Die natuerliche Tochter

Johann Wolfgang von Goethe
Die natuerliche Tochter -
Trauerspiel

The Project Gutenberg eBook, Die natuerliche Tochter, by Johann
Wolfgang von Goethe
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Title: Die natuerliche Tochter
Author: Johann Wolfgang von Goethe
Release Date: December 9, 2003 [eBook #10426]
Language: German
Character set encoding: ISO-8859-1
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NATUERLICHE TOCHTER***
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Die natürliche Tochter
Trauerspiel
Johann Wolfgang von Goethe

Personen
König. Herzog. Graf. Eugenie. Hofmeisterin. Sekretär. Weltgeistlicher.
Gerichtsrat. Gouverneur. Äbtissin. Mönch.

Erster Aufzug (Dichter Wald.)

Erster Auftritt König. Herzog.
König. Das flücht'ge Ziel, das Hunde, Ross und Mann, Auf seine
Fährte bannend, nach sich reißt, Der edle Hirsch, hat über Berg und Tal
So weit uns irr' geführt, dass ich mich selbst, Obgleich so landeskundig,
hier nicht finde. Wo sind wir, Oheim? Herzog, sage mir, Zu welchen
Hügeln schweiften wir heran?
Herzog. Der Bach, der uns umrauscht, mein König, fließt Durch deines
Dieners Fluren, die er deiner Und einer Ahnherrn königlicher Gnade,
Als erster Lehnsmann deines Reiches, dankt. An jenes Felsens andrer
Seite liegt Am grünen Hang ein artig Haus versteckt, Dich zu bewirten
keineswegs gebaut; Allein bereit, dich huld'gend zu empfangen.
König. Lass dieser Bäume hochgewölbtes Dach Zum Augenblick des
Rastens freundlich schatten. Lass dieser Lüfte liebliches Geweb' Uns
leis umstricken, dass an Sturm und Streben Der Jagdlust auch der Ruhe
Zeit sich füge.
Herzog. Wie du auf einmal völlig abgeschieden Hier hinter diesem
Bollwerk der Natur, Mein König, dich empfindest, fühl' ich mit. Hier
dränget sich der Unzufriednen Stimme, Der Unverschämten offne Hand
nicht nach. Freiwillig einsam merkest du nicht auf, Ob Undankbare
schleichend sich entfernen. Die ungestüme Welt reicht nicht hierher,
Die immer fordert, nimmer leisten will.
König. Soll ich vergessen, was mich sonst bedrängt, So muss kein Wort
erinnernd mich berühren. Entfernten Weltgetöses Widerhall Verklinge
nach und nach aus meinem Ohr. Ja, lieber Oheim, wende dein
Gespräch Auf Gegenstände diesem Ort gemäßer. Hier sollen Gatten
aneinander wandeln, Ihr Stufenglück in wohlgeratnen Kindern
Entzückt betrachten; hier ein Freund dem Freunde, Verschlossnen
Busen traulich öffnend, nahn. Und gabst du nicht erst neulich stille
Winke, Du hofftest mir in ruh'gen Augenblicken Verborgenes
Verhältnis zu bekennen, Drangvoller Wünsche holden Inbegriff,
Erfüllung hoffend, heiter zu gestehn?

Herzog. Mit größrer Gnade konntest du mich nicht, O Herr, beglücken,
als indem du mir In diesem Augenblick die Zunge lösest. Was ich zu
sagen habe, könnt' es wohl Ein andrer besser hören als mein König,
Dem unter allen Schätzen seine Kinder Am herrlichsten
entgegenleuchten, der Vollkommner Vaterfreuden Hochgenuss Mit
seinem Knechte herzlich teilen wird?
König. Du sprichst von Vaterfreuden! Hast du je Sie denn gefühlt?
Verkümmerte dir nicht Dein einz'ger Sohn durch rohes, wildes Wesen,
Verworrenheit, Verschwendung, starren Trutz Dein reiches Leben, dein
erwünschtes Alter? Verändert er auf einmal die Natur?
Herzog. Von ihm erwart' ich keine frohen Tage! Sein trüber Sinn
erzeugt nur Wolken, die, Ach, meinen Horizont so oft verfinstern. Ein
anderes Gestirn, ein andres Licht Erheitert mich. Und wie in dunklen
Grüften, Das Märchen sagt's, Karfunkelsteine leuchten, Mit herrlich
mildem Schein der öden Nacht Geheimnisvolle Schauer hold beleben,
So ward auch mir ein Wundergut beschert, Mir Glücklichem! Das ich
mit Sorgfalt, mehr Als den Besitz ererbt errungner Güter, Als meiner
Augen, meines Lebens Licht, Mit Freud' und Furcht, mit Lust und
Sorge pflege.
König. Sprich vom Geheimnis nicht geheimnisvoll.
Herzog. Wer spräche vor der Majestät getrost Von seinen Fehlern,
wenn sie nicht allein Den Fehl in Recht und Glück verwandeln könnte.
König. Der wonnevoll geheim verwahrte Schatz?
Herzog. Ist eine Tochter.
König. Eine Tochter? Wie? Und suchte, Fabelgöttern gleich, mein
Oheim, Zum niedern Kreis verstohlen hingewandt, Sich Liebesglück
und väterlich Entzücken?
Herzog. Das Große wie das Niedre nötigt uns, Geheimnisvoll zu
handeln und zu wirken. Nur allzu hoch stand jene heimlich mir Durch
wundersam Geschick verbundne Frau, Um welche noch dien Hof in
Trauer wandelt Und meiner Brust geheime Schmerzen teilt.
König. Die Fürstin? Die verehrte, nah verwandte, Nur erst verstorbne?
Herzog. War die Mutter! Lass, O lass mich nur von diesem Kinde
reden, Das, seiner Eltern wert und immer werter, Mit edlem Sinne sich
des Lebens freut. Begraben sei das übrige mit ihr, Der hoch begabten,
hoch gesinnten Frauen. Ihr Tod eröffnet mir den Mund, ich
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