Die gefesselte Phantasie | Page 9

Ferdinand Raimund
Du Hexe, denk’ an mich!
arrogantia (hat den Bogen gespannt und schießt die Phantasie in eine
Achsel, an der der Flügel verwundet wird). Und du an mich!
phantasie (sinkt). Weh’ mir, das traf!
vipria (schadenfroh). Fort mir ihr!
phantasie. O unglücksel’ges Los!
arrogantia. Jetzt kennst du mein Geschoß. (Beide fesseln sie.)
vipria. Sperr’ in den Käfig sie; ich such’ ihr einen Dichter aus.
arrogantia (zieht die Phantasie an den Fesseln fort).
phantasie. Apollo!
arrogantia. Folge mir! (Arrogantia mit der Phantasie ab.)
vipria (allein). Umhülle mich, magische Finsternis! (Schwarze Wolken
fallen ein, die in der Mitte einen Stern bilden, es wird Nacht.) Jetzt,
Zauberstern, entehre deinen Glanz und strahl’ Gemeinheit ab und
Häßlichkeit, wie sie mein rachetrunk’ner Sinn begehrt. (Der Stern
öffnet sich, man sieht das farbige Transparentbild des Harfenisten, mit
seiner Harfe sitzend, an der Wand.) Ha, ha, ha! Willkommen,

Fratzenbild, dich ernenne ich zu ihrem
Gemahl. (Ein Wagen, mit sechs Raben bespannt, statt der Laternen
zwei Fackeln, erscheint.) Durch die Lüfte fort, damit ich es schnell
entführe, dies Werk einer hypochondrischen Stunde der Natur! (Fliegt
ab.)
verwandlung
(Das Innere eines Bierhauses. Verschiedene Gäste an Tischen; der
Schuster, der Spengler, der Fiaker, ein Fremder, der Wirt. Seitwärts
eine Kredenz mit Zimenten. Rückwärts hängt ein Kästchen von
schwarzem Papier, worauf transparent zu lesen ist: "Heute spielt der
berühmte Harfenist Nachtigall." Kurze passende Musik zur
Verwandlung.)

19. Szene
mehrere gäste. Aber was ist denn das, Herr Wirt?
wirt. Ich bitt’ Sie, meine Herren, sind S’ nur nicht bös, daß der
Harfenist noch nicht da ist; mit dem Menschen ist’s nicht zum
Aushalten.
schuster. Wenn er nur nicht so grob wär’ mit den Gästen.
spengler. Nein, das ist just recht, da hat man was z’ lachen über ihn, er
hat gute Einfälle und so wahr. schuster. Den Herrn hat er neulich ein’
Esel g’heißen, das war ein guter Gedanken.
wirt. Ja, es ist wahr, er ist der zweite Narrendattel. Ich hab’ eine Menge
Gäst’ wegen ihm. Den Leuten g’fallt sein’ Grobheit; aber er übernimmt
sich. Ich hab’ ihm’s schon g’sagt, wie er noch wen beleidigt, muß er
ausbleiben.
fremder. Ist das der Harfenist, der gestern g’sungen hat? Der kann ja
gar nichts! Da wird jetzt ein anderer kommen aus Linz, den werden s’

hören. He, Kellner, eine Portion Schafköpfel!
kellner. Gleich, Euer Gnaden!--Der Nachtigall kommt! alle. Nun,
endlich einmal!

20. Szene
vorige. nachtigall karikiert gekleidet, mit der Harfe nachtigall.
Lied. Nichts Schöner’s auf der ganzen Welt Als wie ein Harfenist,
Wenn er nur seinen Gästen g’fällt Und all’weil lustig ist. Trinkt er sich
auch ein Räuscherl an, Dann singt er erst recht frisch, Und wenn er
nimmer singen kann, So fallt er unter’n Tisch. Er hat nur für sein’
Harfen G’fühl, Sie ist sein Weib sogar, Die kann er schlagen, wie er
will, Die fahrt ihm nicht in d’ Haar. So singt er sich durch’s Lebensjoch,
Und wird er einst kaputt, So sag’n die werten Gäste noch: Er war ein
Haupt-Adut.
kellner (setzt ihm einen Stuhl in die Mitte der Bühne). wirt. Aber
warum denn gar so spat? Herr Nachtigall?
nachtigall. Ich bitt’ um Verzeihung, ich hab’ Kopfweh g’habt, ich hab’
mich ang’schlag’n. Ich hab’ gestern einen Rausch g’habt, und unser
Hausmeister, wenn man um zwölf Uhr anläut’t, so macht er erst um
eins auf--und da hab’ ich mich derweil ans Tor angelehnt und hab’
eing’schlafen; auf einmal macht er gäh’ auf, und ich lieg’ nach aller
Längst beim Tor drin, ihn schlag’ ich nieder und mich schlag’ ich auf.
fiaker. Weil Er halt wieder ein’ Rausch g’habt hat, jetzt nur anfangen!
nachtigall. Gleich!--Hansel, mein’ Kolophoni zum Halsschmieren.
kellner. Weiß schon. (Beiseite.) Das sind sechs Maß Bier.
nachtigall. Und den Zinnteller zum Einsammeln.
fremder. Kellner!

nachtigall. Aha! Bist schon da, Vogel! Heut’ setzt es was.
fremder. Wann krieg’ ich denn einmal meinen Schafskopf?
nachtigall. Nu, so gebt’s dem Herrn sein’ Schafskopf, laßt’s die Leut’
nicht so lang ohne Kopf dasitzen.
kellner (bringt das Schafsköpfel).
wirt. Er fangt schon wieder an. Herr Nachtigall, ich rat’ Ihm’s!
nachtigall. Herr Wirt, mit dem gibt’s ein Streit, ich kenn’ ihn, er will
mich ums Brot bringen.
wirt. Untersteh’ Er sich.
nachtigall. Nutzt nichts. Ich bin ein streitbarer Mann, g’stritten wird!
wirt. Wenn Er mir ein’ Gast beleidigt--
nachtigall. Er ist kein Gast, ich werd’ ihm’s schon sagen, warum?
fiaker (mit der Peitsche). Anfangen einmal, und a bissel was Neues
singen!
nachtigall. Allemal! (Singt und spielt die Harfe).
Lied. He! Brüderln, wollt’s recht lustig sein, Es kost’ euch nicht viel
Geld, Da spannt’s nur eure Rappeln ein Und fahrt’s ins Lerchenfeld. Da
ist ein neues Wirtshaus drauß’, Das heißt beim gold’nen Affen, Da
schaut der Wirt beim Fenster ’raus Und fragt gleich, was wir schaffen?
He! Brüderln, wollt’s etc.
chor. Bravo, Harfenist! O bravo, Harfenist!
nachtigall. Die Wirtin hat gar feinen Sinn, Und heißt die schöne
Franzel, Geboren ist
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