Die gefesselte Phantasie | Page 8

Ferdinand Raimund
Kraft-Genie: Sie sehn in mir die
Phantasie.
(Ans Publikum.)
Wenn rauhe Wirklichkeit auch gleich Verwundet Ihre Herzen, So
flüchten Sie sich in mein Reich, Ich lind’re Ihre Schmerzen; Denn alles
Glück, man glaubt es nie, Am End’ ist’s doch nur Phantasie. Im
dichterischen Übermut Durchschweb’ ich weite Fernen, Ich steck’ die
Sonne auf den Hut Und würfle mit den Sternen; Doch vor des Beifalls
Melodie Verbeugt sich tief die Phantasie.
(Sich tief verneigend.)
Es ist doch wahrlich eine Schande, daß die Phantasie, die von oben
stammt, als Unterhändlerin in einem Liebesroman erscheint. Apollo
selbst will dieses Pärchen einen; denn unter uns gesagt, er ist ein eitler
Man, wie viele Dichter sind, und Hermionens Schwur, nur einem
Dichter zu gehören, hat ihn so sehr entzückt, daß er mir befahl, ihr
einen Würdigen zu bilden, zu bilden: weil gewöhnlich die gebildetsten
Dichter die ungebildetsten Ehemänner sind. Hier kömmt mein
Kandidat, ich will ihn doch ein wenig aufziehen.

17. Szene
amphio. Die phantasie
phantasie. Nun, mein dichterischer Freund, wie haben wir uns
aufgeführt? Hat unser gestriges Gedicht Amors Bande fester geknüpft?
amphio. Auf ewig sie zu binden steht in deiner Macht.
phantasie. Ich armes Kind soll andere vermählen, und für mich selbst
wird Hymens Fackel niemals leuchten.

amphio. Wer würde deine Hand verschmähen?
phantasie. Ach, ihr güt’gen Götter, die Männer fliehen ja schon in
jetziger Zeit, wenn ihnen ein Mädchen gesteht, daß sie 20 Jahre alt sei,
wie würden sie erst wettrennen, wenn ich gestehen müßte, daß ich
schon so viele tausend Jahre auf der Welt herumfliege. Nichts, nichts,
ich bin eine Tochter der Luft, und lüftige Personen sind nicht zum
Heiraten geneigt. Was kümmern mich die Männer dieser ird’schen
Welt? Was gilt mir selbst ein menschlicher Apoll’? Ich bin die
Phantasie; der höchsten Schönheit Bild kann ich mir selbst erschaffen,
nach Adonis’ reizender Gestalt form’ ich aus ros’gem Äther mir den
Bräutigam, seine Muskeln stähl’ ich durch die Kraft des Herkules, in
sein Gehirn leg’ ich Minervens Weisheit ihm, der Zunge schenk’ ich
die Beredsamkeit der Polyhymnia, in seine Brust gieß’ ich Selenens
Sanftmut aus. So bild’ aus Götterkräften ich mein Ideal und flieh’ mit
ihm nach einer Himmelswelt in unbekannte Sphären, dort bau’ ich
Amors Tempel auf von glänzendem Rubin, und laß von tausend
Sonnen ihn bestrahlen, dann raub’ ich dem Saturn die Sichel seiner Zeit
und breche sie ob unserer Lieb’ entzwei, damit mir jeder Kuß zur
ew’gen Wonne wird.
amphio. Du scherzest, du weißt nicht, wie poetisch wichtig diese
Stunde ist.
phantasie. Beleidige mich nicht! Ich selbst hab’ heute Hermione zu
dem Entschluß begeistert, ein Preisgedicht zu fordern, damit nur einmal
dieser langweilige Liebeshandel sein Ende erreicht.
amphio. O dann wirst du mir auch deine Hilfe nicht versagen, der
heut’ge Tag entscheidet.
phantasie. Du bist doch noch bescheiden, du nimmst meine Hilfe nur
bei Tage in Anspruch, aber manche Dichter sind so wahnsinnig, die
ganze Nacht zu schreiben, und wenn die Phantasie nicht gleich auf dem
Tintenfasse sitzt, so beschwören sie mich durch Punsch und
Champagner, daß ich erscheinen soll, und wer kann der Einladung
eines so artigen Franzosen, wie der Champagner ist, widerstehen? Ich
nicht!

amphio. In jenem Tempel schwört die Herrscherin. Ich eile, um dir zu
berichten, was wir zu besingen haben. Wie freu’ ich mich, wie bebe ich!
Ach, wie quälend ist dieser Wechsel von Freude und Furcht.
phantasie. Ach, wie quält dich dieser kleine Wechsel, und wie gerne
würde mancher mit dir tauschen, der heute einen recht großen
auszuzahlen hat. Die Freude ist ein Handelshaus, sie muß wechseln,
denn im Wechsel liegt Freude. Doch um dich zu beruhigen, will ich dir
einen Wechsel ausstellen an das große Wechselhaus Amor et
Compagnie, nun, der wird dir doch sicher sein? Denn wenn die Liebe
zu zahlen aufhört, dann macht die Welt Bankrott. So geh’ denn hin und
hole den Stoff, die Phantasie bleibt hier zurück, und wenn du
wiederkehrst, umschling’ ich deinen Geist, und fertig ist das kindische
Gedicht.
amphio. Und wird es Hermionens Hand erringen?
phantasie. Ich schwör’ es dir bei Schillers Haupt, in dem ich lang
gewohnt.
amphio. Ich trau’ auf diesen Schwur. (Sinkt ihr zu Füßen.)
phantasie (hebt ihn auf). Komm bald, ich harre dein.
amphio (ab).
phantasie. Heute habe ich einen fröhlichen Tag. Wie wohl ist der
Phantasie, wenn sie vom Versemachen ruh’n und in ungezwungener
Prosa sprechen kann. (Sie singt eine lustige Rossinische Melodie.) Die
Phantasie kann
alles. (Hüpft herum.) Sie ist ein mutwilliges Geschöpf.

18. Szene
vipria und arrogantia. Erstere mit Pfeil, letztere mit Bogen und Pfeil.
vorige

vipria (tritt der Phantasie in den Weg). Halt’ an! Qui vive?
phantasie. Bon amie, die Phantasie.
vipria. Nichts passiert! Gib dich gefangen, bunter Rabe!
phantasie. Doch nicht so leicht. (Entreißt ihr den Pfeil und verwundet
sie.)
vipria. Verdammte Schlange! (Hält sich den Arm.)
phantasie (eilt auf einen kleinen Hügel und macht Miene zum
Auffliegen).
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