderswo. Wer gut von Orlow redet, spricht schlecht von
mir.
(Graf Alexei Rasumowsky tritt langsam von rechts ein. Er ist mit einem
langen, schwarzen Sammetgewand bekleidet und hat eine goldne Kette
um den Hals. In der Hand trägt er die Kasansche Bibel. Er erscheint
zunächst häßlich mit seinem eingefallenen, alten, mißtrauisch finstern
Gesicht, an dem die Backenknochen stark hervortreten und die
schneeweißen Brauen wie dicke Wülste hängen, indes der Kinnbart
schütter und zottig ist. Aber sein Wesen hat eine bewundernswerte
Würde, und wenn er, um zu schauen, die Lider hebt, was nicht häufig
geschieht, ist sein Blick strahlend rein und von seltsamer, kindlicher
Wehmut. Die beiden Offiziere wenden sich von einander und begrüßen
ihn mit schweigender tiefer Verbeugung.)
Rasumowsky
Streit in meinem Hause? (Langes Schweigen.) Was ist geschehen,
Rittmeister Chidrowo, daß Ihre Augen so funkeln?
Chidrowo
(finster)
Üble Neuigkeiten, Erlaucht.
Rasumowsky
Nichts Schlimmeres in der Welt als Neuigkeiten. Weshalb sind Sie hier,
zu so früher Stunde?
Chidrowo
Ich sollte den Großkanzler Woronzow anmelden.
Lassunsky
Graf Woronzow ist auf der Fahrt hierher von Soldaten überfallen
worden.
Rasumowsky
Hat Rußland keinen Zaren mehr?
Chidrowo
Es hat eine Zarin.
Rasumowsky
Gott schenke ihr Weisheit. (Kopfschüttelnd.) Woronzow auf dem Weg
zu mir ... Was hat das zu bedeuten?
Lassunsky
Die Zarin hat den Kanzler wegen der neuen Mariage zu Euer Erlaucht
geschickt.
Rasumowsky
Wegen der neuen Mariage? Bin ich ein Pope?
Lassunsky
Der Kanzler sollte eine geheime Erkundigung einziehen.
Rasumowsky
(läßt sich auf dem Armsessel vor dem Kamin nieder und legt die Bibel
auf seinen Schoß)
Das gehört auch zu den Neuigkeiten der Welt, daß mit lauter
Geheimnissen regiert wird.
Lassunsky
Die Sache verhält sich so, Erlaucht: Da ganz Petersburg gegen die
projektierte Heirat der Zarin mit Orlow gestimmt ist, so hat man
endlich ein Mittel gefunden, um die Geister zu beschwichtigen, man
hat auf die Ehe Euer Erlaucht mit der verstorbenen Kaiserin Elisabeth
Petrowna hingewiesen.
Rasumowsky
Wie? So weit hätte man sich vermessen? Und wem ist dieser schamlose
Gedanke gekommen?
Lassunsky
Offenbar stammt er von den Brüdern Orlow. Was ihr für unmöglich
haltet, sagten sie, ist ja schon einmal geschehen, ohne daß die Welt
eingestürzt ist. Graf Rasumowsky ist ja da, gehen wir hin zu ihm.
Chidrowo
Die Narren!
Rasumowsky
Und was sagte die Kaiserin dazu?
Lassunsky
Die Kaiserin soll gesagt haben: von dieser Ehe weiß die Welt nichts,
aber wenn ihr mir den schriftlichen Beweis erbringt, daß zwischen dem
Grafen Rasumowsky und der hochseligen Zarin eine Heirat wirklich
stattgefunden hat, will ich mich fügen.
Chidrowo
Das hat die Kaiserin gesagt?
Lassunsky
Doch als die Orlows sich anheischig machten, zu Euer Erlaucht zu
gehen, wollte die Kaiserin plötzlich nichts davon wissen. Sie gebot, daß
Graf Woronzow den Auftrag übernehmen sollte, vielleicht weil sie den
Ungestüm der Brüder Orlow fürchtete, vielleicht, weil sie in
Wirklichkeit gar nicht wünscht, was sie zu wünschen scheint. Heut um
die achte Stunde befahl der Kanzler seinen Wagen, und vor der
Kasan-Kathedrale geschah es dann --
Chidrowo
(am Fenster, mit ausgestreckter Hand)
Da sind Orlows Leute! (Stimmen und Waffenlärm vor dem Haus.)
Rasumowsky
(steht auf)
Und du vermutest, daß der Überfall vom Grafen Orlow angestiftet
worden ist? (Schaut gegen den Erker.)
Lassunsky
Ja, Erlaucht.
Rasumowsky
So wäre es augenscheinlich, daß Orlow dem Befehl der Kaiserin
zuwidergehandelt hat --? (Man hört heftiges Klopfen am Tor.)
Chidrowo
Sie begehren Einlaß.
Rasumowsky
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